Das Mammut namens Mammuth (Gerard Depardieu) arbeitet in einem Schlachthof. Mit 60 Jahren, die er gerade wird, wird man in Frankreich pensioniert. Auf seiner Abschiedsfeier wird seine vorzügliche Arbeitermentalität und Ausbeutungsgrundlage genannt: er war niemals krank, hat also nie gefehlt und war auch nie arbeitslos. Dennoch fehlen ihm viele Jahre in seiner Pensionsberechnung, wie die Behörde ihm die Rechnung aufmacht, denn einige seiner vielen Arbeitgeber, genauer: sechs, haben vergessen, sein Beschäftigungs- und Lohnverhältnis zu melden. In eigenem Interesse muß er diese nun nachliefern. Dazu muß er allerdings seine alten Arbeitsstätten weit weg besuchen. Es ist seine Frau Catherine (YolandeMoreau), die dies massiv einfordert, wie Frauen in Frankreich ehelich durchaus dominieren, aber sie ist gleichzeitig auch liebevoll, so daß die Szenen einer Ehe hier eher alter Feundschaft gleichen.
Das Mammut Mammuth steigt auf die Mammuth und fährt los. Sein Motorrad ist nämlich eine Maschine dieses Namens aus den 70er Jahren, dernach er seinen Spitznamen verpaßt bekam. Auf seiner Reise zu den sechs Unternehmern passieren die unglaublichsten Sachen, die in einer Situationskomik sich entladen, die das Kino aufjuchzen läßt, wenn Mammuth beispielsweise, weil ihm gesagt wird, er solle in zwei Wochen wiederkommen, heimlich sich ins Büro aufmacht und den gesamten Karton mit Arbeitsverhältnissen des fraglichen Jahres untern Arm nimmt, auf sein Motorrad zwängt, losprescht und die Papier selig über die Wissen flattern. Natürlich gehört zu solchen Nummern, daß er sein wichtiges Papier dann findet. Nach und nach bei allen.
Längst hat sich jedoch die Reise, die der Papiere wegen unternommen wurde, zu einer Reise in die eigene Vergangenheit entwickelt. Er trifft alte Freunde, trifft Familienmitglieder, von manchen wußte er kaum, andere waren verschollen und alte Kollegen sind auch dabei. Mißtrauisch sieht er, daß er, der sich in eigenem Verständnis so gradlinig verhält, von den anderen für einen Dummkopf gehalten wird und zwar einen der hartnäckigsten Sorte. Das macht ihn erst nachdenklich, dann sehr betroffen, furchtbar traurig auch. Traurig ist er sowieso, denn die Reise in die Vergangenheit ist auch eine zu Yasmine (Isabelle Adjani), die seine erste große Liebe war und bei einem Motorradunfall getötet wurde, weshalb sie eindrucksvoll mit Blutspuren durch den Film geistert.
Das tut Mammuth gut, denn er hatte ihren Verlust verdrängt, und ihr Wiederauftauchen als Geist läßt sein Trauma verschwinden und er ist plötzlich ein neuer Mensch. Eigentlich ein Mensch, wie er früher war, aber einer, der Jahrzehnte seines Erwachsenenlebens dumpf verbrachte, weil alle kreativen Teile seines Wesens blockiert waren. Das löst sich nun auf einen Schlag und es ist seine unkonventionelle Nichte (Miss Ming), die mitsamt ihrer Entourage ihn mutig werden läßt, das poetisch rauszulassen, was sich in ihm ansammelt. Und das ist nicht wenig. Er lebt auf, freut sich auf seine Frau und wird ein anderes Leben leben, ein frohes, ein kulturelles, ein kreatives und ein interessantes. Es kann nicht nur besser werden, es wird es auch.
Wie stark sich Mammuth nun auch gefühlsmäßig auf andere einlassen kann, zeigt die vielleicht köstlichste Szene des Films: In einem Hotelrestaurant sitzen vier Männer, Vertreter, und wollen Abendessen. Einer telefoniert laut über den Saal schallend mit seiner Familie, seinem Kind, dem er erklärt, weshalb er nicht zu Hause ist und wie lange es noch dauert. Alle anderen müssen zuhören. Der Mann legt auf und fängt heftig an zu weinen. Der nächste folgt, dann schluchzen alle heftig. Das ganze Elend dieser Welt und eines Vertreterlebens, der Menschen, die einsam wo sitzen, obwohl sie ein lebendiges Zentrum woanders haben, dieses ganze Elend wird hier in einer Szene eingefangen, die meisterlich ist.
Diese Geschichte dieses Mammuth und seiner Befreiung von sich selbst wird gradlinig und geradezu einfach erzählt. Ein Film, den man gerne anschaut und der in Machart und Thematik absolut anders ist als herkömmliches Kino, was Absicht der beiden Regisseure war und weshalb sie Gerard Depardieu und Isabelle Adjani zur Mitarbeit gewannen.
