Denn die Moschee als Ort Allahs, die junge Muslimin Maryam (Maryam Zaree) und ihr Vater (Vedat Erincin), der liberale Imam dieser Moschee und Vedat genannt, stehen im Zentrum des Films. Die Absicht des Films dabei ist es, die Protagonisten im Film reflektieren zu lassen, wie man in einer aufgeklärten, westlich definierten Gesellschaft Muslim bleiben kann. Dabei sind nicht die äußeren Reibungspunkte: Kleidung, Lebensweise, Verhalten und Werte, in denen sich Deutschland definiert, der Stein des Anstoßes für die jungen Muslime, sondern ihre eigenes Inneres, das ihnen andere Wünsche, Sehnsüchte, Überlegungen und dann auch Taten diktiert, als es der Islam von ihnen fordert.
Für den jungen Nigerianer Samir (Jeremias Acheampong) und seinen deutschen Kollegen Daniel (Sergej Moya) liegt der Fall klar: beide fühlen sich zueinander hingezogen, geben den Gefühlen auch kurz nach, was für Samir zu unaufhörlichen Selbstbeschuldigungen führt, aber auch tiefen Aggressionen gegenüber dem eigentlich begehrten Daniel, der wiederum mit der Situation kein Problem hätte, würde Samir sich nicht so anstellen und ihn so schlecht behandeln. Maryam nun wurde ungewollt schwanger, was sie vor allen verbarg, auch dem Vater, und nach einer schlecht vorgenommenen Abtreibung nun Schmerzen und hohen Blutverlust hat. Sie sucht aus dem tiefen Gefühl ihrer eigenen Schuld heraus Hilfe in der Religion und entwickelt sich dort zur Fanatikerin, die dem liberalen Imam und Vater vor der Gemeinde die Schau stiehlt.
Ismail (Carlo Ljubek), Polizist und Vater, hatte vor Jahren im Dienst eine junge Frau angeschossen, die schwanger war und das Kind dadurch verlor. Diese sieht er nun wieder und kann sich seiner Schuld nicht entziehen, will büßen und dafür Frau und Tochter aufgeben, um mit seinem „Opfer“ zu leben. Die jedoch sieht sich nicht als Opfer und sagt ihm deutlich, daß der Schuß ein ungeliebtes Kind getötet habe, worüber sie froh sei. Dies ist Ismail völlig unverständlich, denn er hatte sich in seinen Schuldgefühlen eingereichtet, aber es befreit ihn und er kehrt heim.
In der Pressekonferenz ging es auch um das Verhältnis aller Religionen zur Homosexualität und darum, daß das Problem des Islam sei, daß anders als in den anderen Weltreligionen kein Kirchenkörper vorhanden ist, an dem man sich reiben kann und der sich ändern könnte und daß es von daher auch keine unserer Aufklärung adäquate Phase gegeben habe, die zwischen Welt und Gott trenne. Die Forderung der Anpassung des Islam an die gegenwärtige Zeit wird all den kleinen Gemeinden überantwortet, die damit überfordert sind, weshalb für den Islam keine Veränderungen, kein Fortschritt auszumachen ist. Der Film zeigt am Beispiel der Tochter eine Radikalisierung im Glauben, da sie aus eigenem Fehlverhalten heraus eine fanatische Islamistin wird und Gott als Strafenden herbeisehnt, der all die Weichspüler unter islamischen Imamen und Gläubigen endlich auf den rechten Weg bringt. Der Film arbeitet unaufhörlich mit Schuld als dem treibenden Handlungsmotiv der Muslime. „Schuld“ aber ist eine originär katholische Moralkeule, die im Katholizismus auch ihre hilfreiche Entsprechung in der Sühne hat, durch die Beichte, die reinigt und den Gläubigen in den Stand der Unschuld zurückversetzen kann.
Wie stark also ist die Schuld auch ein Bestandteil im Islam, war die notwendige Frage und kennt dieser die Erbsünde? Nein, sagt dazu Burhan Qurbani, die Schuldfrage, die den Film durchzieht, ist nicht im Islam konstituiert, sondern liegt schlicht in seiner eigenen Person, der des Regisseurs, denn er sei sein Leben lang von Schuld geprägt, von familiären Schuldgefühlen angefangen, die seine Vita durchziehen. Dazu allerdings muß man anmerken, daß er sehr jung ist, dieser Burhan Qurbani, 1980 geboren.
Warum aber die Episoden? Warum hat der Regisseur nicht einer Geschichte so vertraut, daß er sie zum Film machte, was uns sinnvoller erscheint? Da habe er Angst davor gehabt, erwiderte offen der junge Regisseur, daß er die Leinwand nicht füllen könne mit einer einzigen Geschichte, die Ruhe zum Erzählen gebraucht hätte. Aber so könnten die Episoden sein Hauptanliegen differenziert darstellen? Er nämlich akzeptiere keine Deutungshoheit des Islam durch andere. Wenn der Film eine Botschaft habe, sei es die: „Werde selig nach Deiner Fassung. Du hast das Recht mit Deinem Gott Deinen Frieden zu machen. Denk nach.“
Originaltitel: Shahada
Land/Jahr: Deutschland 2010
Regie: Burhan Qurbani
Darsteller: Maryam Zaree, Vedat Erincin, Jeremias Acheampong, Sergej Moya, Carlo Ljubek
Bewertung: * * *