Seine Krallen waren scharf und seine Kraft war gefürchtet. Wo immer der venezianische Löwe sich zeigte, kannte er kein Pardon. Ja selbst das prächtige Konstantinopel musste sich vor ihm fürchten. Ein kräftiger Biss reichte aus, um dem Mächtigsten seiner Fressfeinde den Garaus zu machen und ihn an seinen Verletzungen langsam zugrunde gehen zu lassen. Von vielen gehasst als eine rücksichtslose Bestie, von anderen hingegen bewundert als durchsetzungsfähiges Alpha-Tier, dessen kulturelle Hinterlassenschaften noch heute Hochachtung hervorrufen.
Ihm bis in die Höhle des Löwen nachzuspüren ist das vorrangige Ziel der „Star Clipper“ bei ihrer Kreuzfahrt durch das östliche Mittelmeer. Längst ist der Lotse von Bord, dessen Ortskenntnis bis zur Hafenausfahrt von Piräus noch gebraucht wurde. Nun gehen knatternd die weißen Segel in Position, bis kurz danach der Wind sie mit prallen Bäuchen vor sich her treibt. Unter den anrührenden Klängen von „Conquest of Paradise“, gerade so, als gelte es, die drei kleinen Meere rund um die Balkan-Halbinsel erneut zu erobern?
Göttliches Geleit
Nicht jedoch unter dem Geleit von Athene, der Göttin der Weisheit, die von der Höhe der Akropolis als dem ihr geweihten Ort herüber grüßt. Jene Kopfgeburt des olympischen Zeus, der bereits wenig später aus seinem Tempel hoch über Kap Sounion den Weg freigibt ins Ägäische Meer. Geradewegs hinüber zu den Kykladen, deren Inseln – der Name gibt die Erklärung – sich kreisförmig um das dem Gott Apollo geweihte Heiligtum von Delos gruppieren.
Es ist der Auftakt einer Segelkreuzfahrt auf den Schleichpfaden des venezianischen Löwen, der sich nach seinem Sieg über Konstantinopel während des 4. Kreuzzuges den östlichen Mittelmeerraum gefügig machte. Und ihn solange in seinen Klauen fest hielt, bis sich nach der Entdeckung Amerikas das Weltgeschehen nach Westen hin verlagerte. Und dazu das im Osten aufstrebende osmanische Reich den venezianischen Einfluss immer stärker in seine Schranken verwies.
Geliebte „White Lady“
Die Spurensuche im Gefolge der venezianischen Galeeren erfolgt mit einer schnittigen Viermast-Barkentine aus der Familie der Clipper-Schiffe des 19. Jahrhunderts. Bis zu siebzehn Knoten schafft es die „Star Clipper“ unter allergünstigsten Voraussetzungen, doch dies höchstens fünf bis sechsmal im Jahr. Unter normalen Bedingungen ist Kapitän Yuriy Sastenin schon mit acht Knoten zufrieden. Denn atemlose Hektik ist das Letzte, das er seiner geliebten „White Lady“ abverlangen möchte.
So wäre es geradezu vermessen, in übersteigerter Abenteuerlust „die Reling bei scharfer Schräglage ins Wasser eintauchen zu lassen“. Cruise Direktor Peter Kissner, der sich wie kein Anderer mit der Geschichte und den Geschichten der Seefahrt seit der Antike auskennt, weiß, wovon er spricht. In seiner spannenden „Story Time“ räumt er auf mit dem Vorurteil, der Großsegler müsse, um seine Höchstgeschwindigkeit zu erreichen, mit allen 3500 Quadratmetern Segelfläche voll aufgetakelt sein. Volle Segel, so erklärt er seinen staunenden Zuhörern, seien vielmehr gleichbedeutend mit „zu wenig Wind“.