Notizen aus der Pressekonferenz
An Depardieu: Das Leben in Frankreich roh, die beiden Hauptdarsteller sehr privilegiert. Wie sehen Sie das Leben in Frankreich? Gibt es Hoffnung?… Die Beziehungen zwischen den Menschen sind gewalttätig, aber nicht die zwischen seiner Frau und sich. Nein, in der Kneipe geht es um was anderes. Es war interessant so etwas zu erleben. „Eine bestimmte Arbeit raubt Ihnen die Identität, daß sie nicht mehr kommunizieren können. Das ist Gewalt.“Ob der Film mein Leben abbildet, man ist ja auch nicht wirklich Schauspielerin, es ist schön mit Benoit und Gustave zu arbeiten, mit Ming, mit Isabelle mit richtigen Kollern, mit nüchternen Kollegen wie Kervern, der in Dieppe über die Stränge schlagen. Ohne Kontrolle von oben.
Die Entstehung dieses Films: in seinem Restaurant getroffen, in einer Stunde hatten wie uns entschlossen, den Film zu machen, 2 Monate später das Drehbuch, heute Berlinale, ein Film mit ihm(Dep.) und für ihn, mehr kann man dazu nicht sagen, natürlich kostenlos. Rot vor Wut, jeden Abend sofort die Texte auswendig.
Depardieu: Ja, es war lustig, es war wie man Kino früher machte. Sehr systematisch, aber Freiheit. Das ist ein Kunstfilm, ein anderer Film vorher, ein Schauspieler wird in einen Schrank gesperrt und der fängt an zu reden.
An Depardieu: Sie haben einen weiteren Film hier, was halten Sie von der Hautfarbe, die sich geändert hat, ? Dep: überall Probleme, aber die Hautfarbe ist für mich nicht interessant. Wie Leute, die für Oper sind. Interessiert mich nicht. Dein Schwanz war schwarz. Genau. Polemik. Die derzeitige französische Politik spielt in alles hinein. Sehr gefühlvolle Szene wie Handlungsreisende, emotional, 17 mal gedreht. Die Männer, die weinen, Männer, die arbeiten, die über ihr Schicksal weinen. Früher hatte man sich über seine Arbeit gefreut, heute ist das alles tot.
Nur zwei Kameras keine Bewegung. Bruno hat dies auf den Weg gebracht. Die dritte haben wir gut gefunden, aber die 17. genommen. Wo alle am Ende sind? Dep. :Das stimmt, das sind Situationen, die man erlebt haben muß. Da gibt es keine Handlung, nur Gefühl. Nach 18/19 Uhr sollte Schluß sein und dann wurde gegessen und dann war das die allerletzte Szene. War schwierig, weil es keine Kameraschwenks gab, das muß durchgehend gedreht werden. Wir haben was Neues geschaffen. Wir müssen die surrealistischen Seiten in uns aufdecken.
Was haben Sie am meisten an der Rolle geliebt? Was hat dazu geführt, diese Rolle anzunehmen? Dep.: Was ich vorher gesagt habe. Die Kunstform. Es gibt immer weniger Kunst im Kino. Heute ist nichts auseichend Interessantes, was wert wäre, mitzumachen. Wir müssen Widder sein. Und diese Rolle fordert nur, zu sein, sonst muß man etwas tun und ist nicht mehr in seinem Sein.
Depardieu: Das habe ich gleich gemerkt, Gerard begehrt nicht auf. Er kommt aus seiner Engheit nur durch den Leib heraus, durch Gewalt nicht und nichts. Leben und Würde und Liebe. Wir sind alle der Meinung, die Miss Ming unverständlich vorbringt. Genderthema: lange Haare und Kleider, afrikanische Boubou, mein eigener, damit man untenherum mehr Freiheit hat. Ich habe oft richtige Transvestiten gespielt.
Für den Regisseur war Depardieu wichtig, seit er das Buch über sein Leben las. Vater Autodidakt, Analphabet, ich weiß, daß er den Film als sein Vater erlebt hat. Freizeitbildhauer, eine Skulptur haben sie ihm geschenkt,. Dep.: Ein Film, in dem ich meinen Vater wiedererkannt haben, er ist auch immer ausgenutzt worden, hat keine Rente gehabt, weil er auch vorher gestorben ist, meine Mutter auch, er hat alle Herzen aller Menschen gehört, als er sein Motorrad verkauft.
Im Film muß man nichts rechtfertigen, eine künstlerische Bewegung. Seht Ihr, so ist es.
Intelligente und nette Menschen, der Film spricht von der Gewalt im Leben, aber im Inneren sind die Menschen lieb. Die Frau, die ihnen Mann losschickt, um endlich mal zu handeln.
In welcher Rolle lieben Sie sich am meisten? Dep.: In dieser. In dieser mußte ich nichts tun. Das Bild von mir ist das, wie auf dem Motorrad, ich bin ein Beobachter des Lebens. Ich bin einfach. Ich mache sonst etwas, was Geld bringt, wobei ich aber mit unheimlich vielen Arschlöchern zu tun habe. Hier habe ich mit Freunden gearbeitet, die Kunst machen.
Titel: Mammuth
Land: Frankreich 2010
Regie: Benoit Delepine und Gustave Kervern
Darsteller: Gerard Depardieu, Yolande Moreau, Isabelle Adjani, Miss Ming
Wertung: * * * *