„Das Virus ist der Kapitalismus“ – Arnulf Rating zelebrierte mit dem Polyphonia Ensemble im Schlosspark Theater „Die Kunst der Unfuge“

Bestuhlung in einem Theater. Quelle: Pixabay, Foto: Holger Langmaier

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Nach den Kabarettisten Mathias Richling und Christian Ehring bestritt der Altmeister Arnulf Rating am 17. April das dritte Kabarett Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin im voll besetzten Schlosspark Theater. Sein Programm gab er gemeinsam mit dem Polyphonia Ensemble, bestehend aus Frauke Ross (Flöte), Martin Kögel (Oboe), Bernhard Nusser (Klarinette) und Jörg Petersen (Fagott), verstärkt durch Dirk Wedmann (Klavier). Das Holzbläserquartett arbeitet in dieser Besetzung bereits seit 20 Jahren zusammen, und es kann alles: von der Fuge über die Unfuge bis zum Gassenhauer. Des Meisters Selbstverständnis als »Zirkus Rating» kam ihnen sehr zupass. Es animierte sie, mit ihren Instrumenten zirzensische Kabinettstücke zu vollführen, was eine schöne Symbiose von Wort und Musik ergab. Zu klassischen kammermusikalischen Werken von Franz Schubert, Malcolm Arnold, Francis Poulenc, Dmitri Schostakowitsch, Edouard Destenay und Astor Piazolla passten sie sich mit musikalischen Kurzkommentaren sehr gut den laut gedachten Überlegungen Arnulf Ratings zur Zeitgeschichte an.

Eingangs würdigte der Redner die Etappen-Wahlen in Berlin. Trotz des Einsatzes der Wahlhelfer im ersten Durchgang, die streckenweise mit dem Berlin-Marathon mitgelaufen waren, um die Wahlscheine aus der Druckerpresse direkt ins Wahllokal zu tragen, ließ sich ein zweiter Wahlgang nicht vermeiden. Der zeitigte eine Koalition aus CDU und SPD, die ein Regierungsprogramm hervorbrachte »Das Beste für Berlin» – Luft (das Orchester intoniert »Das ist die Berliner Luft»). Anschloss sich die bewährte Kabarettnummer Zeitungsschau. Die Schlagzeilen werfen Schlaglichter auf die amateurhaften Bemühungen führender Politiker von Joe Biden bis Annalena Baerbock um das Zündeln an der Weltkugel. Verdiente Aufmerksamkeit widmete Rating dem eindrucksvollen Mienenspiel seines (Schmieren-) Komödianten-Kollegen Wolodymyr Selenskij, dem es in seinem minimalistischen Kampfanzug gelingt, internationale Konferenzen durcheinander zu bringen. »Feind» Putin fiel nicht weiter auf. Die Auswahl der Protagonisten und ihrer Fehlleistungen ließ die vage Ahnung aufkommen, der Hauptfeind stehe im eigenen Lande. Der Hauptfeind ist nach Ratings Analyse das Virus. Zum Mitschreiben, auf der Bildwand: »Das Virus ist der Kapitalismus».Trotz kalauerhafter Vorführung bewährter Klischees von Ärzten oder Lehrern lieferte Arnulf Rating eine Rarität im Mainstream: politisches Kabarett mit pazifistischem Grundton.

»Die Kunst der Unfuge» ist das Kind einer vor 300 Jahren im Wrangel (Luft-) schlösschen zu Steglitz stattgehabten virtuellen Jamsession des Kantors Johann Sebastian Bach. Im dritten Kabarett Konzert wollten sich die Musiker nicht mehr auf Bach beziehen, sondern auf »etwas irgendwie anderes». Nicht recht schlüssig, denn das Variieren oder Verjazzen von Bachschen Werken sind gang und gäbe. Da könnte den Musikern des Deutschen Symphonie-Orchesters bestimmt noch etwas einfallen. Dessen unbesehen schöpften die Fünf aus einer Fülle von Kompositionen alter und neuer Meister (»Auch Russen sind dabei», ließ Rating nicht unerwähnt). Unvergesslich bleiben hervorragende Interpretationen von Dmitri Schostakowitschs Walzer Nr.2 aus der Suite für Varieté-Orchester und Astor Piazollas »Libertango», denen die Zuhörer nach vielen Lachsalven andächtig lauschten. Klasse bleibt Klasse.

Das Kabarett Konzert als »Erfindung» des Orchesterdirektors Thomas Schmidt-Ott und des Theaterintendanten Dieter Hallervorden hat seine drei Bewährungsproben vor vollem Hause bestanden und wird in der Spielzeit 2023 / 2024 mit weiteren vier Konzerten fortgesetzt, wobei auch das wegen Krankheit ausgefallene Programm mit Torsten Sträter nachgeholt wird. Auf weitere neu entdeckte Episoden der Steglitzer Johann-Sebastian-Bach-Legende darf man gespannt sein.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Sigurd Schulze wurde am 21.4.2023 in gekürzter Fassung in der Zeitung „junge Welt“ veröffentlicht.

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