Überirdische Distanziertheit
Davon kann heute jedoch keine Rede sein. Denn nach ihrem kurzen Aufenthalt in Paros nähert sich die „Star Clipper“ nun zügig der Insel Santorin. Der einzigen Vulkaninsel weltweit, in deren Caldera Schiffe hineinfahren können. Ein wahrer Augenschmaus, aus der Schiffsperspektive den hoch aufragenden Kraterrand vorbeigleiten zu sehen. Ein Vergnügen zweifellos auch für die Venezianer, die seinerzeit nach ihrem Sieg über Konstantinopel die strategisch wichtige Vulkaninsel ihrem Einflussbereich unterstellten.
Noch heute ist sie unbestritten die Lieblingsinsel aller Besucher der Region, selbst wenn von hier aus vor langer Zeit Schrecken und Zerstörung über die minoische Kultur hereinbrachen. Mit ihren stilvoll ineinander verschachtelten weißen Häuserquadern und ihren blauen Kirchenkuppeln wirkt sie in ihrer überirdisch anmutenden Distanziertheit wie von einer anderen Welt. Atemberaubend auch der Blick aus einem der Restaurants oder Cafés hinunter in die Caldera, wo die „Star Clipper“ als der höchste Großsegler der Welt gerade sanft in der Strömung dahin gleitet. Sicherlich der einfachste Weg, um sich bei einer Kratertiefe von fünfhundert Metern das Auswerfen des Ankers zu ersparen.
Launen des Poseidon
Doch wirklich ungeteilte Freude wird bekanntlich keinem Irdischen zuteil. Zweifellos hat sich der launische und wetterwendische Meeresgott Poseidon dazu entschlossen, im Ionischen Meer an der Westseite der Peloponnes eine rauere Gangart einzuschlagen als in der Ägäis. Lässt er hier doch gewohnheitsmäßig gern seine Muskeln spielen. So wie bereits in mythologischer Vorzeit, als er hier mit schäumendem Wogen dem verhassten Odysseus den Garaus machen wollte.
Diesmal jedoch hat er dann doch noch ein Einsehen, und das Meer vor Korfu präsentiert sich plötzlich wie aus einem maritimen Bilderbuch. Bestenfalls leicht gekräuselt und fast so farbig wie der azurblaue Himmel darüber. Ehrfurcht gebietend wirkt allerdings das venezianische Fort, das einst dazu half, jeden äußeren Angriffswillen bereits im Keim zu ersticken. Denn an dieser Stelle verstand der venezianische Löwe am wenigsten Spaß, musste er doch von hier aus am südlichen Ende des Adriatischen Meeres den Zugang zu seiner Höhle streng überwachen.
Fjord in der Adria
Von dieser ernsthaften militärischen Logik ist heute allerdings nichts mehr zu spüren in den Gassen und Gässchen der Altstadt von Korfu. Hier haben heute die Händler und Wirte das Sagen. Traditioneller Treffpunkt ist die Esplanade. Jener weitläufige Platz hinter dem alten Fort, wo im Schatten der Arkaden und unter schattigen Bäumen die kostbare Zeit bei gediegener Gastlichkeit wie im Flug vergeht.
Schon bald nach dem Aufbruch folgt auf den albanischen Küstenstreifen das kleine Montenegro, das sogleich für Verwirrung sorgt. Denn hier schneidet sich ein Fjord tief ein ins Landesinnere. Für die Venezianer damals zweifellos ein Gottesgeschenk, hielt doch diese tiefe Kerbe in der Küstenlinie bei maritimen Überraschungen jeglicher Art einen geeigneten Unterschlupf bereit. Selbst für heutige Besucher nicht weniger attraktiv als eine Nordlandfahrt hinein in einen norwegischen Fjord.
Wehrhafte Mauer
An seinem Ende öffnet sich die weit ausladende Bucht von Kotor, benannt nach dem zwischen Meeresufer und Bergmassiv eingezwängten mittelalterlichen Städtchen. Sensationell seine wehrhafte Mauer, aus deren Quadern der in Stein gemeißelte venezianische Löwe selbstbewusst herab schaut. Wie die chinesische Mauer macht sie selbst vor einem äußerst steilen Berghang nicht halt. Die kleine Kapelle auf halber Höhe hält einen zauberhaften Blick bereit über die blau schimmernde Bucht, in der die „Star Clipper“ bereits darauf wartet, ihre Reise in die nördliche Adria fortzusetzen.
