Berlin, Deutschland (Weltexpress). Alles hatte ganz unauffällig begonnen – und endete vor Gericht: Eine deutsche Urlauberfamilie hatte sich auf dem Rückweg von Italien in einem Hotel im schönen Tiroler Zillertal eingemietet. Die Besucher hatten über Booking.com ein Zimmer in einem „familiengeführten“ Vier-Sterne-Haus gemietet. Dem Familienvater fiel alsbald ein gar merkwürdiger Wandschmuck im Eingangsbereich des Hotels auf: Über einem Blumengesteck hingen gerahmte Schwarzweiss-Porträtfotos zweier Männer. Einer der beiden trug die Uniform der deutschen Wehrmacht – mit Hakenkreuz.
In zwei Online-Bewertungen brachte der deutsche Urlauber seine Irritation über diese verstörende Entdeckung zum Ausdruck: „Am Hoteleingang: Bild vom Nazi-Opa“ schrieb er in deutscher Sprache auf der Plattform Booking.com, über die er ja seinen Aufenthalt gebucht hatte. Einen zweiten, ähnlichem Kommentar placierte er, diesmal in englischer Sprache, auf der Onlineplattform TripAdvisor. Vorsichtshalber verwendete er in beiden Fällen ein Alias und nicht den eigenen Namen. Nicht bedacht hatte er dabei allerdings, dass über die Buchungsnummer auf Booking.com das Posting seiner Person zugeordnet werden konnte. Das Hotel brachte so bald in Erfahrung, wer sich da in leicht ironischem Tonfall über die Fotos des verstorbenen Onkels und des Großvaters der Besitzerin in Wehrmachtsuniform aufregte. Die Hotelbesitzerin wollte das nicht auf sich sitzen lassen und ging vor Gericht.
Die Hotelierin klagte den Gast wegen Beleidigung und Behauptung falscher Tatsachen auf Unterlassung – Streitwert über 20.000 Euro – an. Seine Mandantin, sagte deren Rechtsvertreter Stefan Kofler, habe sich gerichtlich zur Wehr setzen müssen, da durch den Wortlaut des Online-Kommentars der Eindruck erweckt worden sei, dass man mit dem Nationalsozialismus sympathisiere.
Die Sache ging weiter: In einem zweiten Prozess in Deutschland klagte der Gast gegen einen Angehörigen der Hotelbesitzerin, weil dieser ihn wiederholt telefonisch zur Löschung seiner Postings aufgefordert habe. Das Landesgericht Innsbruck erließ eine einstweilige Verfügung gegen den Gast: Dieser habe seine „diffamierenden“ und „gesetzwidrigen“ Postings zu löschen und weitere Kommentierungen im Internet zu unterlassen. Begründung: Das Interesse der Klägerin, ihren guten Ruf zu wahren, sei in diesem Fall höher zu bewerten als das Recht des Gastes auf freie Meinungsäußerung.
Erst richtig spannend aber wurde die Angelegenheit, als jener deutsche Urlauber die Behauptung der Hotelierin, ihr Onkel sei zwar wie zahlreiche andere Österreicher gezwungen worden, in der Wehrmacht zu dienen – aber er sei nie ein Nazi gewesen, überprüfte. Deshalb hatte sie ja auch die Klage auf Ehrenbeleidigung erhoben. Es sei durchaus landesüblich in Tirol, verstorbene Familienangehörige zu ehren, indem man ihr Foto in Korridoren und Hauseingängen aufhänge. Und inzwischen habe sie das kontroverse Foto ohnehin abgehängt.
Die Angelegenheit hat ein Nachspiel für die Internatplattform Booking.com: Datenschutzexperten warfen angesichts dieses Falles die Frage auf, ob die Plattform ihre Nutzer ausreichend auf die Möglichkeit hinweisen, dass anonym abgegebener Kommentare durch die Betroffenen mit Leichtigkeit auf den Autor zurückgeführt werden können. Denn die Datenschutzverordnung verlange, dass Daten in einer für die betroffene Person nachvollziehbare Weise verarbeitet würden. Der betreffende Gast machte denn auch geltend, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass das Hotel so einfach herausfinden konnte, dass seine Onlinebewertung auf ihn zurückzuführen sei.
Die Pointe: Der Mann gab nicht auf und recherchierte in deutschen Archiven über die Vergangenheit der beiden Männer in Wehrmachtsuniform – und fand heraus, dass beide tatsächlich Mitglieder der NSDAP waren. Entgegen der Argumentation der Hotelbesitzerin, das Tragen einer Wehrmachtsuniform heiße noch nicht, dass man damals ein Nazi gewesen sei, erwies sich also die Qualifizierung „Nazi“ im Nachhinein als völlig gerechtfertigt.
Dass der Innsbrucker Gerichtshof seine Tourismusbetriebe fast reflexartig gegen Urlauber in Schutz nimmt, die sich durch Hakenkreuze auf Fotos in Hotels irritiert oder gar verletzt fühlen, gibt schon zu denken. Zumal in Österreich seit 1947 das sogenannte Verbotsgesetz gegen nationalsozialistische Wiederbetätigung gilt – eine Ergänzung, das Abzeichengesetz verbietet in Paragraph 1 unter anderem Nazi-Symbole, also insbesondere das Hakenkreuz öffentlich zur Schau zu stellen. Dieser Tatbestand könnte mit einer öffentlich zugänglichen Fotografie, auf der Hakenkreuze zu sehen sind, durchaus gegeben sein.
Übrigens bin ich selbst einer Wiener Pension im Vierten Bezirk vor einigen Jahren mitten im Korridor auf die großformatige Fotografie eines Mannes in Wehrmachts- oder gar SS-Uniform gestoßen. Ich beschwerte mich damals sofort empört, was bei den Besitzern auf eher gleichgültige Reaktionen stieß.
Anmerkung:
Dieser Artikel ist bereits im Schweizer Wochenmagazin „Tachles“ in ähnlicher Form erschienen.