Linné hatte nämlich die Pflanzenarten nach ihren Sexualorganen kategorisiert, nach deren Anzahl und Anordnung und bezog sich deutlich auf den Menschen, was damals skandalös war. Die Staubblätter mit den Pollen verglich er mit den männlichen Sexualorganen (bei den Tieren, sagte er lieber) und die Stempel mit ihren Fruchtstoffen waren ihm analog den weiblichen Sexualorganen. „Die Blüten sind (somit) die eigentlichen Fortpflanzungsorgane der Pflanzen“, heißt es in Sponsalia Plantarum 1746 – seine Studentenschrift, in der er erstmalig von der Sexualität der Pflanzen spricht, hieß Praeludia Sponsaliorum Plantarum, – Sexualorgane, die wir schön finden, während wir die der Tiere nicht so gerne zur Kenntnis nehmen. Bissig fügte Linné hinzu, daß diese wohl deshalb meist so kurz und krumm geraten sind und vom Körper verdeckt werden. „Doch in der Welt der Pflanzen sind diese Organe nicht versteckt, im Gegenteil, sie sind gemeinhin für alle sichtbar enthüllt!“ und sie sind für uns Menschen das Schönste an der Pflanze.
Monat für Monat – was nicht ganz richtig ist, denn den Einteilungen liegen einzelne Tage des Monats zugrunde, mit Glacialis, dem 13. Dezember beginnt es und Regelationis folgt am 19. März, das ist von der Wintersonnenwende bis zur Frühlings-Tagundnachtgleiche, der Mai hat gleich zwei Daten, den 9. Mai als Frondescentiae und den 15. Mai mit Florescentiae, der Juni bringt die meisten Blüten und so kommt das Jahr mit dem November, was die Blüten angeht, so langsam zum Erliegen – zwölfmal also werden die Blüten systematisch auf schwarzer Pracht geboten. Hintergrund und gegenüberliegendes Blatt sind lackartig schwarz, während auch noch das kleinste Farbteilchen der Pflanze dadurch eine Dreidimensionalität gewinnt, daß man glaubt, die kleinen Härchen auf dem Stengel anfassen zu können. Mit den Farben, erst bläulich, später lila, dann weiß-grün, entfaltet sich vor unseren staunenden Augen eine Wunderwelt, die uns deutlich macht, daß nicht nur die Erschaffung der Pflanze ein Wunder ist, sondern auch die Fotografiererei, die diese Natur zur heimlich-unheimlichen Blüte bringt.
Dies ist ein Schönheitsbuch, auch eines, das einem zur Meditation verhilft, denn zu unwirklich erscheinen einem oft die Naturformen, die wie künstliche Anordnungen der besonderen Reize erscheinen und uns ins Nirwana gleiten lassen. Auf Beschriftung ist – richtig so! – aus ästhetischen Gründen bei den Großdarstellungen verzichtet. Dafür finden sich am Schluß die Pflanzenbeschreibungen aller Monatsblüten, nicht nur deren botanischer und umgangssprachlicher Namen, sondern auch ihre Besonderheiten bei der Befruchtung oder der Blütenbildung. Das ist also ein Buch, das nicht nur dem Schönheitssinn dient, sondern auch schlau macht, wenn man das Angebot annimmt und dem schönen Schein auf den Grund geht.
Dazu gibt es noch Essays von Henning Mankell und Tore Frängsmyr. Letzter stellt den Biologiesystematiker Carl von Linné vor. Was war das für eine Welt, als all die Klassifizierungen, die heute unsere Welt, auch die der Natur ordnen und durch das Ordnen erklären, noch nicht existierte und jeden zu eigenen Überlegungen der Zusammengehörigkeit auf der Welt zwang. Fast neidisch kann man werden, wenn man mitverfolgt, wie durcheinander das alles einmal war, was dann die Naturforscher in Systeme zwangen. Aber seien wir ehrlich, die wenigsten kennen sich heute mit diesen Wissenschaftsklassifizierungen aus und dennoch leben wir im Alltag beim Einkauf von Blumenzwiebeln genauso wie von Pflanzen vom Linneschen System: seiner binominalen Nomenklatur, ein Vor-und ein Nachname sozusagen. Das erste Wort gibt die Gattung an – genus; das zweite Wort die Art – spezies. Paeonia Hybrid beispielsweise ist die Pfingstrose, die gerade jetzt in den heißen Tagen aus dem Boden schießt. Diese Bezeichnung kannten wir immer schon. Aber erst dies Buch sagt uns im Anhang, daß diese Benennung dem Paieon folgt, der ein Schüler des Asklep war, der mit einer Wurzel dieser Pfingstrose den verwundeten Gott der Unterwelt heilte. Allerhand.
Hennig Mankell steuert eine sehr persönliche Betrachtung des Carl von Linné bei, in der dessen Lebensweg reflektiert wird, in dem er fast immer in Schweden sitzend die Natur der ganzen Welt klassifizierte. Der Fotograf selbst, der wie Linné im schwedischen Uppland lebt, hat die Pflanzen meist aus seinem eigenen Garten genommen. „Mein Ziel war es, Pflanzen zu sammeln und zu fotografieren, die Linné benannt hatte und die in Uppland gewöhnliche, beliebte Gartenpflanzen sind“. Aber dies Buch ist schließlich entstanden, weil er ein gewisses Vorhaben aufgab! „Den Gedanken, ebenso viele Pflanzen zusammenzubekommen, wie Linné in seiner Sammlung hatte, mußte ich aufgeben, als ich erkannte, daß er bei seinem Tod ein Herbarium mit fast 20 000 Pflanzen hinterließ.“
Edvard Koinberg, Herbarium Amoris. Das Liebesleben der Pflanzen, Verlag Taschen 2009