Deutsche Filmkritiker küren „Der Staat gegen Fritz Bauer“ zum besten Film des Jahres 2015

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Berlin, Deutschland (Weltexpress). Als Filmkritiker, zumal als kritischer, in einer Welt der Ware und des Spektakels zu leben, das ist nicht leicht. Immerhin fiel die Wahl zum besten Film des Jahres denen nicht schwer, die von sich behaupten, sie würden „nicht nach wirtschaftlichen, länderspezifischen oder politischen Kriterien bewerten, sondern ausschließlich nach künstlerischen“.

Gegen „Ich will mich nicht künstlich aufregen“, „Victoria“, „Von jetzt an kein zurück“ und „Wir sind jung. Wir sind stark“ setzte sich bei der aus Günter Agde, Thomas Abeltshauser, Jens Dehn, Harald Mühlbeyer, Ralf Schenk, Barbara Schweizerhof und Julia Teichmann bestehenden Jury „Der Staat gegen Fritz Bauer“ durch. Der Verband der deutschen Filmkritik (VdFk) zeichnete das deutsche Drama des in Frankfurt am Main aufgewachsenen Lars Kraume, der an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin studierten und mehrere Tatort-Filme Regie führte und größtenteils das Drehbuch schrieb, über das Werk des Faschisten-Jägers Fritz Bauer im Nachkriegsdeutschland am 15. Februar 2016 in Berlin unweit der Orte des politischen Berlin aus. Zudem erhielt der Hauptdarsteller Burghart Klaußner den Preis als bester Darsteller. Gut und nominiert waren zudem Lars Eidinger („Familienfest“), Christian Friedel („Elser, Amour Fou“), Jonas Nay („Wir sind jung. Wir sind stark.“, „Unser letzter Sommer“) und Peter Trabner („Alki Alki“, „Familienfieber“).

Klaußner spielte als Fritz Bauer den Mann in Adenauer-Staat, im revanchistischen und kapitalistischen Deutschland, der Generalstaatsanwalt der Bonner Republik der 1950 und 1960er Jahre war und nicht nur dafür sorgte, dass am Gebäude der Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main Satz 1 aus Artikel 1 des Grundgesetzes angebracht wurde, sondern der den Auschwitzprozeß in Frankfurt initiiert hatte und ihn ermöglichte.

Im Rahmen der Veranstaltung am Rande der Berlinale wurden weitere Preise der deutschen Filmkritik vergeben und zwar in zwölf Kategorien. Diese schwankten zwischen von 1956 bis 2000 leicht, danach wurde die Veranstaltungen aber derart aufgebläht wie ein Jahrzehnt zuvor die Bundesrepublik Deutschland, die dadurch aber nicht bedeutender oder besser wurde. Im Gegenteil. Doch zurück zum Thema: Auch in diesem Jahr wurden für die Kategorien bester Spielfilm, bestes Spielfilmdebüt, bester Kinderfilm, beste Darstellerin, bester Darsteller, bester Dokumentarfilm, bestes Drehbuch, beste Kamera, beste Musik, bester Schnitt, bester Experimentalfilm und bester Kurzfilm jede Menge Kandidaten nominiert und Preise vergeben.

Zu den Guten und Glücklichen gehört auch Gerd Schneiders Drama „Verfehlung“ über einen Priester, der mit einem sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche konfrontiert wird, das als bestes Spielfilmdebüt ausgezeichnet wurde. Nominiert waren noch „About a Girl“, „Ich will mich nicht künstlich aufregen“, „Im Sommer wohnt er unten“ und „Liebe mich!“.

Laura Tonke, die in „Hedi Schneider steckt fest“ eine Depressions-Patientin spielt, wurde als beste Darstellerin des Jahres geehrt. Nominiert waren neben Schneider auch Almila Bagriacik („Hördur“), Julia Hummer („Top Girl oder la déformation professionnelle“), Vicky Krieps („Das Zimmermädchen Lynn“) und Victoria Schulz („Von jetzt an kein zurück“).

