Der Fall Compact: Eine gut geölte Zensurmaschine wird angeworfen

Jürgen Elsässer in "Compact" über den "Kiosk-Krieg". © Münzenberg Medien, Foto/ BU: Stefan Pribnow, Ort und Datum der Aufnahme: Prag, 8.2.2024

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Irgendwann wird man einmal in den Akten nachlesen können, warum Verfassungsschutz und Correctiv so gut ineinander greifen. Jetzt kann man es nur verblüfft beobachten. Wer jedoch meint, beim Vorgehen gegen Compact sei nur Compact gemeint, der täuscht sich gewaltig.

Es wird von Tag zu Tag unheimlicher, und langsam kommt es mir vor wie ein Reichstagsbrand in Zeitlupe. Oder, besser noch, aufgeteilt in kleine Häppchen, die über viele Folgen hinweg verabreicht werden.

Müsste ich jetzt jubeln, wenn das Magazin Compact aus den Bahnhofsbuchhandlungen verschwindet? Auch wenn ich kein Fan von Jürgen Elsässer, dem Herausgeber, bin, ist mir wirklich nicht danach. Weil man sich gewaltig irrt, diese Entwicklung für einen Fortschritt zu halten.

Das ist das zweite, oder, wenn man die Grundrechte-Nummer zu Björn Höcke mitzählt, das dritte Mal, dass vier verschiedene Stränge ineinander greifen wie Teile einer einzigen Maschine. Der Verfassungsschutz als Stichwortgeber, Correctiv als Lautsprecher, die Menge der Mainstream-Medien als Multiplikatoren und zuletzt dann ‒ das fehlt noch bei Compact ‒ die entsprechenden Äußerungen aus der Politik. Wie bei Höcke und dem Stichwort „AfD-Verbot“ findet sich auch noch das Petitionsportal Campact mittendrin.

Es ist aber nicht nur dieses viel zu abgestimmte Handeln, das dieses unheimliche Gefühl auslöst. Es ist auch die Art und Weise, wie das, was zum Guten erklärt wird, ausgeführt wird. Wenn drei Ketten von Bahnhofsbuchhandlungen mehr oder weniger gleichzeitig unter einer öffentlichen Erklärung ein Magazin aus dem Sortiment nehmen, ist das aus zwei Gründen ungewöhnlich. Zum einen wieder einmal durch den Zeitablauf – da reagiert nicht der eine auf den anderen, da muss es einen gemeinsamen Auslöser geben. Und zum anderen, weil derartige Auslistungen ständig passieren, üblicherweise aber ohne öffentliches Tamtam. Zeitschriften kommen und gehen, und in der Regel wird eine ausgelistet, weil sie sich schlecht verkauft.

Nebenbei, es ist mitnichten so, dass eine derartige Entscheidung, ein Produkt nicht mehr anzubieten, das Einzige wäre, was passieren könnte. Im vergangenen Jahr durfte beispielsweise die Literaturzeitschrift Sinn und Form nicht erscheinen, weil eine andere Literaturzeitschrift eine Wettbewerbsklage eingereicht hatte. Druckerzeugnisse, die strafbare Aussagen beinhalten, können nach wie vor beschlagnahmt werden. Was man auch umdrehen kann – wenn sie oberhalb einer bestimmten Auflage nicht beschlagnahmt werden, dann mit ziemlicher Sicherheit, weil der Inhalt eben nicht strafbar ist (es gibt sogar Verbote von Zeitschriften in Deutschland).

Mitte der 1970er hatte ich eine lokale Lieblingslektüre, Das Blatt. In jener Zeit waren Stadtmagazine noch etwas Neues, in der Regel schwarz-weiß, weil Farbdruck viel zu teuer war, und gern auch etwas anarchistisch. Beim Blatt machte sich das mit den äußerst beliebten Karikaturen bemerkbar, die damals Gerhard Seyfried zeichnete, und mit gelegentlichen Textbeiträgen wie einem Vorabdruck von Bommi Baumanns „Wie alles anfing“. Das Blatt, das alle zwei Wochen donnerstags erschien, musste man sich schnell sichern, weil es gern mal beschlagnahmt wurde, unter anderem wegen eben jener Karikaturen, die damals als „Verherrlichung von Gewalt“ klassifiziert wurden. Ich hatte eine Abmachung mit dem Mitarbeiter des Kiosks am Wettersteinplatz – er legte mir immer sofort ein Exemplar beiseite, sodass ich selbst dann noch versorgt war, wenn alle anderen Exemplare einkassiert wurden.

