„Eine Wunschvorstellung“, denken wir etwas gemein, beim Anblick von „Der Maler, von einer nackten Verehrerin bewundert“, einem Selbstbildnis von 2004-05. Inmitten einer künstlichen Vegetation aus verschlungenen Bettüchern und Blütenregen steht der ordentlich und bieder bekleidete Maler, die Rechte mit dem Pinsel erhoben, den Blick aber an sich heruntergleitend, denn zu seinen Füßen hat sich eine Hübsche mit dickem Busen niedergelassen, die sich an ihn schmiegt und ihre erhobene Hand fest auf seine Leiste legt, dort wo das Bein in den Unterkörper übergeht. Etwas hilflos scheint die Malergeste. Weiß er nicht, wie er reagieren soll? Der nackten Bewunderin aufhelfen oder weitermalen. Wir wissen, wie es weitergeht, denn er malt zudem ein Bild im Bild. Rechts steht die Staffelei, auf der ein Ölgemälde angefangen wurde, in dem ein Maler, nämlich er selbst, gerade mit dem erhobenen Pinsel weitermalen möchte und auf dem sich befindet: das Selbstporträt eines angezogenen Malers beim Malakt von Blumen, die auf einem Stuhl ruhen, an seinen Beinen allerdings ruht eine jugendliche Nackte, den Arm um ihn gelegt”¦.Leider kann man die Staffelei mit dem gerade entstehende Gemälde im Bild nicht erkennen, ob dieses das Thema verdreifacht und vervielfacht, so wie es diese gewissen Spiegel können.
Doch auch diese Selbstporträts haben es uns angetan und in der Tat ist es immer wieder die Darstellung der Haut, die man verfolgt, und die einem auch beim Porträt von „Heini“ interessiert. Nein, so ist der ehrwürdige Baron Heinrich von Thyssen-Bornemisza 1981-82 nicht betitelt worden, aber so wurde er gerufen, in dessen Madrider Sammlung sich auch dieses Porträt ansonsten befindet. In seinem Rücken sieht man eine galante Szene aus seiner Sammlung, die schon ein Hinweis darauf, ist was Freud auch noch begeistert. Das Nachmalen von Meisterwerken. Das Nachempfinden sollte man deutlicher sagen. Es sind vor allem Watteau und Chardin, aber auch Cezanne, die es ihm antun und deren freie Übersetzung teilweise in unsere Zeit er auch für die neue Leidenschaft, die Radierung, verwendet.
„After Cezanne“, das Ölgemälde aus dem Jahr 2000, in den Maßen 214×215 cm, läßt wieder an Egon Schiele denken, Es ist das weiße Bettlaken, das diese gewissen Konsistenz von Eis gewinnen kann, doch eigentlich aber eine angenehme Bettstatt sein soll, was angesichts des nackten Mannes und der Frau auf ihr auch inhaltlich stimmig wäre, doch diese Assoziation von Eis und den Bezug zu Schiele zwingend macht. Das Herz der Malerei ist weit und Lucien Freud blickt auf ehrwürdige Vorfahren zurück! Aber und das ist eine deutliche Aussage dieser Ausstellung: Lucian Freud hat seine eigene Handschrift gefunden, gerade dann sogar, wenn er ’nach Chardin’ und anderen malt. Und jetzt geht es in der Ausstellung nur noch um Nackte, um nackte Frauen im Überfluß. Warum macht man Dicke eigentlich immer an Botero fest, wo doch Freud eine reichliche Auswahl zwischen Monet und besagtem Botero anbietet.
Es sind immer wieder Eisenbetten und weiße Lacken die Träger der Frauen- und Männerkörper und der Hunde zudem, die gleichermaßen immer wieder einmal eine nackte Frau oder einen Mann begleiten. Im Tiefschlaf die Tiere. Manchmal auch die Nackten. Gewaltig wölben sich Bauch und Hintern, die Brüste sind bei „Benefits Supervisor Sleeping“ von 1995 so überdimensioniert, daß man sich schon Sorgen macht, wenn die Dame eine zu halten versucht, während sich die andere Hand an der Oberkante des geblümten Sofas festhält, das einmal das Bett oder die Leintüchern direkt auf dem Dielenboden als Träger der Körper ersetzt.
Auch den nackten Mann auf zierlicher Chaiselonge auf rotem Teppich von 1991-92 möchten wir nicht um uns haben. Das Bild ist normalerweise auch weit entfernt, im Metropolitan Museum in New York, wo dieser fast Kahlköpfige auf 183,5×137,5 Zentimetern uns – Gott sei dank – die Rückfront zuwendet, die Hinterbacken zusammengepreßt und den wulstigen Rücken mit dem Fett und den roten Aderspuren ins Mißverhältnis zu der zarten, ästhetisch ansprechenden Unterlage setzt. Er muß unförmig dick sein, denn seine mittlere Leibesfülle quetscht sich über das sichtbare dicke rechte Bein hinaus fließend in alle Richtungen.
Die gemalten Frauenakte sind sehr unterschiedlich. Es gibt mädchenhafte, deren Haut glänzt, und es gibt diese unförmig Dicken mit blaugeäderter Haut. Diese sind nicht unbedingt Schönheitsideale, behalten aber bei aller derben, dicken Nacktheit eine eigene Würde und auch einen Ästhetizismus, der einen im Gegensatz zu manchen Männerdarstellungen nicht gegen den Strich geht und die Härchen auf der eignen Haut nicht aufrecht stehen läßt, was bei manchem Männerakt durchaus passiert. Auf die Radierungen und sonstige Drucke und die interessanten Fotos in der Ausstellung sind wir trotz aller Fülle nicht eingegangen. Sie komplettieren das Lebenswerk des Malers Lucian Freud, dem das Centre Pompidou diese schöne und umfassende Darstellung eingerichtet hat, bei der uns der rege Besuch so vieler junger Besucher besonders beglückte.
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Ausstellung: Bis 19. Juli 2010
Katalog: „Lucian Freud. L’Atelier“, Edition des Centre Pompidou 2010. Wer wenig Material über Lucian Freud hat, sollte sich diesen Katalog sofort zulegen. Auch, wenn er kein Französisch kann. Die Bildwerke sind phänomenal wiedergegeben und die
Künstlerbiographie ist reichhaltig mit Werken und Fotos bestückt. Vielleicht am schönsten jedoch sind die Fotografien, die Lucian Freud beim Malen festhalten, sein Atelier zeigen und die vielen Stationen, die ein Gemälde durchläuft. Rundherum ein einfach sehr schönes Buch.
Internet: www.centrepompidou.fr