Isabelle, die titelgebende Hauptfigur dieses bitterbösen Romans, tritt uns in beschrieben mädchenhafter Gestalt erstmals auf Seite 43 entgegen. Vielmehr tippelt sie an uns vorbei und nach der Lektüre des Folgenden wünscht der Leser aufrichtig, es wäre dabei geblieben. Das Meisterwerk Jean Fortons, das 1957 als sein vierter Roman erschien, ist nun endlich auch auf Deutsch zu goutieren. Es wurde ein Jahr vor der „Lolita“ Nabokovs vollendet und spiegelt sowohl die „Gefährlichen Liebschaften“ Choderlos de Laclos` als auch „Den Fall“ Albert Camus. Pessimistisch zynische Helden wandern durch die Literatur dieser Zeit, bei Forton noch gesteigert durch die Schilderung der moralischen Monstrosität des perfekten Durchschnittsbürgers. Jean Forton verbrachte sein gesamtes Leben als Buchhändler und Autor von neun Romanen in Bordeaux, wo er 1982 zweiundfünfzigjährig starb.
Der mittdreißigjährige Ich-Erzähler des Romans „Isabelle“ ist vereinsamt und der Welt entfremdet, verabscheut menschliche Gesellschaft und treibt ziellos durch seine Tage und die Gassen von Bordeaux. All seine Erlebnisse hält er in selbstmitleidigen und grotesken Reflektionen fest. Aus diesem Tagebuch erfahren wir auch die Begegnung mit dem Schulmädchen Isabelle, die er zu verfolgen beschließt. Über anfänglich blankes Nachstellen kommt es bald zu einer wirklichen Begegnung, zu Gesprächen und Spaziergängen. Der Ich-Erzähler verliebt sich in Isabelle. Über 150 Seiten lang fiebert der Mann dem ersten Kuss entgegen, macht sich das Mädchen gefügig, lädt sie gar zum Spaziergang in den Wald ein.
„Sie gibt mir ihre Hand und lässt sie mir, sie schenkt mir ihre Stirn, ihr Lächeln, ihr Vertrauen, und zieht sie nicht aus eitler Koketterie wieder zurück. Wären nur alle Frauen so einfach, so ehrlich! Aber noch die Gutmütigste fände es unter ihrer Würde, auf jene Vorbehalte, die sie, wie sie glaubt, begehrenswerter machen, zu verzichten”¦“
Isabelle, das reine Mädchen, durch eine kranke Mutter und einen geschäftsführenden Vater vernachlässigt, möchte sich dem erfahrenen Mann hingeben. Es soll hier nicht verraten werden, was genau sich zwischen den beiden abspielt, was der perfide Ich-Erzähler für ein höchst grausames Spiel treibt. Nur so viel, dieser Roman wird niemanden kaltlassen, und sein erschütterndes Ende lässt den Leser ratlos und zutiefst bewegt zurück!
Fazit: die Wiederentdeckung eines großartigen Klassikers des Bösen!
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Jean Forton, Isabelle, Roman, Aus dem Französischen von Grete Osterwald, Mit einem Nachwort von Catherine Rabier-Darnaudet, 301 Seiten, Graf Verlag, München, 2011, 18,- €