Der jüngster Film "wo die freien Frauen wohnen" beschäftigt sie sich mit einem Matriarchat in China, den Mosuo. Die Frauen sind dort frei, wie nirgendwo sonst auf der Welt, auch freier als in unserer Gesellschaft, wo wir uns männlichen Werten unterordnen. Die Frauen leben in Harmonie, sind wohlwollend zueinander, es gibt keine starke Aggressionen und Egozentrik. Insofern ist dies von allen Gesellschaftsformen, die sie kennen gelernt hat, für Frauen und auch für Männer der schönste Ort. Ein Clan lebt auf dem Hof, mit Mutter und Großmutter als Oberhaupt. Nach ihrem Tod geht die Großmutter in die Reihe der Ahnen ein, die verehrt werden und Schutz gewähren. Die Babys werden von allen gehalten und sind damit umfassend umsorgt. Als Kinder kümmern sich von von klein auf um andere. Sie lernen das von den Alten, es gibt kein Trotzalter und keine Pubertätskrisen. Sie können sich frei entfalten, es wird kein Wissen in sie hineingestopft. In dieser Fülle wachsen anders konditionierte Menschen heran. Sie sind nicht neidisch, handeln aus Liebe. Weil sie satt sind, müssen sie andere nicht beurteilen oder belehren. Privatbesitz hat keine Bedeutung und kein Prestige, er wird auch oft weitergegeben.
Die Söhne bleiben bei der Mutter und übernehmen die harten Aufgaben, beispielsweise Handel, anstrengende körperliche Arbeiten, auch das Schlachten von Tieren. Frauen erledigen die Hausarbeit und bestellen die Felder. Die Frauen sind körperlich sehr fit. Die Arbeit ist nicht schwer, weil sie gemeinsam und selbstbestimmt erledigt wird. Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Das Leben ist nicht aufgespalten in Arbeit, Freizeit und Sozialkontakte wie bei uns. Man sieht sie singend bei der Feldarbeit, es wird nie eine Schuldige angeprangert, wenn etwas schief geht. Bei uns lasten oft alle Aufgaben auf einer einzigen Frau. Das ist ein enormer Druck. Die Mosuo sind ziemlich autark und gut beschützt vor äußeren Einflüssen. Sie leben vom Fischfang und haben fruchtbares Land. Es gibt zwar Handys und Fernseher, aber es herrscht eine vorindustrielle Wirtschaftsweise.
Auf die Frage, wie sieht es mit der romantischen Liebe aus, antwortet sie, die stärkste Bindung, die lebenslang hält, besteht zur Familie. Damit haben sie eine Zweierbeziehung nicht so nötig. Menschen verlieben sich schon, leben aber nicht zusammen. Die Frau lässt sich auf einen Mann ein, er bleibt über Nacht und kehrt am nächsten Tag zum Hof seiner Mutter zurück. Solche Beziehungen wechseln häufiger, können eine Nacht, ein paar Wochen oder Jahre dauern, aber sie sind nicht wichtig. Sex muss nicht als Ersatz für Zärtlichkeit und Berührung herhalten, denn sie haben die Frauen in ihrem Familienverband immer. Es gibt keine Liebesdramen, da das Glück ja nicht von einem einzigen Menschen abhängt. Wenn sich eine Frau allzu sehr nach einem Mann sehnt oder traurig ist, weil er nicht mehr kommt, wird sie von der Familie aufgefangen. Es gibt keine Eifersucht. Bei uns basiert die Familie auf der erotischen Paarbeziehung. Bei den Mosuo passiert Sexualität außerhalb der Familie, deswegen kommt auch kein Missbrauch vor. Kinder kennen nur den Mutterbruder, der sich um sie kümmert. Der Mann als Liebhaber zeugt zwar das Kind, aber er hat keine unmittelbare Bindung zu ihm und keinen Erzeugerstolz. Musuo-Frauen sind sehr wählerisch und finden nicht die dominanten, abenteuerlustigen Typen attraktiv, sondern Männer, die charmant sind, sie unterstützen, gut aussehen und gute Sänger und Tänzer sind. Männer müssen ja ihre Kräfte messen, das machen sie auf spielerische Art, zum Beispiel bei Bootswettkämpfen. Auch wenn sie provoziert werden, reagieren sie nur verbal schlagfertig, sie haben es nicht nötig, einen Kampf anzufangen.
