„Delikatessen Café Concerto“ im „Tipi am Kanzleramt“ Die intellektuelle „Anarcho“-Fadista Mí­sia kredenzt ihr Fado-„Menue“ – weiblich, frisch und intensiv

© CBAragão
Berlin ist die vorletzte Station ihrer Welttournee, die in Paris ihren Abschluss finden wird.

Die in Porto, Portugal, gebürtige und aufgewachsene Vollblut-Ibererin mit Stil lebte  jetzt in Lissabon. Mit einer Großmutter, Lolita, die als Burlesque-Sängerin auftrat und einer katalanischen Mutter aus Barcelona, die Flamencotänzerin war, schuf sich Misia ihr Image-Outfit eher mit dem Gothic-Look und Hippie-Hütchen.

Dieses Outfit täuscht darüber hinweg, dass sie eine außergewöhnliche, klassische Sängerin ist, die über eine ausdruckstarke Stimme mit hohem Klangkolorit verfügt, die die lauten und die leisen Töne des Fado í  point darbietet. Mit wenigen kleinen, ausdruckstarken Handgesten, an den Flamenco anlehnend, erzeugt sie dazu eine große Dramaturgie.
In mehreren Sprachen, Porugiesisch, Spanisch, Italienisch, Französisch und auch Deutsch bietet sie ihr Repertoire „Café Concerto“, zu dem die Idee ihr am leeren Kühlschrank entstand.

Ist es schwarzer Humor, wenn sie sagt, dass den Portugiesen die Wirtschaftkrise schon in den Knochen steckt? Als sie sich vorstellte, sie hätte in ihrem Kühlschrank nur noch ein paar verschrumpelte Oliven, kam ihr die Idee, ihren Freunden, ihrem Publikum ein „Menue“  zu kreieren, in dem alle Delikatessen des Fados und anderer ihrer LieblingssängerInnen als Perlen enthalten seien. 

Darf man von einer solchen Künstlerin sagen, dass Sie an jemanden erinnert? Die Piaf, Juliette Greco, aber auch vom Aussehen her an Gianna Naninni erinnernd, präsentiert sie z.B. en français sehr einfühlsam „Les mots d’amour“ von Edith Piaf. Edith Piaf, so postuliert Mí­sia, wäre eine Fado-Sängerin geworden, wenn sie auf der Iberischen Halbinsel geboren worden wäre. Mí­sia trifft genau die Stimme der Piaf – tatsächlich könnte sie mit ihr verwandt sein, wenn sie mit ihrem Timbre und klarer Stimme die Seele des Chansons intonisiert. Auch ihre zierliche Figur mit den schwarzen, leicht gewellten Haaren erinnert an den „Spatz von Paris“.

Am Piano wird sie von Fabrizio Romano exzellent begleitet, ein preisgekrönter neapolitanische Komponist und Konzertpianist. In einem Solo spielt er nach der Pause mit einer Hand „Ne me quitte pas“ von Jacques Brel. „Das Piano ist salonfähig geworden, die sonst bei Fado-Gesang gespielten portugiesischen, zwölfseitigen Gitarren zu ersetzen, hat sich etabliert – jedoch nicht in den Tavernen.“ erklärt Mí­sia. 

