Die Hoffnung der Minderheiten in der Türkei

Erol Dora im Gespräch mit Christine Keiner.

Jubeltöne waren nicht zu hören, von Erol Dora und seiner Mannschaft, als wir sie ein paar Tage nach der Wahl in einem Hotel in Mardin, im Südosten der Türkei, trafen. Erol Dora und seine Mitarbeiter wissen, dass sie viel Arbeit vor sich haben. Während ich mit ihm spreche, leuchtet sein Handy ununterbrochen, bis er es ausschaltet. Dann sagt er: „Dass meine Wahl weltweit ein solches Aufsehen erregt, sollte uns allen zu denken zu geben. In Europa gibt es viele Abgeordnete der jeweiligen Minderheiten, doch bei uns ist das eine Sensation“.

Der 47-jährige Rechtsanwalt wurde mit Unterstützung der Kurdenpartei BDP als unabhängiger Kandidat ins Parlament gewählt. Seit fast einem halben Jahrhundert ist er der erste Christ. Der Vater von drei Kindern ist Protestant und arbeitete als Anwalt für verschiedene syrisch-orthodoxe Stiftungen und Vereine.

Seine Wahl könnte dazu beitragen, dass sich die Lage der Assyrer im gesamten Tur Abdin verbessern könnte, seit der letzten Auswanderungswelle in den 80-er Jahren gibt es zaghafte Rückkehrer-Bewegungen. Ein Wehrmutstropfen ist noch immer die ungeklärte Situation beispielsweise des Klosters Mor Gabriel, das als das theologische Zentrum der syrisch-orthodoxen Kirche im Tur Abdin gilt. Mor Gabriel musste bereits einen Teil seiner Ländereien abgeben und verschiedene Verfahren stehen noch an, deren Ausgang ungewiss ist. Auch war die Region im nördlichen Teil von Mesopotamien zerrieben durch die Kurdenkonflikte, so dass auch die dort lebenden Christen stark davon betroffen waren. Deshalb sieht Erol Dora seine Aufgabe nicht nur in der Stärkung der Rechte der christlichen Minderheit, zu der er selbst gehört, sondern er will dafür arbeiten, dass alle ethnischen und religiösen Gruppen die gleichen Rechte bekommen. „Nur so“, sagt er, „können wir dauerhaft auf Frieden und Wohlstand in unserem Land hoffen. Wir alle sind Türken und lieben unser Land und darum sollte es auch selbstverständlich sein, dass alle Bürger gleich behandelt werden.“ Der Türkei als ein Vielvölkerstaat falle hier eine besondere Verantwortung zu und könne als Beispiel für den gesamten Nahen Osten gelten, was auch wiederum für Europa wichtig wäre, sagt Dora.

Er jedenfalls blickt zuversichtlich in die Zukunft. Die türkische Regierung sei dabei, den christlichen Minderheiten das eine oder andere Zugeständnis zu machen. Auf die Frage, wie er seine Herkunft, seine ethnischen Wurzeln definiere, antwortet Erol Dora, er betrachte sich als Aramäer, Assyrer und syrisch-orthodoxer Christ. Manchmal gebe es Missverständnisse innerhalb seiner eigenen Volksgruppe, wenn es um die Definition ihrer Herkunft ginge. Die Bezeichnung Assyrer sei eine rein ethnische, während Aramäer und syrisch-orthodoxe Christen, wie es der Name schon sagt, sich über ihren Glauben definieren.

Während sich der neu gewählte Abgeordnete vorher nie mit Politik beschäftigte, steht er nun im Mittelpunkt und repräsentiert ein Volk, das auf eine fast 6000-jährige Geschichte im Tur Abdin zurückblickt.

Während unserer Besuche zu unseren Recherchen für unseren Fotoband „Nord-Mesopotamien“ in den verschiedenen Klöstern der Gegend konnten wir feststellen, dass die Besucherzahlen aus der moslemischen Bevölkerung ansteigen. Das Interesse, mehr über ihre christlichen Mitbürger zu erfahren, wächst – und das ist gut so!

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