In gleich zwei Kategorien gewann Sebastian Schippers in einer einzigen Einstellung gedrehtes Berlin-Drama „Victoria“. Sowohl Sturla Brandth Grøvlen für die beste Kamera als auch Nils Frahm für die beste Musik in „Victoria“ erhielten eine Auszeichnung. Dadurch wurden Yoshi Heimrath für „Wir sind jung. Wir sind stark.“ und Sophie Maintigneux für „Das Zimmermädchen Lynn“ in der Kategorie Beste Kamera auf die Plätze verwiesen. In Sachen Musik gingen Tamer Fahri Özgönenc für „Ich will mich nicht künstlich aufregen“ und Andreas Ockert für „Von jetzt an kein zurück“ leer aus.

Auch Dietrich Brüggemanns Neonazi-Farce „Heil“ wurde zweimal gekürt: Die Auszeichnung für das beste Drehbuch ging an Dietrich Brüggemann und nicht an André Schäfer („Herr von Bohlen“ sowie Hauke Wendler und Carsten Rau („Willkommen auf Deutsch“). Vincent Assmanns Leistung als Editor mit dem Preis für den besten Schnitt wurde ebenfalls gewürdigt. Karin Hammer („Von jetzt an kein zurück“) und Julia Karg („Wir sind jung. Wir sind stark“) bekamen als Nominierte Beifall.

Ekrem Ergüns „Hördur“ über ein Mädchen, das seine Leidenschaft für Pferde entdeckt, wurde als bester Kinderfilm des Jahres prämiert. Nominert waren noch „Ooops! Die Arche ist weg“ und „Reuber“.

Bester Dokumentarfilm ist nicht „California City“ oder „Nicht alles schlucken – Ein Film über Krisen und Psychopharmaka“ sondern Martin Gressmanns „Das Gelände“. Gressmann beobachtet über Jahrzehnte ein Berliner Brachgelände, auf dem während der NS-Diktatur das Gestapo-Hauptgebäude stand.

Marko Mijatovics „Stadt der Elefefanten“ über eine ehemalige Bergarbeitersiedlung in Bosnien-Herzegowina wurde von den Filmkritikern als bester Kurzfilm des Jahres ausgezeichnet. „Geschützter Raum“ und „Das offenbare Geheimnis“ waren auch nominiert.

Statt „Man müsste Räuber sein, oder zumindest Sprengmeister“ und „Liquidity Inc.“ wurde „Schicht“ von Alexandra Gerbaulet, der die persönliche Geschichte der Autorin mit der NS-Vergangenheit der Stadt Salzgitter verbindet, als bester Experimentalfilm ausgezeichnet.

Die VdFk vergab am Montagabend auch einen Ehrenpreis, der an den früheren Redakteur und Produzenten Joachim von Mengershausen für seine Lebenswerk, für Verdienste um den deutschen Film ging. Damit wolle der Verband Mengershausens Mühen um den Neuen Deutschen Film und die großen Erfolge des deutschen Autorenfilms würdigen. Mit seinem Schaffen seien die Erfolge von Wim Wenders, Rainer Werner Fassbinder, Edgar Reitz, Peter Lilienthal und Rosa von Praunheim verbunden. „Unter dem von ihm verantworteten Filmen finden sich so zeitgeschichtlich herausragende Werke wie Alice in den Städten, Paris Texas und Der Himmel über Berlin von Wim Wenders oder Heimat und Die zweite Heimat von Edgar Reitz“, teilt die VdFK mit. Mit den Worten „Wenn es Joachim von Mengershausen nicht gegeben hätte, wäre das Deutsche Kino erheblich ärmer gewesen“, würdigte Wim Wenders die Arbeit Mengershausens im Rahmen der feierlichen Preisverleihung mit einer sehr persönlichen Laudatio.

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