Den Siegern die Beute

Kein Wunder. Es ist ein höllischer Job. Man kann nichts falsch machen, weil der Außenminister für nichts verantwortlich ist. Ernste ausländische Fiaskos liegen immer vor der Tür des Ministerpräsidenten, der jedenfalls die Außenpolitik bestimmt. Der Außenminister reist rund um die Welt, hält sich in Luxushotels mit einer Küche für Feinschmecker auf, hat seine Fototermine in Gesellschaft von Königen und Präsidenten, erscheint fast täglich im Fernsehen. Das reine Paradies.

Für jemanden, der öffentlich erklärte, dass er bald – vielleicht in anderthalb Jahren – Ministerpräsident werden will, ist dieser Posten sehr vorteilhaft. Die Leute sehen ihn unter den Großen der Welt. Man sieht „ministerpräsidentenhaft“ aus.

Außerdem ist keine Erfahrung nötig. Für Lapid, der vor weniger als einem Jahr in die Politik ging, ist dies ideal. Er hat alles, was ein Außenminister braucht: gutes Aussehen und fotogene Qualität. Schließlich machte er seine Karriere beim Fernsehen.

Warum wurde er nicht Außenminister? Warum ließ er sich das Finanz-ministerium aufhalsen – der bei weitem anstrengendste Job, der einen Politiker aufbauen oder kaputt machen kann?

Sehr einfach, weil an der Tür des Außenministeriums ein großes Schild hängt: Besetzt.

Der letzte Außenminister, Avigdor Lieberman war wahrscheinlich die am wenigsten passende Person des Landes für diesen Job. Er ist kein Apollo. Er hat ein brutales Aussehen, verschlagene Augen und einen geringen Wortschatz. Er ist nirgends in der Welt beliebt, außer in Russland und dessen Trabanten. Er ist von den meisten seiner internationalen Kollegen gemieden worden. Viele sehen ihn rundweg als einen Faschisten an.

Aber Netanyahu fürchtet sich vor Lieberman. Ohne Liebermans parlamentarische Sturmtruppe hat der Likud nur 20 Sitze – nur eine mehr als Lapid. Und innerhalb der vereinigten Partei könnte Lieberman in einer nicht allzu entfernten Zukunft Netanjahu ersetzen.

Lieberman ist gesetzlich gezwungen worden, das Außenministerium zu verlassen. Das Gesetz verbietet einer angeklagten Person, in der Regierung zu dienen. Seit vielen Jahren schwebt eine dunkle juristische Wolke über seinem Haupt. Ermittlungen, die folgten, erregten den Verdacht riesiger Bestechungen; schließlich entschied der Staatsanwalt, sich mit einer Anklage über Betrug und Vertrauensbruch zu begnügen: ein unbedeutender Diplomat, der Lieberman eine geheime Akte zukommen ließ, die die Ermittlungen über ihn betrafen, wurde mit einer Botschafterstelle belohnt.

Netanyahus Furcht vor Lieberman verleitete ihn, ihm zu versprechen, dass der Posten des Außenministers nicht vergeben werde, bis zum Endurteil über seinen Fall. Wenn er freigesprochen wird, wird seine gehobene Position auf ihn warten.

Dies mag eine einzigartige Vereinbarung sein. Nachdem Lapids Wunsch, ihm zu folgen, blockiert war, erklärte Lieberman in dieser Woche triumphierend: „Jeder weiß, dass das Außenministerium der Beitenu-Partei gehört“.

Das ist eine interessante Behauptung. Es könnte sich lohnen, über ihre Auswirkungen nachzudenken.

Wie kann ein Regierungsamt einer Partei „gehören“?

In Feudalzeiten belohnte der König seine Edlen mit einem vererbbaren Lehnsgut. Jeder Edelmann war in seiner Domäne wie ein kleiner König, theoretisch schuldete er dem Herrscher Treue, aber in der Praxis war er fast unabhängig. Sind moderne Ministerien solche Lehnsgüter, die dem Parteichef „gehören“?

Dies ist eine Frage des Prinzips. Von Ministern erwartet man, dass sie dem Land und dessen Bürgern dienen. Theoretisch sollte der für dieses Amt geeignetste Mann/ die geeignetste Frau ernannt werden. Die Parteizugehörigkeit spielt natürlich eine Rolle. Der Ministerpräsident muss schließlich eine wirksam arbeitende Koalition aufbauen. Doch der wichtigste Gesichtspunkt selbst in einer Demokratie mit vielen Parteien sollte die Fähigkeit des Kandidaten für dieses besondere Amt sein.

