Richtig ist, dass im Biathlon in jüngster Zeit Sieggaranten und Leitbilder die Flinte ins Korn geworfen haben: Magalena Neuner, Kati Wilhelm beispielsweise oder Michael Greis und davor Sven Fischer – nur, um die prominentesten Abgänge zu nennen.
Hype und Boom einer Sportart sind – weil auch die Fernsehpräsenz so funktioniert – jedoch vor allem mit Sieggaranten verknüpft. Die sind fraglos im deutschen Biathlon weniger geworden. Bei den schießenden Läuferinnen kommen derzeit wohl nur die aufstrebende Miriam Gössner (22) und die erfahrene Andrea Henkel (35) für Podiumsränge infrage. Die einst dominante Damenmannschaft ist eine unter mehreren Spitzenteams geworden.
Dass die Staffel am Rennsteig aber ohne die Thüringerin Henkel dennoch Dritter geworden ist, unterstreicht, dass die Perspektive auch nach dem mutmaßlichen Rücktritt von Henkel nach Olympia 2014 in Sotschi so düster nicht ist. Zumal die TV-Quoten im Öffentlich-Rechtlichen ein treues Publikum verdeutlichen: Mehr als 4 Millionen Zuschauer, knapp 20 % Marktanteile.
Ähnlich die Situation bei den männlichen Kollegen: Das Quartett ohne den erkrankten Topathleten Andreas Birnbacher (31) behauptete sich am Freitagabend – diesmal ohne Dauerregen, aber fast fünf Plusgraden – hinter Russland und Norwegen auf Rang drei. Und erfüllte damit die Forderung von Herren-Bundestrainer Mark Kirchner: "Es muss einfach unser Anspruch sein, um einen Platz auf dem Podest mitzukämpfen". Bei jedem Weltcup also und in jeder Besetzung! Die Einschaltquoten da noch einen Tick besser: 4,38 Millionen und 21,4 Prozent!
Und der Vierer mit Simon Schempp, Erik Lesser, Arnd Peiffer (der war schon mal Sprint-Weltmeister) und Florian Graf sind Mitte 20 und haben ihre besten Biathlon-Jahre noch vor sich. Was für ihre Teamkolleginnen ohne Henkel ebenfalls gilt.
Das Thema Biathlonzukunft hierzulande rückte auf einer Pressekonferenz nach der Frage in den Mittelpunkt, weshalb der Verband bei den Skijägerinnen das Startkontingent mit fünf statt sechs Läuferinnen nicht ausgeschöpft habe: Weil derzeit der Leistungsstand der zweiten Reihe und der besten Juniorinnen dafür nicht ausreiche, lautete die verkürzte Auskunft von Chef-Bundestrainer Uwe Müssiggang. Der früheren Weltklasse-Langläuferin Evi Sachenbacher-Stehle tue man nach ihrem Debüt im Biathlon-Weltcup derzeit wohl auch keinen Gefallen. Sie solle also vorerst weiter Erfahrungen im zweitrangigen IBU-Cup sammeln: "Sie hat nach ihrer Langlaufkarriere pausiert und ist aktuell läuferisch nicht mehr in der Spitze. Im Schießen hat sie sich besser zurecht gefunden als vermutet."
Der Talente-Nachschub funktioniere aber insgesamt nicht so wie gewünscht: "Obwohl wir, was Strukturen, Stützpunkte und Umfeld betrifft, von allen Verbänden beneidet werden." Müssiggang, nach zwei Jahrzehnten als erfolgreichster Frauen-Trainer nun als Cheftrainer für Konzepte und das große Ganze zuständig, bestätigte eine intensive Beschäftigung mit dem Problem der kontinuierlichen Nachwuchs-Entwicklung. Die allgemein zutreffenden Faktoren für Defizite – weniger Kinder, Computer-Affinität, Konkurrenz durch Fußball und Trendsportarten, geringere Leistungsbereitschaft – zählte der Diplom-Sportlehrer nicht auf. "Wir suchen ja nicht nur Nachwuchs für den Leistungssport, sondern wir brauchen halt Ausnahme-Talente. Und die gibt es halt nicht überall und nicht immer." So habe ihm der Entdecker von Neuner und Gössner, Bernhard Kröll, aus dem Wallgau schon signalisiert, dass die nächsten Jahre solche Rohdiamanten nicht zu erwarten seien…
"Wir müssen überlegen, wie wir an absolute Bewegungstalente kommen. Und vielleicht so früh wie andere Sportarten danach suchen." Also nicht erst mit 16 oder 17 nationale Kaderkreise schaffen, sondern früher."
Eine andere Sache sei die derzeitige Ausbildung der Jüngsten. So werde in den Stützpunkten bis 15 Jahre mit dem Luftgewehr geschossen. Auf zehn Meter gegenüber 50 m dann später. Was gegenüber der Handhabe mit dem Kleinkalibergewehr völlig andere Anforderungen bei Anschlag, Pulsverhalten, Visierung, Abschuss erfordere. Müssiggang: "Das alles muss gründlich überdacht und überprüft werden."
Was den künftigen Stellenwert des Biathlons angeht, so hilft ein Blick zum Skispringen: So ganz im Abgrund der Wahrnehmung waren die Schanzenflieger ja nie gelandet. Und haben nun mit Freund, Freytag und Co. wieder Kandidaten für den Status öffentlicher Sport-Helden.