Campus Augustusplatz im Herzen der Stadt – Serie: Stadt und Hochschule feiern 600 Jahre Universität Leipzig (Teil 2/5)

Das für universitäre Aufgaben genutzte Hochhaus wurde aufgegeben, die dort angesiedelten Fakultäten fanden sich über die ganze Stadt verteilt wieder. Das historische Zentrum der Universität befindet sich am Augustusplatz, bot aber nur noch der Mathematik Heimat. Das wird sich grundlegend ändern, denn derzeit wird auf rund 35 000 Quadratmetern eine universitäre Landschaft errichtet, die sowohl auf die Bedürfnisse des Studienbetriebs wie auch die architektonischen Besonderheiten Leipzigs Bezug nimmt: Passagen und Durchgänge zum Innenhof. Dabei spielt das Paulinum eine besondere Rolle. Und da spielt wieder die Vergangenheit hinein, denn es war ein Dominikanerkloster, wo der Lehrbetrieb stattfand und die dazugehörige Kirche St. Pauli war Universitätskirche. Wen das wundert, der sei noch einmal an das Gründungsjahr 1409 erinnert, wo die römische Kirche auch das Wissen im Griff hatte. Die Säkularisation fand erst nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation 1806 statt.

Auf die Schlachten und öffentlichen Diskurse, die seit 1994 um die Neubebauung des historischen Zentrums, das rund 13 000 Menschen dient, stattfanden, soll nur verwiesen werden. Wir sind offen und ohne Vorurteile der Besichtigungstour gefolgt. Sieger im Architekturwettbewerb der Neuordnung und Umgestaltung des Campus am Augustusplatz war das Architektenbüro behet + bondzio aus Münster, aber nur auf dem zweiten Platz, ein erster wurde nicht vergeben. 2004 wurde dann das Architekturbüro erick van egeraat aus Rotterdam mit einem Neubau von Augusteum und Paulinum beauftragt. Eine in Leipzig und darüber hinaus sehr umstrittene Entscheidung. Das Paulinum soll das geistige Zentrum der Universität werden, verfügt also über eine Aula, eine Orgel für Konzerte, was der Musiktradition der Leipziger Uni gut ansteht, und soll – historisch hergeleitet – auch geistliches Zentrum sein, also die vorherige Funktion als Kirche weiterführen, indem die Architektur an die ehemals gotische Kirche erinnert und auch als Andachtsraum genutzt werden kann. Der Anspruch klingt gut, doch wie setzt er sich um?

Wir sehen von außen ein riesengroßes gotisches Fenster, das absolut irritierend wirkt. Das muß nicht schlecht sein. Über einen Eingang über den Hof, vorbei am Schinkeltor, das schon das erste Augusteum nutzte, am Leibnizdenkmal und weiteren Erinnerungsmälern des 19. Jahrhunderts kommen wir in eine hohe Halle, die – erst recht im gegenwärtigen halbfertigen Zustand – sakrale Leere ausstrahlt. Hier erfahren wir die wirklich deprimierende Geschichte dieser Kirche St. Pauli, Paulinerkirche genannt und mit der universitären Nutzung Paulinum. Diese hatte der Zweite Weltkrieg fast unversehrt gelassen. Aber sie störte die Ausbaupläne des neuen Universitätskomplexes der SED-Machthaber und wird am 30. Mai 1968 gesprengt. Das ist wirklich ein Ausdruck der Barbarei und nicht wieder gut zumachen, auch wenn der Kirchenschmuck gesichert wurde und nun zum großen Teil im Neubau wieder ein- und angefügt werden soll. An Stelle der Kirche wurde ein Neubau errichtet, dessen überdimensioniertes Bronzerelief des Namensgebers der Uni, Karl Marx, als „Marx-Relief“ überlebte und nun an anderer Stelle zum Mahnmal umgedeutet an diese kulturelle Schandtat erinnern soll.

Wollen wir uns darauf zurückziehen, daß wir uns das Ganze noch nicht vorstellen können? Das wäre etwas billig, aber das, was wir sehen, gefällt uns nicht. Andererseits ist das schon richtig, daß die vielen Säulen, die wir sehen und die an die gotische Kirche erinnern sollen, aber versenkbar und nach oben hochziehbar, unser ästhetisches Empfinden nicht erreichen, denn dazu gehörte nun ein intensives Studium der Architekturzeichnungen oder Simulationen des fertigen Zustandes und nicht eine dann doch kurze Führung durch die imposante Baustelle. Uns gefällt einfach nicht die Anverwandlung von Architekturformen der Gotik in den modernen Bau, der mit allen Schikanen einer mehrdimensionalen Nutzung zugeführt wird, zu der eben auch die sakrale gehört. Aber wenn anschließend in einem künftigen Mathematiksaal – die Mathematik und die Informatik ziehen als erste wieder ein – ein großes Rosettenfenster und viel Glas diesem Raum Licht geben, so finden wir das ein Sammelsurium von Zitaten und eigentlich geschmacklos – aber wie gesagt, unsere Basis der Beurteilung ist zu schmal. Der Festakt im Paulinum soll am 2.12. 2009 stattfinden.

