Auf das Gesicht des Alten fallen zwei, drei dunkelgraue Schatten. Drei Tuschstriche sind der Bart, zwei die Augenfalten. Vier Haarstriche wehen einzeln im Wind, ein Kringel setzt als Wolkenband die Bewegung fort. Zwei junge Männer wollen einen Dokumentarfilm drehen, deshalb sehen wir das Play unten links in der s/w Aufnahme. Und schon geht es los. Ninella war, wie wir schnell erfahren, einer der wenigen Homosexuellen der Stadt Salerno und wurde dafür hart bestraft. Wie hunderte andere homosexuelle Männer Italiens zwischen 1938 und 1943 wurde auch Ninella „zum Schutz der Rasse“ auf die Tremiti-Insel San Domino in Verbannung geschickt. Noch immer sind nicht alle Akten zu diesem verdrängten Kapitel einsehbar.
Für den vorliegenden 160 Seiten umfassenden Graphic Novel lieferte Sara Colaone die Zeichnungen in historisch passenden braun/ocker/schwarz-Tönen und Luca de Santis das Szenario. Die Handlung ist den 80er Jahren angesiedelt worden, um den Zeitzeugen Ninella einzuführen, der sich mit den beiden Filmemachern noch einmal auf Reise macht, zur Insel seiner Verbannung. Die Reise gerät zur Konfrontation mit dem ehrgeizigen Regisseur und bildet den Einstieg für Ninella, endlich das Geschehene Revue passieren lässt. Er hatte seine eigenen Leidens-Erinnerungen tief in sich vergraben. Dass trotz Verrohung und Brutalität in solchen Verbannungslagern Mitgefühl und sogar Liebe entflammen können zwischen Bewachten und Bewachern, ist anrührend und zutiefst menschlich…
Mit konzentrierten, schlichten Bildfolgen und knappen Dialogen erzählen der Autor und die Zeichnerin von einem traurigen Nebenschauplatz des Zweiten Weltkrieges. Ein kluger Essay von Andreas C: Knigge klärt am Ende des Buches über die Verfolgung von Homosexuellen im Allgemeinen und diesem besonderen Falle auf. Das Buch erschien 2008 in Italien unter dem Titel “In Italia sono tutti maschi“ (In Italien gibt es nur echte Männer).
Prädikat: wertvoll, gelungene Verbindung von Text, Zeichnung und erläuterndem Essay.
* * *
Luca de Santis & Sara Colaone, Insel der Männer, mit einem Essay von Andreas C. Knigge, Verlag Schreiber & Leser, 175 S., 18,80 €