Das böhmische Bäderdreieck – Von Risiken und Nebenwirkungen

Franzensbad, Karlsbad, Marienbad, Böhmen, Tschechien (Weltexpress). Virtuos versprühen die böhmischen Quellen mit ihren üppigen Mineralien eine ungeahnte Zauberkraft.

Goethe-Statue im böhmischen Bäderdreieck. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel
Goethe-Statue im böhmischen Bäderdreieck. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel

Goethe im Liebestaumel? Schon oft hatte Amors Pfeil ihn während seines gleichermaßen draufgängerischen wie erlebnisreichen Lebens direkt ins Herz getroffen. Nein, ein Freund von Traurigkeit war er sicherlich nie. Merklich abgeklärt glaubt er nun in seinen Siebzigern, sich in entspannter Gelassenheit ruhig zurücklehnen zu können. Doch weit gefehlt! Denn noch einmal trifft ihn die Leidenschaft mit einer solchen Wucht, dass er den Widerstand dagegen nicht einmal in Erwägung zieht. So wechselt die zu erwartende Altersweisheit augenblicklich hinüber in eine Phase unerwarteter Alterstorheit.

Diesmal ist es die blutjunge Ulrike von Levetzow, die im zarten Alter von 17 Jahren im böhmischen Marienbad die Leidenschaft des 72-jährigen entfacht. Ist es das hold ausstrahlende Wesen mitsamt den körperlichen Reize, die den Kenner amouröser Angelegenheiten in eruptiven Liebeswahn versetzen? Oder ist es vielmehr die Ambrosius-Quelle, jene schon damals legendäre „Quelle der Liebe“, mit deren Hilfe er es vielleicht doch noch einmal wissen will? Aber womöglich kennt Goethe nicht einmal selbst die genauen Ursachen für sein quälendes Liebesweh, als er es leidend und „in Qual erstummend“ in der Marienbader Elegie zu Papier bringt.

Siegeszug des Kurschattens

Mondäne Bäderarchitektur in Karlsbad. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel
Mondäne Bäderarchitektur in Karlsbad. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel

Wo andere glauben, gegen oder für alles sei ein entsprechendes Kraut gewachsen, ist man im böhmischen Bäderdreieck bis heute der Meinung, man könne jedem Problem mit dem richtigen Quellwasser zu Leibe rücken. Und davon gibt es in Marienbad, Karlsbad und Franzensbad weiß Gott genug. Mit jeweils unterschiedlicher mineralischer Zusammensetzung erscheint es als die natürlichste Lösung für (fast) jedes Zipperlein. Warum also sollte man sich diese segensreiche Fülle aus dem Erdinneren entgehen lassen?

Bereits im 19. Jahrhunderts setzte der Ansturm ein. Mit der Folge, dass überall Prachtbauten mondäner Bäderarchitektur wie Pilze aus dem Boden schossen. Dazu lang gezogene Trinkhallen in antiker Tradition, in deren langen Kolonnaden stilvoll ausstaffierte Herrschaften würdevoll entlang wandelten. Jeder von ihnen mit einer gefüllten Schnabeltasse in der Hand, ein kostbares Stück bemalten Porzellans, das der angestrebten Eleganz im Empire-Outfit sicherlich keinen Abbruch tat. Wann allerdings der erste Kurschatten bei diesem feierlichen Zeremoniell seinen Siegeszug antrat und die bestehende Moral leicht trübte, darüber gibt es heute nur noch Mutmaßungen und Gerüchte.

Wiederauferstehung in altem Glanz

Hygiene-Denkmal in Karlsbad. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel
Hygiene-Denkmal in Karlsbad. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel

Über die hierarchische Rangordnung der einzelnen Bäder untereinander lässt sich je nach persönlichem Geschmack trefflich streiten. Belegt ist allerdings, dass sich die gekrönten und ungekrönten Häupter Europas zur Kur eher in Marienbad ein Stelldichein gaben. So weiß es Stadtführerin Ilona angesichts der prachtvollen Fassaden. Ihre Namen reichen von Kaiser Franz Josef, Kaiser von Österreich, über den preußischen Fürst Bismarck bis hin zu König Eduard VII. von Großbritannien, den es allein neunmal in das eigens für ihn konstruierte private Luxusbad zurück zog. Jeweils begleitet von einer repräsentativen Entourage, die des damals mächtigsten Staatsoberhauptes der Welt angemessen und würdig war.

Im Zeitalter des Sozialismus fand die Kuranlage zwar weitere Verwendung. Jedoch, wen wollte es heute verwundern, bröckelte damals der Putz. Was aber niemand sonderlich zu stören schien, solange die exquisiten Räumlichkeiten, zum Beispiel als Anwendungsbereiche für Gewerkschaftsmitglieder, sozialen Ansprüchen genügten. Bis nach der Wende der Kurkomplex von Marienbad seine Wiederauferstehung einleitete und heute erneut einen realistischen Eindruck vermittelt vom alten Glanz der K.u.k.-Monarchie.

Lebendiger Mythos

Stilvolle Kolonnaden als Inbegriff der Trinkkultur. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel
Stilvolle Kolonnaden als Inbegriff der Trinkkultur. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel

Denn leicht lässt er sich in dem modernen Ambiente wiederfinden, der immer noch lebendige Mythos vom alten Marienbad. So wie er sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen zeigt in den ebenso liebevoll wie prachtvoll restaurierten Hotelfassaden, der im gründerzeitlichen Stil gestalteten Trinkhalle sowie den großzügig gestalteten Parkanlagen. Nicht zuletzt in den prachtvollen Festsälen, die auch heute wieder den feierlichen Rahmen bieten für Feierlichkeiten und Kulturereignisse aller Art.

