Lassen Sie sich nicht abschrecken: es ist kein Pornofilm den Sie im Arp Museum zu sehen bekommen, auch wenn der unglückliche Titel der Ausstellung dies vermuten lässt. Im Gegenteil, es ist eine Liebeserklärung zu unserem wichtigsten Nachbarland, voller espièglerie und joie de vivre: ein Überblick auf die französische Kunst aus der Zeit, als Europa französisch sprach. Es ist nun schon die dritte Ausstellung mit Werken aus der Sammlung des Stuttgarter Arztes und Kunstliebhabers Gustav Rau (1922-2002), welche das Arp Museum ausrichtet; und es ist zugleich ein Abschied von Klaus Gallwitz, dem ehemaligen Städeldirektor und Gründungsdirektor des Arp Museums, der die Ausstellung kuratiert hat.
Professor Gallwitz, der einen Tag vor der Eröffnung seinen achtzigsten Geburtstag feierte, zeigte sich bei der Pressekonferenz und dem anschließenden Rundgang durch die Ausstellung eloquent, geistreich und bestens gelaunt. Zum schwarzen Anzug und dem zwei Knöpfe weit offenen weißen Hemd trug er neonorange-gestreifte Sportschuhe, und mit einer ähnlichen Mischung aus Grandezza und jugendlicher Nonchalance erklärte er das Konzept seiner Werkschau. Superfranzösisch, das habe natürlich mit Supermarkt zu tun, aber auch mit supermarché, der viel besser sei als seine deutsche Entsprechung. Denn die Franzosen wissen was sie kaufen und schätzen Meister Billig nicht. Den graublau gestrichenen Ausstellungsraum will Gallwitz als ein Karussell mit Ecken verstanden wissen, ohne Anfang und Ende und völlig hierarchiefrei. Die Hängung ist unorthodox, und gleicht einem durcheinandergeratenen alten jeu de cartes. So ergeben sich eine Vielzahl an Widersprüchen in Haltung, Farben, Temperamenten. Kein Rundgang, Kontrapunkte. Stolz ist er, dass er das Rolandseck etwas französischer machte.
„Superfranzösisch“ zeigt neben wenigen kunsthandwerklichen Objekten die Sammlung französischer Gemälde von Gustav Rau, die in ihrer Qualität erstaunlich ist. Ihr Gewicht zeigt sich auch darin, dass kein Geringerer als Pierre Rosenberg, langjähriger Direktor des Louvre, einen kurzen Essay über den Sammler für den Katalog geschrieben hat. Hier lesen wir, wie sehr es Rosenberg aus der Fassung brachte, dass ein Mensch der eine derart bedeutende Kunstsammlung anhäufte, grobes Schuhwerk trug.
Mit 40 Jahren wurde der Stuttgarter Industrielle Gustav Rau Kinderarzt, verkaufte sein Unternehmen, und ging in den Kongo, wo er ein Krankenhaus errichtete. Neben seiner humanitären Arbeit suchte Rau in der Kunst eine Rückversicherung, und schuf eine hochkarätige, über 800 Objekte zählende Sammlung, die er 2001, im Alter von 79 Jahren der UNICEF-Stiftung vermachte. Während ein Teil davon bereits verkauft wird, um mit den Erlösen die weltweite Arbeit von UNICEF für Kinder zu unterstützen, soll ein Kern der Sammlung bis 2026 der Öffentlichkeit gezeigt werden.
Im Arp Museum sind nicht alle der 80 französischen Gemälde Raus zu sehen, der Courbet etwa wird ab Oktober in Frankfurt zu sehen sein. Aber ein Orchester kann auch dann gut klingen, wenn nicht alle Instrumente mitspielen. Die Bilder sind eher zurückhaltend und von gleichbleibendem Temperament. Wie jede wichtige Sammlung schillert sie etwas von der Persönlichkeit ihres Sammlers wieder. Abgesehen von den beiden ältesten Exponaten, einem kleinen elfenbeinernen Altartäfelchen aus dem 14. Jahrhundert und einem in altniederländischer Tradition stehenden Stifterbildnis um 1520 gibt es keine religiösen und nur wenige mythologische Themen. Es finden sich viele Landschaften und viele Porträts. Die Werke sind eher kleinformatig. Simon Vouets „David mit dem Haupt des Goliath“ von 1620 ist mit 131í—97 cm das größte Gemälde.
Nicht Poussin sondern Millet, nicht Watteau aber Volaire. Es musste nicht immer der erste Name gekauft werden. Der Schwerpunkt liegt im 18. Jahrhundert – Quentin de la Tour, Greuze, Boucher, Fragonard, Hubert Robert und eine Kinderbüste von Houdon –, sowie bei den Impressionisten. Fünf Monets, drei Sysleys, zwei Caillebottes, ein schöner Frauenkopf von Renoir und eine Meereslandschaft von Cézanne. Abgesehen von dem mit expressiv-kühnem Duktus gemalten Männerbildnis Fragonards, das für Aufsehen sorgte, als Rosenberg es im Louvre zeigte, sind die meisten Werke das erste Mal seit langem ausgestellt.
Während die Bilder uns etwas über Gustav Rau sagen, erzählt uns die Hängung etwas über Klaus Gallwitz: Da hängt etwa das „Porträt des Generals Ivan Ivanovitch Betskoi“ von Alexander Roslin aus dem Jahre 1758 neben einem „Sitzenden Akt“ von Suzanne Valadon aus dem Jahre 1916. Valadon ist neben Vigée-Le-Brun und Anne Vallayer-Coster die einzige Malerin der Ausstellung. Der melancholisch wirkende Adelige sitzt, als Privatmann im hellblauseidenen Morgenrock gewandet in seiner Bibliothek. Sein rechtes Bein ist über das linke geschlagen. In seiner Rechten ein Kupferstich mit der Abbildung einer Dame. Er scheint die Schöne in seinem geistigen Auge vor sich zu sehen und blickt direkt hinüber zum Bild der wohlgeformten Träumenden. Die nackte Blonde spiegelt mit ihrer Pose die Körperhaltung des Generals. Ein wenig wirkt das Aktbild wie eine Gedankenblase in einem Comic: so nah und doch so fern! Und noch während man sich in dergleichen Träumereien ergeht, spürt man den strengen Blick eines Arztes auf sich lasten. Aus den Augenwinkeln beobachtet uns der etwas höher an der angrenzenden Wand befindliche, ganz in schwarz und weiß gekleidete päpstliche Arzt. Es ist ein strenges, 1625 gemaltes Bild des Philippe de Champaigne, zurückgenommen und von asketischem Intellektualismus. Wir fühlen uns ertappt!
Superfranzösisch? Ja sicher. Diese hochkarätige und unbedingt sehenswerte Ausstellung hat ja auch etwas von einem Kunst-supermarché. UNICEF, der die Sammlung gehört, braucht Geld für ihre humanitäre Arbeit, und wird eines Tages die Gemälde verkaufen. Zunächst aber freuen wir uns über eine witzreiche Ausstellung und sagen: Danke, Herr Gallwitz, süperb!
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Ausstellung: „Die Kunstkammer Rau: superfranzösisch“ bis zum 27. Februar 2011 im Arp Museum, Bahnhof Rolandseck
Katalog: Die Kunstkammer Rau: superfranzösisch, hrsg. von Oliver Kornhoff, DuMont Verlag, Köln 2010, 152 S., ISBN 978-3-8321-9334-8, 29,95 €
Internet: www.arpmuseum.de