Sie denkt, dass in alter Uhrzeit die Gesellschaften matriarchalisch organisiert waren. Die Dominanz der Männer ist nicht entwicklungsgeschichtlich angelegt. Es gebe die These von einer Naturkatastrophe, die ein großen Ressourcenmangel verursachte. Um zu überleben, haben sich Horden gebildet, die friedliche Stämme überfallen und beraubt haben. So hat sich das auf Gewalt basierende Prinzip durchgesetzt. Heute ist der Mangel vorprogrammiert, zum einen materiell, weil einige wenige alles haben, zum andern emotional, durch die vielen Termine und den Druck, den wir erleben und auf die Kinder übertragen. Wir geben Ihnen Konsumgüter, um sie abspeisen, statt sie zu umfangen. Auf die Frage, es gebe auch Naturvölker, die im Einklang mit der Natur und ohne Besitzanhäufung leben, die keine Matriachate sind, hängt diese ganzheitliche Lebensweise nicht stärker von den Produktionsbedingungen ab als von den Geschlechterverhältnissen? antwortet sie, nein, in patriarchalen Strukturen herrsche immer eine gewisse Strenge und Unterdrückung, bedingt durch die männliche Dominanz.
Sie meint, die Frauenbewegung ist noch lange nicht am Ende, sie ist weltweit die größte soziale Bewegung überhaupt. Im Sinne des Gleichheitsfeminismus hat sie viel erreicht. Frauen haben Zugang zu fast allen Institutionen, sie sind präsent, dass sei schon mal gut, aber wir wollen ja die Institutionen nicht lassen, wie sie sind, so entfremdet, unterdrückerisch und hierarchisch. Sie müssen weiblicher werden. Beim Thema Emanzipation geht es derzeit hauptsächlich um Chancen in Führungspositionen, Quoten und um bessere Kinderbetreuung. Frauen müssten eigentlich mit mehr als 50 % in allen Schlüsselpositionen sein, sie vertreten ja die Kinder. Aber wenn die Strukturen bleiben, haben wir gar nichts gewonnen, dann wird sich nichts ändern, die Ausbeutung der Erde wird weiter gehen. Sie sei auch nicht dafür, dass wir den ganzen Tag die Kinder im Krippen stecken. Kinderbetreuung müsse zuhause stattfinden, allerdings in einem Kollektiv, damit sich immer jemand kümmern kann. Eine einzige Frau wird nie genug geben können. Auf die Frage, eine vorindustrielle Kultur kann noch kein Modell für unsere Gesellschaft sein? antworten sie, warum nicht, Grund und Boden gehören in Mütter Hand, das Männliche muss zurückgehalten werden. Sie spreche von einer fehlgeleiteten zerstörerischen Männlichkeit, die Krieg verursacht, Aggressionen, Missbrauch, Sexismus, übertriebenen Wettbewerb mit allen negativen Folgen der Wachstumsgesellschaft. Für die Ausgebrannten werden immer mehr Heiler gebraucht. Frauen müssten den Männern auf die Finger schauen und sie zuhause einsperren, wenn sie Krieg machen wollen, das habe schon Erich Kästner vorgeschlagen. Auf die Frage, wie es sich das erkläre, im Moment führen Frauen bei uns, eine Bundeskanzlerin und eine Verteidigungsministerin, Krieg in Syrien, antwortete sie, diese haben das mütterliche Prinzip auf ihrem Weg nach oben aufgegeben und in männlich-patriarchalen Strukturen verinnerlicht. Sie kenne kein Matriarchat, dass jemals einen Krieg angefangen hat. Sie beschreibt sogar ein muslimisches Matriarchat in Westsumatra in Indonesien, das durchaus mit dem muslimischen Glauben zu vereinbaren ist.