Für die meisten Besucher liegt der Schwerpunkt natürlich auf dem Therapieangebot der Anlage. Dabei steht die seit Jahrhunderten bewährte Heilwasser-Therapie im Vordergrund. Nun jedoch hat man auch eine Gasquelle entdeckt, deren heilende Wirkung man sich zunutze macht. Einmal mit einem Kohlendioxyd-Becken, in dem das schwere Gas für längere Zeit mit dem Körper in Berührung kommt. Oder aber mit dem Einspritzen des Gases in den Körper unterhalb der betroffenen Gelenke. Als Erfinder dieser neuen Kohlendioxyd-Therapie gilt Dr. Pavel Knara, der nach eindrucksvoller Vorführung nicht ohne Stolz auf die bisherigen Heilerfolge verweist.

Heilquellen als Chefsache

Kunstvoll verzierte Hausfassaden in Karlsbad. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel
Kunstvoll verzierte Hausfassaden in Karlsbad. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel

Auch Karlsbad ist eine kleine Welt für sich. Fast noch mondäner ausgestattet als die Konkurrentin Marienbad, reicht hier die Bädertradition zurück bis ins 14. Jahrhundert. In jene Zeit, als Kaiser Karl IV. die nach ihm benannte Stadt mitsamt ihren Heilquellen zur Chefsache erklärte. In seinem 700. Jubiläumsjahr wäre die schmucke Stadt für ihn wohl kaum wiederzuerkennen. Und sicherlich würde er seinen habsburgischen Nachfolgern großes Lob aussprechen für das über die Jahrhunderte entstandene Gesamtkunstwerk.

Kein Wunder also, dass es den ersten russischen Kosmonauten Juri Gagarin nach seinem Weltraumausflug hierher zog. Zwar plagten ihn weder Stoffwechselprobleme, Gicht und Diabetes. Aber sicherlich ließ sich für ein Wellness Programm nichts Besseres finden als die warmen Quellen rund um das Ufer der Tepl, die angenehm plätschernd den Ort durchschneidet. Auch Daniel Craig soll sich angetan gezeigt haben, als er hier bei den Dreharbeiten zum „Casino Royale“ die Gelegenheit beim Schopfe packte. Immer wieder fanden sogar ausgefallene Hotels Eingang in die Drehbücher. So das legendäre Hotel Pupp, das bereits bei mehreren Filmen eine würdige Kulisse abgab.

Karlsbader Kräuterelixier

Charmantes Becherova-Angebot im Becher-Museum. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel
Charmantes Becherova-Angebot im Becher-Museum. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel

Wesentlich neueren Datums ist hingegen das Hotel Imperial, das in seinen riesigen Dimensionen unübersehbar seit mehr als hundert Jahren an einem Abhang über der Stadt thront. Noch heute ist es Treffpunkt für tschechische Staatsgäste und alle, die sich in alten imperialen Glanz sonnen möchten. Im Fluidum einer k.u.k.-Tradition, die schon wenig später in den Folgen des Ersten Weltkrieges von der politischen Landkarte hinweg gespült wurde.

Eine Institution jedoch hat sich im Strudel der Jahrhunderte und über alle Herrschaftsformen hinweg erhalten. Es ist der Becherova-Kräuterlikör, von einem englischen Gast erfunden und als Rezept von der Familie Becher unter strengster Geheimhaltung aufbewahrt. Eine Kostprobe im Karlsbader Becher-Museum macht deutlich, warum dieses wohlschmeckende Kräuterelixier heute weltweit in mehr als siebzig Ländern getrunken wird.

Weißgelbes Erscheinungsbild

Bäderarchitektur in Franzensbad. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel
Bäderarchitektur in Franzensbad. © 2016, Foto: Dr. Bernd Kregel

Bleibt noch das letzte und vielleicht erlesenste der drei Bäder, das Franzensbad. Das kleinste zwar, aber in seiner architektonischen Geschlossenheit wohl das schönste. Einst gegründet von Kaiser Franz, hat sich sein weißgelbes Erscheinungsbild bis heute erhalten und strahlt wegen seiner stilistischen Einheitlichkeit eine unglaubliche Eleganz aus.

Kein Wunder, dass sich einst auch Goethe von dieser bemerkenswerten Kulisse angezogen fühlte und hier – so ist zu hoffen – seine innere Ruhe wiederfand. Und dabei all die Wunden heilte, die unerfüllte erotische Träume seiner Seele geschlagen hatten. Kann seither vor Risiken und Nebenwirkungen des böhmischen Heilwassers nicht nachdrücklich genug gewarnt werden?

Reiseinformationen “Böhmisches Bäderdreieck”:

Anreise: Mit der Bahn oder dem Auto z.B. über Nürnberg nach Cheb (Eger); mit dem Flugzeug z.B. über München nach Prag.

Einreise: Für die Einreise empfehlen sich Reisepass oder Personalausweis.

Reisezeit: Die Reisezeit ist ganzjährig. Von den Wetterbedingungen her empfehlen sich allerdings die Monate von Frühling bis Herbst.

Reiseveranstalter: Pauschalreisen können bei den meisten größeren Reiseveranstaltern gebucht werden.

Unterkunft: Marienbad: Danubius Hotels; Karlsbad: Spa Hotel ImperialGrandhotel Pupp; Franzensbad: Savoy

Auskunft: Tschechische Zentrale für Tourismus, Wilhelmstraße 44, 10117 Berlin, Telefon: 030-2044770, E-Mail: berlin@czechtourism.com, Web: www.czechtourism.com

Anmerkungen:

Vorstehender Beitrag von Dr. Bernd Kregel ist eine Erstveröffentlichung im WELTEXPRESS. Die Recherche wurde unterstützt von CzechTourism.

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