Leider ist dies selten der Fall. Obgleich kein gewählter Ministerpräsident soweit gehen sollte wie Ehud Barak, der 1999 fast ein sadistisches Vergnügen zeigte, als er jeden seiner Kollegen in ein Ministerium setzte, für das er am wenigsten tauglich war. Shlomo Ben Ami, ein milder Professor der Geschichte, wurde ins Polizeiministerium – auch bekannt als Ministerium für Innere Sicherheit – gesetzt , wo er für einen Vorfall verantwortlich war, in dem mehrere arabische Bürger erschossen worden waren. Yossi Beilin, der von originellen politischen Ideen übersprudelte, wurde ins Justizministerium geschickt u.s.w.

Ich erinnere mich an eine Zusammenkunft mehrerer neuer Minister bei einem diplomatischen Empfang bald danach. Sie waren alle verbittert; ihre Kommentare waren nicht druckreif.

Aber das war nicht der Punkt. Der springende Punkt war, dass durch die Ernennung von Ministern, die ihren anvertrauten Aufgaben gar nicht gewachsen waren, Barak gegenüber den Interessen des Staates großen Schaden angerichtet hat. Man vertraut seinen Körper nicht einem Arzt an, der in Wirklichkeit ein Jurist ist, so wie man auch sein Geld nicht einem Banker anvertraut, der in Wirklichkeit ein Biologe ist.

Doch die Idee der Verleihung politischer Ämter schwebte jetzt über dem ganzen Prozess der Kabinettsbildung. Die Zuerkennung von Ministerien ähnelt mehr einem Streit unter Dieben um die Beute als einem verantwortlichen Prozess, die Ministerien mit Männern und Frauen zu besetzen, die für die Sicherheit und das Wohlergehen der Nation verantwortlich sind.

Der Streit, der die Bildung der neuen Regierung mehrere entscheidende Tage lang behindert hat, ging um das Bildungsministerium. Lapid wünschte es für seine Nummer zwei, einen orthodoxen, (wenn auch moderaten) Rabbiner. Der Amtsinhaber Gideon Sa’ar klammerte sich mit all seiner Kraft an das Amt und organisierte Petitionen zu seinen Gunsten unter Lehrern, Bürgermeistern und anderen.

Dies hätte ein legitimer Kampf sein können, wenn es über Fragen der Bildung gegangen wäre. Zum Beispiel hat Sa’ar, ein fanatischer Likudmann, seine Schüler an religiöse und nationalistische Orte im Groß-Erez-Israel geschickt, um sie mit patriotischem Geist zu erfüllen. Er war auch mehr darauf konzentriert, dass seine Schüler in internationalen Tests ihre Fähigkeiten beweisen, als auf Bildung als solche.

Aber keiner sprach über diese Themen. Es war ein reiner Kampf um das Amt. In mittelalterlichen Zeiten könnte dies mit Lanzen in einem Turnier ausgefochten worden sein. In diesen zivilisierten Tagen benützen beide Seiten politische Erpressung. Am Ende siegte Lapid.

Ich bin kein großer Bewunderer von Zipi Livni und ihrem Auftreten wie das eines verzogenen Gör. Aber ich bin froh über ihre Ernennung zur Justizministerin.

Ihre beiden Vorgänger hatten die Absicht, den Obersten Gerichtshof zu zerstören und dem „juristischen Aktivismus“ ein Ende zu setzen (dies scheint heutzutage in vielen Ländern ein Problem zu sein. Regierungen wollen die Macht des Gerichtes aufheben, anti-demokratische Gesetze ungültig zu machen). Auf Zipi kann man sich verlassen, den Obersten Gerichtshof zu stärken, der von vielen als „die letzte Bastion der israelischen Demokratie“ angesehen wird.

Viel problematischer ist die Ernennung von Moshe Ya’alon als Verteidigungs-minister. Er bekam diesen Job, weil gerade niemand da war, der an seiner Stelle hätte ernannt werden können. Israelis nehmen ihre Verteidigung sehr ernst, und man kann da – sagen wir mal – keinen Gynäkologen in dieses Amt wählen.