In dem Artikel vom 25.3.2014 "Warum sind so wenig Frauen in den Chefetagen der Wirtschaft? – Weil in den Frauen die Mütter gefürchtet werden" habe ich geschrieben:
"Laut der Headhunterin Sylvia Tarves (Frankfurterin Rundschau am 22.3.2014) sind Frauen eher kooperative Führungskräfte, die ein partnerschaftliches Miteinander motiviert und die sich auf soziale Aspekte im Unternehmen konzentrieren. Sie zeigen eine hohe persönliche Lernbereitschaft, stellen sich und ihre Entscheidungen mehr infrage. Sie sind zumeist umsichtige Entscheider; hinterfragen mehr als Männer. Sie können motivieren, die Stärken jedes einzelnen Mitarbeiters fördern, die richtigen Leute an die richtigen Stellen setzen.
Das können Frauen schon aufgrund ihrer Sozialisierung mindestens so gut wie Männer. So beschrieben, wären Frauen die idealen Führungskräfte. Aber die Seilschaften der Männer lassen Frauen nicht in die Führungsetagen herein, wollen strikt unter sich bleiben. Es besteht eine gläserne, aber undurchdringliche Decke. Meist wird als Grund angegeben, dass sie Kinder bekommen und eine Auszeit nehmen.
Aber wenn die Frauen nicht so sind, wenn sie eher männliche Eigenschaften, mehr Ellenbogen entwickeln und die Männer in die Pfanne hauen, dann kann das fatale Auswirkungen haben, weit mehr als bei Männern, die das von ihren Geschlechtsgenossen her kennen und nicht so darunter leiden, weil es nicht so sehr ihr Selbstwertgefühl trifft. Ich habe bisher mehrere Patienten gehabt, die sehr unter Frauen, Chefinnen, Vorgesetzten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten, gelitten haben. Einer berichtete sogar, ein Mann habe unter dem Einfluss einer Frau Selbstmord gemacht, ein anderer sei in die Psychiatrie eingewiesen worden, und er selbst habe heftige Symptome entwickelt. Die Empfänglichkeit für diese Frauen konnte ich regelmäßig auf den Einfluss ihrer Mutter zurückführen."
Madeiskys Einwendungen klingen idyllisch und in unseren Ohren ungewohnt, manche würden illusionär, weltfremd und zu radikal sagen, so sehr hat sich das patriarchalische Weltbild über Generationen bei uns eingegraben. Aber sie hat in vielerlei Hinsicht recht. Wir verstehen und haben es so seit der Kindheit verinnerlicht, daß das Matriarchat eine Herrschaft der Frauen bedeutet, die nach dem patriarchalischen Prinzip organisiert ist. Dann werden die Mütter zu recht in den Frauen gefürchtet, und deswegen werden sie nicht in die oberen Etagen herein gelassen. Das heißt, nur ein Gebot und Verbot gilt, und es gilt nicht eine Allseitigkeit, zum Wohle aller. Schon in der Kindheit entstehen dadurch Benachteiligungsgefühle, Streit um knappe Ressourcen, es gilt ja nur eins und das ist wenig. Das hat zur Folge, dass Gewinnsucht, Ellenbogen, der Kampf um Macht und Einfluß sich in der Kultur breit macht. Jeder ist sich selbst der Nächste, und die Schere zwischen arm und reich klafft immer weiter auseinander. Das sollen die Werte der westlichen Kultur sein?, die wir den Flüchtlingen beibringen wollen. In der aktuellen Flüchtlingsangst und in dem Rechtsruck der Gesellschaft kommt dies zum Ausdruck.
