Mit der Normalisierung der Beziehungen zu Armenien öffnen sich neue und kürzere Handelswege nach Mittelasien und Länder wie der Iran, Irak und Syrien bieten viel versprechende Märkte für die Türkei. Russland spielt eine immer größere Rolle in der Energiepolitik, wie das Projekt der Trans-Anatolien-Pipeline zeigt, mit der russisches Erdöl vom Schwarzen Meer zum türkischen Mittelmeerhafen Yumurtalik gebracht werden soll.
Noch vor zehn Jahren stand die Türkei am Rand eines Krieges gegen Syrien, jetzt wurden 36 Abkommen unterzeichnet, darunter eines über gemeinsame Militärmanöver. In der vergangenen Woche brachte Erdogan 48 bilaterale Verträge mit dem Irak nach Hause, in der kommenden Woche will er nach Teheran reisen. Auch mit Russland werde man bald ein Abkommen über „strategische Kooperationen“ schließen, kündigte der türkische Regierungschef an.
Zur Zeit erlebt die Welt eine Türkei, die mit ihrer neuen Außenpolitik signalisiert, dass sie Europa weniger braucht, als Europa sie. In der Vergangenheit wurde die Bedeutung der Türkei für Europa meist mit den Hinweis auf ihre Rolle als verlässlicher Nato-Partner an der Schwelle zum unruhigen Nahen Osten erklärt. Doch inzwischen ist sie ein Land, das zunehmend selbstsicher auftritt und sich seines wachsenden Gewichts in der Region ebenso bewusst ist wie seiner geostrategischen Möglichkeiten.
Vor allem Israel bekommt in diesen Tagen zu spüren, dass sich die Parameter der türkischen Politik bereits verschoben haben. Ministerpräsident Erdogan ist dabei, sein Land aus der engen militärischen Allianz mit Israel zu lösen. Dieses militärische Bündnis wurde vor mehr als einem Jahrzehnt geschlossen und war letztlich ein Relikt des Kalten Krieges. Nun knüpft die Türkei immer engere Kontakte zu ihren östlichen Nachbarn.
Korridor für die Energieversorgung Europas
Nicht nur als Korridor für die Energieversorgung Europas wächst die Bedeutung der Türkei, sie ist auch inzwischen auf Rang 17 der weltgrößten Volkswirtschaften aufgestiegen. Seit Erdogan regiert, hat das Land zu einer innenpolitischen Stabilität gefunden, die vor seiner Wahl kaum jemand für möglich halten konnte. Weiterhin hat sich die Regierung in Ankara nun vorgenommen, den Kurdenkonflikt auf friedliche Weise zu lösen. Damit käme nicht nur die Demokratisierung weiter in Gang sondern würde auch die Binnenwirtschaft in Schwung bringen. Der Krieg gegen die terroristische PKK hat das Land streckenweise ausgeblutet und eine Weiterentwicklung jahrzehntelang verhindert.
Um die Neuorientierung der türkischen Außenpolitik nachzuvollziehen braucht man sich nur daran erinnern, dass das Land seit den 1960er auf eine Mitgliedschaft in der EU wartet. Nun will es sich nicht mehr mit der Rolle des ewigen Beitrittskandidaten abfinden, der sich ständig kritisieren lassen und bevormunden lassen muss. Eine Neuorientierung und Hinwendung zu den östlichen Nachbarn kann von der Perspektive aus betrachtet werden, dass die Türkei mit großer Wahrscheinlichkeit eine Führungsrolle in der islamischen Welt einnehmen wird. Ihre stetig wachsende Wirtschaftskraft, ihre geopolitische Rolle, die relativ junge türkische Bevölkerung – das alles sind überzeugende Gründe, die das Land eigentlich für Europa unverzichtbar macht. Als das Assoziierungsabkommen 1963 mit der damaligen EWG geschlossen wurde und die spätere Vollmitgliedschaft vertraglich zugesichert wurde, sah man vor allem die militärische Rolle als Nato-Partner, der verlässlich ist, weshalb man das Land an Europa anbinden wollte. Seit Jahrzehnten nun mäkelt Europa, die Türkei werde eine Belastung für die EU, die dann noch mehr mit türkischen Gastarbeitern überschwemmt werde. Wer weiß, ob Europäer in nicht allzu ferner Zukunft in der Türkei interessante Arbeitsmöglichkeiten finden werden. Mit Sicherheit jedoch kann gesagt werden, dass eine Ausgrenzung des Landes aus der EU falsch und sogar gefährlich wäre.