Daß der künftige lichte Raum, der in Stockwerke umgestaltet werden kann, eine dreischiffige Struktur hat und eine Gewölbedecke, die das gotische Netzrippengewölbe in moderner Abhängkonstruktion simuliert, verbunden mit dem gotischen Fenster, dem sich ein Altar zugesellen soll, und den Lichtschlitzen und Glas und Spiegeln”¦all das überfordert zum gegenwärtigen Zeitpunkt unsere Phantasie und wir hätten es lieber, es würde uns gefallen. Tut es aber nicht. Wir sind aber gerne dazu bereit, unsere Meinung zu ändern, wenn die Fertigstellung die ästhetische Dimension zufriedenstellen könnte. Was man sich jetzt sehr viel besser vorstellen kann, ist, wie die Gesamtanlage studentischen Ansprüchen genügen wird.

Zentraler Ort des Campus, der umschlossen ist von der Grimmaischen Straße mit Institutsgebäude (Wirtschaftswissenschaften) und Paulinum, dem Augustusplatz, wo die schmale Front des Paulinum und das neue Augusteum (Sitz der Mathematik und Galerie der Kustodie für Wechselaustellungen) stehen, und die Mensa (3 900 Essenausgaben pro Tag, 890 Sitzplätze, Kinderbetreuung), durch den Park im Westen begrenzt, während an der Universitätsstraße ein weiteres Seminargebäude (86 Seminarräume mit 2 600 Sitzplätzen und Büros) steht, zentraler Ort also in der Mitte ist der langgestreckte Innenhof, das Leibniz-Forum, an den sich Richtung Park noch das Hörsaalgebäude (Rechenzentrum und 12 Hörsäle mit 2 600 Sitzplätzen) und die Campusbibliothek (500 Leseplätze und 270 000 Bücherbestand) anschließen. Das gesamte Quartier soll auch durch die Farbgestaltung als Einheit kenntlich sein. Die hellen Fassaden werden durch einen umlaufenden dunklen Sockel zusammengehalten, wozu rostrote Farbakzente an die gegenüberliegende in Backstein gefertigte Moritzbastei erinnern sollen.

Nach all den Führungen und ununterbrochenen Informationen über bauliche Gründe und Nutzungszwecke haben wir uns noch einmal alleine auf den Weg gemacht und sind über den Augustusplatz – den Teil der angenehm als Fußgängerzone gestaltet ist – Richtung Paulinum und gotischem Fester unterwegs. Wir sehen es aber nicht, denn eine dicke und hohe Betonwand nimmt uns die Sicht, in die all die Büdchen und kleinen Geschäfte integriert sind, die heutzutage die eigentlich freien Plätze zubauen und verschandeln. „Ach so“, denken wir, „das ist der Baustelle geschuldet und verschwindet mit der Fertigstellung des Campus Augusteum“. Mitnichten, sehen wir von hinten. Die dunkle Wand ist die Einfahrt zur Tiefgarage. Sicherlich nützlich, sogar notwendig in der Innenstadt. Aber doch nicht so! Als Verhinderung einer freien Sicht vom verkehrsfreien Platz aus auf Paulinum und Augusteum. Ein absoluter Schildbürgersreich. „Freie Sicht aufs Mittelmeer“ hieß einst eine Ausstellung in der von Bergen umstellten Schweiz. „Freie Sicht auf das Paulinum und Augusteum“, lautet nun unsere Erkenntnis. Aber wer weiß, vielleicht sind alle am Ende froh, daß sie die gotische Anverwandlung und den Architekturmix des neuen Campus am Augustusplatz nicht sehen müssen? Das wäre allerdings eine geniale Stadtplanung.

Leipzig feiert seine 600jährige Universität in großem Stil. Schon vor vielen Jahren war ein bauliches Modernisierungs- und Erweiterungsprogramm – verbunden mit einer räumlichen Neuordnung der Fachbereiche – gestartet, das pünktlich zum Jubiläum mit dem Campus Augustusplatz eingeweiht werden soll, dem größten innerstädtischen Universitätsleben, an dem seit 2004 gebaut wird. Es folgen die Artikel zur Jubiläumsausstellung und deren Eröffnung.

Jubiläumsausstellung „Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften“ vom 9. Juli bis 6. Dezember 2009

Der Ausstellungskatalog wird zur Ausstellungseröffnung am 8.7. vorliegen. Als Erster Band sind schon die Essays erschienen, die der Kunst- und Kulturausstellung das innere Gerüst geben, das der Aufklärung allgemein und das der Aufklärung in Sachsen im Besonderen. Da geht es um die dortigen Träger der Aufklärung, um die Wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch Formen der Bildung und der Wissenschaft außerhalb von Universitäten und Schulen. Ein beeindruckender und lehrreicher Band, erschienen im Sandstein Verlag, Dresden 2009.

Das dicke Jubiläumsprogramm besitzt viele Schwerpunkte, von denen die wissenschaftlichen Veranstaltungen allein 80 Seiten ausmachen.

www.sechshundert.de

www.erleuchtung-der-welt.de

www.uni-leipzig.de

www.uni-leipzig.de/campusrundgang

Universität Leipzig, Geschäftsstelle 2009-07-05 Ritterstraße 30-36, Telefon: 0341 97 35 0 35, Fax: 0341 97 35 0 39

Reiseliteratur:

Tobias Gohlis, DuMont Reistaschenbuch Leipzig, 2006

Marco Polo, Leipzig, 2006

Mit freundlicher Unterstützung des Leipzig Tourismus und der Universität Leipzig sowie der Hotels Mercure am Johannisplatz und Park Hotel Leipzig, gegenüber dem Hauptbahnhof.

Leipzig Tourismus und Marketing GmbH, Leipzig Information, Richard Wagner Straße 1, 04109 Leipzig, Tel. 0341/7104-265, Email: info@ltm-leipzig.de

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