Mich interessiert auch das Patriarchat aus medizinischer Sicht. Ständiger Druck führt zum Burnout, vor allem, wenn damit die Hilflosigkeit verbunden wird, und zu anderen Krankheiten über die gesamte Krankheitspalette. Beispielsweise führen frühkindliche Benachteiligungsgefühle zu erbitterten Streitigkeiten, die im Erbfalle eventuell zum Schlaganfall führen. Beim Schlaganfall ist der Kranke in einem allseitigen Verständnis immer noch für die anderen da, indem er sich selbst mit der Krankheit bestraft. Ich habe kürzlich einen Artikel über die Empathie, ein liebevolles Verständnis des Kindes für das Umfeld geschrieben. Es ist allseitig für alle da, das ist vorbildlich die menschliche Anlage, vorbildlich, da es die Allseitigkeit dokumentiert. Aber wenn es dabei zu kurz kommt, keiner für es da ist, die Allseitigkeit verloren geht, da nur die Mutter oder Eltern gelten, Gebote und Verbote vorherrschen, und es keine Rechte hat, ist es mit der Liebe vorbei. Das führt zu Krankheiten wie Depression und Schmerzen, ein Überbleibsel der Liebe. In der menschlichen Anlage ist anscheinend die Allseitigkeit vorgeprägt, aber im Patriarchat verloren gegangen.
Man könnte auch den Übergang vom Polytheismus zu Monotheismus so sehen, den Übergang von der Vielgötterei zu dem Glauben an einen allmächtigen Gott. Ich vertrete auch die These, dass es zu einem schrecklichen Unglück gekommen sein mag, das einen solchen Ressourcenkampf zur Folge hatte, dass die Menschen aufeinander losgingen, ein Trauma, wie es auch in den Familien passiert. Das ist eine Parabel für die Kindheit, wenn das Kind sich nur nach einer Bezugsperson orientieren darf und kann und nicht mehrere Bezugspersonen es versorgen, wie Madeisky es für die matriarchalische Gesellschaft beschrieben hat. In dieser Gesellschaftsform kann und darf es sich an mehreren Personen orientieren, darf, da keine Neid und Eifersucht erzeugt werden.
In einer extrem patriarchalischen Gesellschaft wie dem 3. Reich herrschte ein regelrechter Mutterkult. Das erinnert mich daran, dass im griechischen Mythos die Erynnien, die Rachegöttinnen in Eumeniden, die Wohlgesonnen umbenannt wurden. Kein Wunder, da in der Tradition der meistgelesenen pädagogischen Bücher des Orthopäden Schreber Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Motto "der Wille des Kindes ist um jeden Preis zu brechen!" der Wille und Trotz des Kindes gebrochen wurde, also eine furchtbare Kindheit. Das war und ist, da es noch andauert, ein traumatisches Erlebnis. Diese Erziehung wurde von den patriarchalisch glaubenden Müttern und den Vätern vermittelt, die im Hintergrund völlig verwirrt waren und nach einer dringenden Leitlinie suchten. Bei und herrscht auf der unteren Ebene in der Latenz auch ein Matriarchat. Dafür spricht der Mutterkult der Nazis und die Umbenennung der Erynnien in Eumeniden, aber auch das Krankheitsgeschehen. Das Patriarchat ist sozusagen die Abwehr des Mütterlichen, solange damit negative Erfahrungen gemacht wurden, und das hat die Kultur verinnerlicht. Auch bei uns, besonders um das Mittelmeer herum, ist latent die wichtigste Beziehung die zur Mutter.
In der Flüchtlingskrise hoffe ich, dass Frau Merkel besonnen und standhaft bleibt, daß sie sich nicht von den weit verbreiteten Ängsten anstecken lässt und eine Willkommenskultur, getragen von vielen aufgeschlossenen und mütterlichen Menschen, aufrecht erhält. Eine nach patriarchalischen Prinzipien sich nach oben boxende Frau, die anderseits nach außen so mütterlich wirkt, zeigt ihre mütterliche, aufnehmende Seite.