Der Tod in Venedig: Der Schrecken der Vorhersehung in Nicholas Roegs „Don ´t Look now“ – Serie: Belletristische Filmkunst in der Arthouse-DVD-Box „Klassiker Collection Literatur II (Teil 3/ 3)

Die blinde Heather (Hilary Mason) hat das Mädchen zwischen ihnen gesehen. Sie habe das Zweite Gesicht, behaupten die alte Frau und ihre Schwester Wendy (Clelia Matani). Laura gerät in den Bann der Spiritistinnen, die John für Scharlatane hält. Er selbst verfolgt eine kindliche Gestalt im roten Regenmantel – wie Christine ihn trug. „Nichts ist wie es scheint.“, erklärt John Laura in einer Szene. Die bittere Ironie von „Don ´t look now“ erst die Überzeugung, die Realität durchschaut zu haben, die Charaktere blind für die Wahrheit macht. „Diejenige, die blind ist. Sie kann sehen.“ Lauras Worte über Heather beschreiben den Kontrast zwischen visueller Wahrnehmung und Begreifen. Venedig mit seinen verästelten Gassen und Kanälen wird zur Seelenstadt der Charakter, dass sie in immer neue Sackgassen führt. Die Polizei verfolgt auf der Suche nach dem Mörder falsche Fährten, John erkennt nicht den Abgrund, auf den er zu rennt.

Kongenial ersteht Daphne Du Mauriers gleichnamige Erzählung als symbolistisches Horrordrama, das in der „Klassiker Collection Liteartur II“ bei Arthouse erscheint. Immer beklemmender wirkt die Lagunenstadt, die ein perfides Spiel mit den Protagonist zu treiben scheint. Höhnisches Gelächter hallt über die nächtlichen Kanäle, zwischen denen das Paar einander verliert. Das mehrdeutige „Don ´t look now“ ist auch eine hinterhältige List, ein falscher Rat. Nicht hinschauen, eine Sekunde und ein Abschied kann endgültig sein. Die Stadt will John und Laura trennen, ihre Bewohner werden zu Komplizen. Alles um die Protagonisten trägt eine Maske, die sie selbst ihm aufsetzten. Nur einander blicken sie offen an. Roeg zeigt dies in den melancholisch-zärtlichen Bildern einer Liebesszene, die er mit dem Ankleiden des Paares verflechtet. Im Moment der Lust liegt schon deren Ende. Die Umarmung ist ein unbewusster Abschied. Der bitter-süße Liebesakt spiegelt Johns verzweifeltes Umklammern von Christines Leichnam und seinen unwissentlichen Abschied von Laura.

Ein Mosaik restauriert John. Wie ein Mosaik fügt Roeg wiederkehrende Motive aneinander. Alle besitzen sie eine tiefenpsychologische Konnotation: das aus der fahlen Szenerie hervorstechende Rot des Regenmantels, von Laura Stiefeln, Johns Schal, verschütteter Farbe und Blut. Die allgegenwärtigen transparente und spiegelnde Oberflächen von Glas und Wasser, die auf das dramaturgische Motiv des Sehens und der Täuschung verweisen. Jeder auf ihre Weise verschließen beide Partner die Augen vor dem, was sie nicht glauben können oder nicht wollen – bis zur grausigen Pointe nicht. „Don ´t look now“ invertiert das Prinzip des Gruselfilms, indem er ein Grauen erweckt, das im doppelten Sinne jenseits des Vorstellbaren liegt. Der Horror liegt nicht in der Materialisierung des Übersinnlichen, sondern in der unbarmherzigen Manifestation der Realität. Donald Sutherland und der Zuschauer erstarren zu hilflosen Beobachtern, als die Wahrheit sich in ihrer ganzen Hässlichkeit enthüllt.

Die beiden Alternativen, welche sich in die Handlung im Umgang mit unerträglichem Schmerz eröffnet, sind bedrückend. Das stumme Abdriften Lauras in eine von esoterischem Aberglaube verzerrte Welt, symbolisiert durch eine Gondel, welche sie in Begleitung der Schwestern davon trägt. Oder die selbstzerstörerische Konfrontation einer Wirklichkeit, der die Psyche nicht gewachsen ist. Besser, vor dem Schrecken die Augen verschließen, nicht hinsehen, „Don ´t look now“.

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Titel: Don ´t look now – Wenn die Gondeln Trauer tragen

Land/ Jahr: Großbritannien, Italien 1973

Genre: Horrorfilm

DVD-Start: 16. September 2010

Regie: Nicolas Roeg

Drehbuch: Alan Scot, Chris Bryant

Darsteller: Julie Christie, Donald Sutherland, Hilary Mason, Clelia Matana, Adelina Poerio, Massimo Serato, Renato Scarpa, Giorgio Trestini, Nicholas Slater, Sharon Willimas

Kamera: Anthony B. Richmond

Musik: Pino Donaggio

Schnitt: Graeme Clifford

Laufzeit: 105 Minuten

Verleih: Arthouse

Internet: www.arthouse.de

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