„Bogy“ – wie ihn jeder nennt – ist ein früherer Stabschef der Armee und ein sehr mittelmäßiger. Als er seine üblichen drei Pflichtjahre als Stabschef beendet hatte, weigerte sich Ministerpräsident Ariel Sharon, ihm das sonst fast automatisch gewährte vierte Jahr zu geben. Bogy war verbittert und klagte, dass er immer hohe Stiefel hätte tragen müssen, weil es im Verteidigungsministerium und im Generalstab so viele Schlangen gibt. Er wird sie jetzt wieder benötigen.

Seine vielen Kritiker nennen ihn „Bock“ – deutsch und jiddisch für Ziegenbock – und meinen damit einen Mangel an Intelligenz. Er ist ein Militarist, der alle Probleme durch das Fadenkreuz eines Gewehrs sieht. Er kann sich der Treue von Israels großer Armee von Ex-Generälen (oder „De-Generälen“, wie ich sie zu nennen pflege) sicher sein.

Die problematischste Ernennung von allen ist die Wahl von Uri Ariel für den entscheidenden Posten des Wohnungsbauministers.

Uri Ariel ist der Erz-Siedler. Er war der Gründer einer Siedlung, ein Führer der Siedlerorganisation, ein Verantwortlicher im Verteidigungsministerium, das offiziell für die Siedlungen verantwortlich ist. Er war auch Direktor des Jüdischen Nationalfonds (JNF), ein bedeutendes Instrument des Siedlungsunternehmens. Er kam in die Knesset, als Rehavam Seewi, der Führer der sehr extremen Rechten von einem palästinensischen Schlägertrupp ermordet worden war.

Dieses Ministerium an so eine Person zu übergeben, bedeutet, dass der größte Teil seiner Ressourcen in eine hektische Erweiterung der Siedlungen geht, von denen jede ein Nagel für den Sarg des Friedens ist. Doch Lapid unterstützte diese Ernennung mit all seiner neu gefundenen politischen Schlagkraft als Teil seiner „brüderlichen“ Bande mit Naftali Bennett, der jetzt der Pate der Siedler-bewegung ist. Bennett erhielt auch das für die Siedlungen äußerst wichtige Finanzkomitee der Knesset.

Praktisch bedeutet das, dass die Siedlungen den Staat erobert haben; Lapids großer Sieg mag sich als Katastrophe für Israel entpuppen.

Der brüderliche Packt zwischen Lapid und Bennett machte es ihnen möglich, den armen Netanyahu zu erpressen, um (fast) alles zu bekommen, was sie verlangten – außer dem Außenministerium.

Wie würde sich Lapid als Finanzminister anstellen? Schwer zu sagen. Da er in allen wirtschaftlichen Fragen völlig unwissend ist und keinerlei Erfahrung hat, wird er vom Ministerpräsidenten über sich und der ministeriellen Bürokratie unter sich abhängig sein. Finanzbeamte sind ein knallharter Haufen mit einer durch und durch neo-liberalen Einstellung. Lapid selbst hängt diesem Glauben an, der von vielen Israelis „schweinischer Kapitalismus“ genannt wird – ein von Shimon Peres erfundener Terminus.

Eines von Lapids Hauptwahlversprechen war, der „alten Politik“ ein Ende zu machen, die für all das Böse und Hässliche in unserm politischen Leben bis jetzt verantwortlich gemacht wird. Nicht umsonst , sagt er, wird es eine neue Politik geben, eine Ära voll glänzender Ehrenhaftigkeit und Transparenz, verkörpert durch selbstlose und patriotische Führer, so wie die Mitglieder seiner neuen Partei.

Nicht umsonst nannte er diese seine Partei: „Es gibt eine Zukunft“.

Nun, die Zukunft ist angekommen, und sie sieht verdächtig wie die Vergangenheit aus. Tatsächlich gleicht die ’neue Politik` sehr der ’alten Politik`.

Sehr, sehr alt. Sogar die alten Römer sollen gesagt haben: „Dem Sieger die Beute!“ Doch Yair kennt kein Latein.

Anmerkungen:

Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurd e aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Die Erstveröffentlichung erfolgte unter www.uri-avnery.de am 24.03.2013. Alle Rechte beim Autor.

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