Der „Datterich“ der Frankfurter „Fliegenden Volksbühne“ – ein Tribut zum 200. Geburtstag des Autors

Szene mit Hans Diehl (Datterich), Dominic Betz (Schmitt) und Susanne Schäfer (Lisette). © Fliegende Volksbühne

Sucht man Vergleiche, so muss man schon auf Dichter wie Nestroy zurückgreifen, um die Qualität dieses Stückes zu begreifen. Niebergalls Hauptfigur, ein verkrachter ehemaliger Finanzbeamter, dem Trunke zugetan und immer in Geldverlegenheit, ist auch ein „Zerrissener“,  zu schillernd , als dass man den Charakter holzschnittartig auf die Bühne bringen könnte. Dies haben in der Vergangenheit schon so große Darsteller wie Joseph Offenbach und Günther Strack gezeigt, nun finden wir dies im Spiel von Hans Diehl erneut. Sein Datterich ist eine ambivalente Figur: Einerseits  bauernschlau und listig, da er auf diese Weise seinen Lebensunterhalt und sein Zechgeld sichert, auf der anderen Seite eine melancholische Seele, die selbst nicht so recht zu begreifen scheint, was da mit ihr passiert. Darüberhinaus ist der Datterich aber auch ungeheuer kreativ, mit Phantasie und Rhetorik gesegnet, der zu ungeahnter Form aufläuft, wenn es gilt, eine Schnorrergeschichte zu einem ganzen Drama auszubauen. Zuweilen aber scheint er in sich hinein zu horchen, Auswege zu suchen, doch  ein alternativer Lebensentwurf steht nicht zur Verfügung. Und so erträgt er sein Schicksal. Diehl spielt den Datterich mit allen diesen Widersprüchen, eher verhalten und leise, sein Körper erzählt das, was der Text nicht ausspricht. Nie wird sein Spiel plakativ oder plump.

Den Kontrast bilden die anderen Figuren der Handlung, von dem der Zeitungslektüre verfallenen Spießer Dummbach (Michael Quast), den marionettenhaften Polizisten bis zu dem dämlich-naiven Liebespaar Marie und Herr Schmitt, dass sich zum Ende dann auch bei Niebergall in die Arme schließen darf. Diese Figuren, von Niebergall allesamt als Karrikaturen des biedermeierlichen Bürgertums gezeichnet, bringt das Ensemble auch genau so auf die Bühne.

Niebergall war Darmstädter und ist Teil des Stadtmarketings geworden. Selbst eine Schule wurde nach ihm benannt. Zu seinem Jubeljahr gibt es deshalb auch ein „Datterich-Festival 2015“ mit Ausstellung und einem Kongress von „Datterologen“ an der Universität. Angesichts des Bildes, das Niebergall im Datterich von seinen Mitmenschen gezeichnet hat, müssen sich die Darmstädter schon zu zu sehr großer Selbstironie fähigen Bürgern entwickelt haben oder sie haben den Autor halt nicht verstanden.

Dem Stück verdanken wir übrigens auch einige zeitlos unvergängliche Zitate. Eines davon könnte man dem derzeitigen griechischen Finanzminister empfehlen: Bezahle, wenn mer Geld hat, ist kaa Kunst – aber bezahle, wenn mer kaans hat, des is a Kunst!

Regie: Michael Quast und Sarah Groß, Musik: Michael Erhard, Bühne: Anna Sophia Blersch, Kostüme: Verena Polkowski
Weitere Vorstellungen bis Ende Mai 2015

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