Mí­sia singt stets mit geschlossenen Augen und mit intensivster Kraft in das vor ihr stehende Mikrophon, voller Konzentration nach innen und auf das Piano lauschend. Ihre pechschwarzen, halblangen Haare, ihr weißgeschminktes Gesicht mit rotestem Mund und schwarzer Kleidung – eine klassische Schönheit! Ihr Konzert- Menue beinhaltet außer zu Herzen gehenden Fado-Gesängen, darunter auch feurig-leidenschaftliche Passagen, auch weitere Perlen. Im Titelsong von Fellinis „Amarcord“ komponiert durch Nino Rotto, singt sie von Liebe und Frühling, ihr Klangkolorit dabei voll ausschöpfend. In dem Song „Cha Cha Cha“ erzählt sie luftig-leicht und beschwingt, im Duett mit Fabrizio Romano,  die Geschichte von Cha Cha Cha, der nach Lisboa kam und dort in den Fado-Kreisen derartig Geschmack am Fado fand, dass er beim Weggehen von Lissabon nicht mehr Cha Cha Cha sein wollte. Ein Lied zum Verlieben! In „Sem Saber“ (Ohne zu wissen) geht sie Liebesschmerz und dem Fado auf den tiefsten Grund „Ohne zu wissen, wieviel Schmerz Du auf meine Stimme tust und ob da Helden in uns sind.“ – das ist die sogenannte Saudade in Reinstform!
Mí­sias Favorit ist das Poem „Nanas de Cebolla“ von Miguel Hernández, einem der  der bedeutendsten spanischen Dichter und Dramatiker des 20. Jahrhunderts, Kämpfer im spanischen Bürgerkrieg, an der spanischen Grenze verhaftet und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Das Gedicht und der Fado besingt sein Baby – seinen Sohn – und seine Frau, die nur Zwiebeln und Brot zu essen hat. „Dein Lächeln bringt mich aus dem  Gefängnis und sei vorsichtig im Leben“ singt sie langsam und getragen auf Spanisch vom Piano in Molltönen begleitet. 
Mit „Les choses de la vie“ von Philippe Sarde, aus dem gleichnamigen Film mit Romy Schneider und Michel Piccoli beklagt sie – sehr stilvoll –  in einem sehr traurigen Fado das Ende einer Liebe – en français! Die männliche Pendantstimme lieh ihr Iggy Pop, der aus dem Off vom Band französisch mit britischem Akzent singt und ein wenig wie Serge Gainsbourg klingt dabei.

Als Frau in der Männerdomäne des Fado hat sie sich einen Namen gemacht und wird auch „die Anarchistin des Fado“ genannt. Ihre Kostümierung ist eher ein Understatement-Signal, dahinter versteckt sich eine wirklich klassische Vollblutsänger-Stimme, die auch auf großen Bühnen in Galakleidern brillieren könnte.

Sie ist eine Verehrerin Amália Rodriguez, der „Königin des Fado“. „Ich hatte ein Herz und verlor es“ singt sie in einem Fado. Ihr Gesang erinnert an Muezzine, sehr, sehr eindringlich mit hohem Klangkolorit! Das Piano erinnert jetzt an ein Spinett, voller Schmerz beweint sie das Herz, das auf dem Boden des Flusses und des Meeres liegt.
Sie ist ein Kind Portos und kreativ, wie sie ist,  gräbt sie in Antiquitätenläden Kostbarkeiten aus, wie z.B. eine alte Schachtel mit Telegrammen. Darin findet sie das Telegramm eines in Vergessenheit geratenen Komponisten und verleiht ihm ihre bezaubernde Stimme auf der Bühne.

Als Dessert für ihr deutsches Publikum serviert sie in Deutsch bittersüßen, melancholischen Gesang Franz Schubert’s,  interpretiert mit der latenten Trauer des Fado. Aus seinem 24 Lieder umfassenden Liederzyklus „Winterreise“ interpretiert sie zusammen mit den Bremer Philharmonikern  „Der Leiermann“ (Drüben hinterm Dorfe) in D 911,24 a-Moll. Einfühlsam, ergreifend und mit warmem Timbre singt sie die Geschichte vom alten Leiermann, den niemand beachtet und will. Dieser unheilbare Zustand der Hoffnungslosigkeit ist der Zwilling der Saudade!

Vorher erklärt sie noch die unterschiedliche Nutzbarkeit des Klangs der Sprachen: Spanisch sei gut zum Streiten wegen der offenen Vokale, Italienisch sei gut für die Liebe, Französisch”¦ – hier verdreht sie bedeutungsvoll die Augen („You know what I mean“ und Deutsch sei gut für Goethe und Hölderlin.
Mit drei Zugaben entlässt sie das begeisterte Publikum mit Saudade im Herzen beschwingt in die Berliner Nacht.
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