Die Prophezeiung des Filmtitels hört die gealterte Helena (Gemma Jones) von einer Wahrsagerin (Pauline Collins). Ihre Tochter Sally (Naomi Watts) und deren Ehemann Roy (Josh Brolin) verspotten sie dafür. Helenas Gatte Alfie (Anthony Hopkins) fügt seinem Hohn noch eine Spur Verachtung hinzu. Doch in seinen vorherigen Filmen „Scoop“ und „Match Point“ verstrickte Allen sich zu sehr in Mystik und Vorhersehung, um Helenas Faszination nicht heimlich zu teilen. In den vergnüglichen kleinen Alltagsszenen, stets einen Schritt entfernt vom ganz Alltäglichen, enthüllt Allen, dass Helenas erhabenes Umfeld so sehnsüchtig wie sie hofft, die gleiche Prophezeiung möge sich für sie erfüllen. Sally widersteht der erotischen Anziehung ihres großen südländischen Vorgesetzten Greg (Antonio Banderas), Roy verfällt dem mysteriösen Charme seiner stets rot gekleideten Nachbarin Dia (Freida Pinto) aus dem dunklen Indien.
Den übrigen Figuren ist man allen schon ein- oder mehrmals über den Weg gelaufen. Wenn nicht auch nicht ausschließlich in „Whatever works“, so in anderen Werken Allens, der sich in „You will meet a tall dark stranger“ nur beobachtet, statt das Ensemble zu bereichern. Besonders gilt dies für den hartnäckig sein Altern verleugnenden Alfie. Beinahe unweigerlich für einen Allen-Charakter wie ihn, ergibt er sich der sexuellen Verheißung der weit jüngeren Charmaine (Judy Punch). Nicht nur weil der ironisch nach dem Filmcharmeur benannte alte Mann in seiner Jugendsehnsucht trauriger ist, als seine Allen ´schen Seelenbrüder und aufgrund seines Londoner Settings ist „You will meet a Tall Dark Stranger“ eher ein später Nachfolger von Allens düsterer England-Trilogie, als eine ortsfremde Variation seiner beschwingten Manhattan-Märchen. Ein bitter-süßer Hauch von Vergeblichkeit umfängt die sehnsüchtigen Charaktere. Eine Tragik, die schon dem aus Macbeth entlehnten Shakespeare Zitat innewohnt, welches die comedié humaine einleitet. "It is a tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing."
Jener Narr ist natürlich nicht der allwissende Erzähler (Zak Orth), sondern Woody Allen. Er, der in „Tall Dark Stranger“ sein Ensemble nicht mit einem persönlichen Auftritt bereichert, schildert die menschlichen Schwächen seiner Figuren nachsichtig. Hinter Helenas Aberglauben schlummert das Wissen um die unterschwellige Doppelbedeutung der hellseherischen Prophezeiung. Der dunkle Fremde, den die jüngeren – im Falle ihres untreuen Gatten sich jünger wähnenden Protagonisten – verleugnen, ist auch der Tod. Bis zu seiner Ankunft gilt es, jeden Moment Poesie zu erhaschen, sei es in der berührenden Komödie oder in dem von Alfie zitierten Gedicht: „So much depends on a red wheelbarrow glazed with rainwater beside the white chickens.“
Titel: You will meet a Tall dark Stranger
Land/ Jahr: USA, Spanien 2010
Genre: Tragikkomödie
Kinostart: 2. Dezember 2010
Regie und Drehbuch: Woody Allen
Darsteller: Gemma Jones, Anthony Hopkins, Freida Pinto, Lucy Punch, Naomi Watts, Roger Ashton-Griffith, Antonio Banderas, Josh Brolin
Kamera: Vilmos Zsigmond
Schnitt: Alisa Lepselter
Laufzeit: 98 Minuten
Verleih: Concorde