Doch zuvor passiert sie noch Dubrovnik, jene einstige Festungsstadt Ragusa an der kroatischen Adriaküste, an deren festen Mauern sich der venezianische Löwe zunächst die Zähne ausbiss. So wie später auch die Serben, die im Jugoslawienkrieg gegen Ende des letzten Jahrhunderts vergeblich versuchten, sich diese Perle der Adria einzuverleiben. Inzwischen erstrahlen die roten Ziegeldächer der Stadt von der wieder völlig intakten Stadtmauer aus betrachtet schöner als zuvor.
Morbide Kulisse
Je mehr sich die „Star Clipper“, vorbei an malerischen Inseln der nördlichen Adria, dem Zielpunkt ihrer Reise nähert, desto aufgeregter und erwartungsvoller wird die Stimmung an Bord. Dann endlich ist es soweit. Durch eine kleine Lücke nördlich des Lido schiebt sich der Schiffsbug hinein in die legendäre Lagune.
Schon reihen sich an der Steuerbordseite dicht gedrängt die prächtigen Patrizierhäuser aneinander. Noch vor der Einmündung des Canal Grande öffnet sich am Dogenpalast die stattliche Häuserfront und gibt den Blick frei auf den geflügelten venezianischen Löwen. Selbstbewusst blickt er vom Uhrturm herüber, als grüße er die stolze „Star Clipper“ nach erfolgreichem Einholmanöver bei der Einfahrt zu ihrer Anlegestelle in der Straße von Giudecca. Vorbei an einer morbiden aber noch immer äußerst attraktiven Kulisse, die die große Vergangenheit Venedigs noch heute erahnen lässt. Als nach wie vor imponierende Stadt des Löwen, dessen Krallen jedoch längst stumpf geworden sind.
Reiseinformationen „Star Clipper“/ Östliches Mittelmeer:
Anreise: Mit dem Flugzeug, z.B. Lufthansa, nach Athen-Eleftherios Venizelos oder bei umgekehrter Richtung nach Venedig-Marco Polo. Der Transfer zum Schiff kann jeweils dazu gebucht werden.
Einreise: Wegen vorgesehener Abstecher außerhalb des Schengen-Bereichs, z.B. nach Montenegro, legt sich die Mitnahme eines gültigen Reisepasses nahe.
Reisezeit: Die „Star Clipper“ verkehrt im Sommerhalbjahr im Mittelmeer, ab November (Trans-)Atlantik und Karibik.
Reiseroute: Athen (Piräus) – Myconos – Santorini – Katakolon (Olympia) – Corfu – Kotor – Dubrovnik – Korcula – Hvar – Mali Losinji – Venedig (und umgekehrt)
Schiffsatmosphäre: Die „Star Clipper“ als luxuriöser Nachbau der großen Segler des 19./20. Jahrhunderts ruft die Tradition jener Tage wieder wach und bringt sie in Einklang mit der eleganten Atmosphäre einer Megayacht.
Kabinen: Fast durchweg Außenkabinen, ausgestattet mit Farbfernseher, Telefon, Safe sowie komfortablem Bad.
Buchung und Auskunft: Empfehlenswert über den Reiseveranstalter „Star Clippers Kreuzfahrten GmbH“, Konrad-Adenauer-Straße 4, 30853 Langenhagen, Telefon geb.frei: 00800-78272547 oder 0511-7266590, Fax: 0511-72665920, Email: info@star-clippers.de, Website: www.star-clippers.deoder die Reisebüros Ihres Vertrauens.
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Unterstützungshinweis: Die Recherche wurde unterstützt von „Star Clippers“.