Das war ein klitzekleines bisschen lächerlich, weil die Bildchen einfach nur lustig waren, und ein bisschen Katz-und-Maus-Spiel, aber es war auch symbolisch für die Atmosphäre dieser Zeit, die dann im Herbst 1977 ihren Höhepunkt erreichte. Wer nachfühlen will, wie das damals war, kann das in Margarethe von Trottas Film „Die bleierne Zeit“ tun. Die Beschlagnahmungen beim Blatt waren nur die Spitze des Eisbergs, es gab auch Aufforderungen aus der Bild, Bücher von Heinrich Böll aus den Buchhandlungen und Bibliotheken zu entfernen, weil dieser „mit Terroristen sympathisiere“.

Aber damals gab es einen Schriftstellerverband, eine IG Druck und Papier und auch noch eine Gewerkschaft HBV, in der die Buchhändler organisiert waren, die sich an diesem Punkt auch zur SPD-FDP-Regierung unter Helmut Schmidt in Opposition sahen und dementsprechend protestierten. Wenn man die heutigen Gewerkschaften betrachtet, die Journalistenverbände eingeschlossen, kommen einem nur noch die Tränen.

Übrigens war damals die Bahnhofsbuchhandlung in München ‒ noch lange nicht Teil einer großen Kette ‒ einer der Lichtblicke. In der ließ sich immer interessante politische Literatur finden. Und es gab damals Bemühungen, eine wirklich rechtsextreme Zeitung, die Deutsche Nationalzeitung, aus den Kiosken zu kriegen, aber das lief völlig anders. Über Beschlüsse der Mitarbeiter, beispielsweise. Und das war wirklich ein ganz anderes Kaliber als Compact. Aber es ist ein grundlegender Unterschied, ob Kunden und Mitarbeiter darauf drängen, ein bestimmtes Produkt nicht mehr sehen zu müssen, oder ob internationale Konzerne es auslisten. Das eine könnte man wenigstens zu Recht als einen Wunsch der Zivilgesellschaft bezeichnen, das andere ist allerhöchstens eine Simulation eines solchen.

Wie muss man sich den Ablauf vorstellen, der dieser Entscheidung vorausging? Nachdem die zeitliche Folge so eng ist, wird es kaum ein Brief gewesen sein, der eingegangen ist. Bei der Deutschen Post kann man ja nicht mehr wissen, wie lange er braucht.

Also war es ein Anruf, oder mehrere. Von wem? Vom Verfassungsschutz oder von Correctiv? Immerhin dürfen die Schlapphüte so etwas seit der letzten Gesetzesänderung. Nun, die Übergänge sind ohnehin fließend. Anrufe, auf die hin gleichzeitig in drei Ketten entschieden wird, eine bestimmte Zeitschrift aus dem Sortiment zu nehmen. Gut, das kann normalerweise ein Geschäftsführer entscheiden, oder der zuständige Abteilungsleiter. Aber, wie schon erwähnt, Presseerklärungen sind da nicht üblich (wobei sich auf allen drei Webseiten keine entsprechenden Erklärungen finden).

Nehmen wir einmal an, es habe diese Mitteilungen tatsächlich gegeben und sie seien auch tatsächlich so erfolgt, wie Correctiv sie zitiert, und es wurde nicht von Correctiv einfach eine Aussage aus dem Gespräch genommen oder gar erfunden. Irgendwie doch eigenartig, wie folgsam die aktuellen Worthülsen abgeliefert wurden. Mitarbeiter von derartigen Pressestellen sind normalerweise damit beschäftigt, neue Filialen oder Betriebsjubiläen in Meldungen zu verwandeln, und nicht mit politischen Erklärungen. Vielleicht wird mal eine Lesung eines Bestsellers in einer Filiale beworben. Gibt es etwas für diese Sätze? Kaum anzunehmen, dass morgen die Kunden ihre nächstgelegene Bahnhofsbuchhandlung stürmen und sich stapelweise Lektüre holen, weil dort Compact nicht mehr vertrieben wird.

Nein, das sieht eher nach subtilem Druck aus, der in diesem Fall dann entweder vom Verfassungsschutz oder von Correctiv mit Hinweis auf die Deutsche Bahn als Vermieter ausgeübt werden könnte. Garniert mit einem freundlichen Angebot, man werde auch beim Abfassen einer entsprechenden Erklärung behilflich sein. „Ein Angebot, das sie nicht ablehnen können“?

Doch selbst wenn dem nicht so gewesen sein sollte und alle drei Unternehmen spontan und zufällig gleichzeitig beschlossen hätten, jetzt Compact aus dem Angebot zu nehmen und dazu eine politische Erklärung zu schreiben, warum erfolgt diese Erklärung dann ausgerechnet an Correctiv?

Ist doch nur dieses komische Ding von dem komischen Elsässer, werden jetzt manche sagen, ist doch nicht schlimm. Aber erstens ist es das Wesen von Grundrechten wie der Meinungsfreiheit, dass sie für alle sind oder eben nicht sind, und zweitens lässt sich schon erahnen, wie das weitergeht. Im September erschien beispielsweise ein Artikel in der Märkischen Oderzeitung, der sich beschwerte, „rechte und rechtsextreme Zeitschriften“ würden am Kiosk angeboten. Da wurde dann auch Tichys Einblick genannt.

Damals, in den Siebzigern, war ein Gedicht von Martin Niemöller ziemlich populär. „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Man kannte dieses Zitat, und zog seine Schlüsse daraus. Dass nämlich eine Einschränkung demokratischer Rechte immer wesentlich mehr Menschen betrifft, als anfänglich gesagt wird. Man also auf den Inhalt achten muss, nicht auf den Anlass. Gibt es irgendeinen Grund, bei Compact aufzuhören, wenn das so sauber durchrutscht?

Die Art und Weise, wie die einzelnen Teile ineinander greifen, Correctiv und Campact und Medien und die nun zum allgemeinen Maßstab der Moral erklärten Bewertungen durch den Verfassungsschutz, das erweckt schon fast den Eindruck, Correctiv und Campact seien genau dafür geschaffen worden: um aus diesen Bewertungen Handlungen zu machen, die weder durch einen Rechtsverstoß ausgelöst noch rechtlich überprüfbar sind.

Die Meinungsfreiheit ist durch die Gesetze eingeschränkt, heißt es im Grundgesetz. Der Verfassungsschutz ist grundsätzlich in jenem Bereich tätig, in dem es eben nicht um Gesetzesverstöße geht, für die sind die Strafermittlungsbehörden zuständig. Er war und ist eine eigenartige, grundrechts- und demokratiefeindliche bundesdeutsche Institution, deren einzige wirklich legitime Tätigkeit die Spionageabwehr ist.

Kaum jemand im heutigen Deutschland ist sich noch bewusst, wie befremdlich dieses deutsche Konstrukt selbst auf westeuropäische Nachbarn wie Italien und Frankreich wirkte, wo Kommunisten auch mal in der Regierung saßen oder Polizisten wurden und die Welt nicht davon unterging, dass der Fahrkartenkontrolleur im Zug Anarchist war.

Die heutige EU mit ihren dutzenden Zensurvorgaben und ihrer permanenten Überwachung ist vielmehr so, als habe sich diese Bundesrepublik ausgebreitet wie ein Schimmelpilz und sich auch über jene Länder gelegt, deren Verständnis von politischer Freiheit einmal anders aussah. Eine Linke, die Wert auf demokratische Rechte legt, auch wenn sie von politischen Gegnern genutzt werden, gibt es nicht mehr. Kein Journalistenverband wird sich berufen fühlen, die Entscheidung von Vertriebskonzernen darüber, was man lesen dürfe und was nicht, zu kritisieren.

Dabei ist, selbst wenn Compact so gefährlich wäre wie behauptet, keine Zeitschrift eine größere Gefahr für die Demokratie als die Abtretung weiterer Entscheidungsmöglichkeiten über die Meinungsfreiheit an Konzerne. Ohnehin gehören die meisten gedruckten Medien in Deutschland nur fünf Familien, was die mögliche Auswahl wie auch die Bandbreite gelieferter Informationen schon beträchtlich einschränkt. Nun werden also die Vertriebsfirmen gewissermaßen als Torwächter etabliert, um Produkte fernzuhalten, die nicht den fünf gehören.

Es ist fast schon etwas anachronistisch, weil das entscheidende Gesicht der Zensur heute digital ist, aber das ändert nichts daran, dass eine durch ihre hohe Konzentration leicht zu zensierende Medienlandschaft eine weit größere Gefahr für die Demokratie darstellt, als sie ein Magazin mit einigen zehntausend Lesern je sein kann.

Und es ist nicht so, als würde Correctiv, das nach einer päpstlichen Rolle zu streben scheint, nicht bereits zu erkennen geben, dass auf seiner Speisekarte noch mehr steht. Denn kann man ernsthaft Compact gegenüber ausgerechnet den Vorwurf erheben, es habe Baerbock, von der Leyen und Strack-Zimmermann auf einem Titel die „Kriegshexen“ genannt? Das mag eine Verunglimpfung eines altehrwürdigen Berufs sein, aber als „Friedensengel“ kann man das Trio gewiss nicht verkaufen.

Dass Correctiv treuestens auf NATO-Linie ist, lässt sich vielfach verfolgen. In dem frisch aktualisierten Modell politischer Denunziation geht es demgemäß um alle und alles, was davon abweicht. Compact ist nur der Appetithappen.

Anmerkungen:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde am 7.2.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

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