Darüber schien sich EU-Komissar Joaquín Almunia in seinem Kommentar wenig zu freuen, denn er sprach davon, dazu gezwungen zu sein. Er müsse ein Quasi-Monopol im globalen Markt für Termingeschäfte und damit eine erhebliche Schädigung der europäischen Wirtschaft zu verhindern.
Bei einer Elefantenhochzeit der beiden führenden transatlantischen Börsenbetreiber hätten diese mehr als 90 Prozent des börsengebundenen Derivatehandels mit europäischen Werten kontrolliert, sagte Almunia. Die Tochterfirmen Eurex (Deutsche Börse) und Liffe (NYSE Euronext) teilten sich den Markt derzeit auf. Das äußerst lukrative Geschäft bilde "den Kern des Finanzsystems", sagte der Kommissar. Die Fusion hätte den Wettbewerb ausgeschaltet – und den Einstieg neuer Konkurrenten blockiert.
Keine Frage: Die Rote Karte aus Brüssel stellt für die Deutsche Börse noch eine schwere Schlappe in ihrem permanenten Expansionsbestreben dar. Über einen "schwarzen Tag für Europa" klagte daher der Vorstand, wie nicht anders zu erwarten. Was des einen Leid ist des anderen – das sind vor allem die Anleger der Deutschen Börse – Freud. Der Kurs des DAX-Unternehmens legte nach der Nachricht zu. Auch die Arbeitnehmer der Deutschen Börse reagierten erleichtert. Deren Interessen sind, keine Frage, ihre Interessen und zwar im Augenblick.
Überprüfen wir die Äußerungen von Almunia. Stimmt das, was der Mann sagt, oder stimmt das nicht? Seine Meinungsäußerungen mit der Monopolstellung ist falsch. Wer sich auskennt weiß, daß der Marktanteil der beiden Börsen im Derivatehandel von angeblich 90 Prozent nur richtig ist, wenn man etwas Entscheidendes ausblendet: die "Globalisierung". In der "Zeit" stellt H. Buchter fest, daß "bezogen auf das globale Terminkontraktgeschäft … die beiden Börsen nur bei 39 Prozent" liegen. Gemeinsam wären sie nur die Nummer 2 hinter beider Erzrivalen und der ist die Chicago Mercantile Exchange (CME), "die einen Anteil von 44 Prozent des "Weltmarktes" besetzt". Wer in diesem Bezug allerdings vom Weltmarkt spricht, der redet genau genommen vom "Börsen-Weltmarkt". 90 Prozent des Handels findet aber gerade nicht auf dem Parkett der Börse statt sondern in Hinterzimmern einer Hand voll Großbanken.
Das dumme Geschwätz vom Monopol dient nur der Destabilisierung des konkreten Marktplatzes in Mainhattan und somit allgemein den Spekulanten überall. Richtig wäre im Grunde, sämtliche Börsen zu monopolisieren und zwar unter allen Umständen auch den außerbörslichen Derivatehandel. Diese Superbörse jedoch muß wie alle Monopole staatlich sein und zwar nicht nationalstaatlich sonder "supernationalstaatlich". Börsen sind nämlich keine Privatangelegenheit sondern von entscheidendem volkswirtschaftlichem Interesse, dürfen daher nicht privatwirtschaftlich organisiert werden, wenn sie dem Wohl aller dienen sollen. Deals over the counter, also die Finanzgeschäfte der Banken untereinander, dürfen nicht länger erlaubt werden. Das lehrt die Erfahrung der momentane Krise des Monetarismus. Finanzgeschäfte müssen auf den Finanzmarktplatz und also an die eine zentrale, staatliche Weltbörse für alle.
Doch was geschieht hingegen? NYSE Euronext erklärte, es werde nun über die Auflösung der Fusionsvereinbarung diskutiert. Ein klares Signal, dass man in New York nicht mehr auf eine Revidierung der Kommissionsentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof hofft. "Es ist jetzt Zeit, nach vorne zu blicken", nennt NYSE-Euronext-Vorstand Jan-Michiel Hessels das Weiterwurschteln.
Das Aus für den Zehn-Milliarden-Dollar-Deal ist ein Dämpfer für beide Unternehmen: Sie wollten sich durch die Fusion auch besser gegen große Konkurrenten in den USA und Asien wappnen. Allerdings nicht um jeden Preis. Die Auflagen Almunias, das Trennen vom Derivate-Geschäft, lehnten sie ab.
"Die Deutsche Börse ist gut gerüstet und hat genügend Kraft, um auch ohne die Fusion weiter zu wachsen und erfolgreich zu sein", beteuerte Vorstandschef Reto Francioni. Gleichwohl machte er seinem Ärger über Brüssel Luft: Mit dem Nein "wird die Schaffung einer in Europa beheimateten und global führenden Börsengruppe verhindert", sagte er in Frankfurt am Main. "Dies ist auch eine verpasste Chance für den Finanzplatz Frankfurt."
Almunia wies den Vorwurf zurück, er habe den Aufbau eines "europäischen Champions" verhindert. Die New Yorker Börse sei schließlich nicht mehrheitlich in europäischen Händen. Die geplante Mega-Börse hätte zudem keinen europäischen Geschäftsführer gehabt. Und nicht zuletzt habe die Deutsche Börse "nicht zu hundert Prozent europäische Aktionäre". Nationale Überlegungen seien für die Kommissionsentscheidung irrelevant gewesen.
Im Brüsseler Kollegium war nur Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier für die Hochzeit eingetreten, weil er sich davon eine Aufwertung des europäischen Finanzplatzes erhoffte. Am Mittwoch ließ er seinen Widerstand aber fallen; es sei gar nicht zur Abstimmung gekommen, sagte Almunia.
Die Arbeitnehmer der Deutschen Börse, die sich gegen die Fusion gestemmt hatten, atmeten auf. Sie sei "froh, dass dieses Megaprojekt gescheitert ist", sagte Betriebsratschefin Irmgard Busch zu "Spiegel Online". Der geplante Deal hätte enorme Risiken für die Mitarbeiter in Deutschland mit sich gebracht.
Für die Deutsche Börse ist es, wie oben angedeutet, nicht die erste Niederlage beim Versuch, durch die Übernahme eines Konkurrenten zu wachsen. In den vergangenen Jahren hatte sich der Börsenbetreiber gleich zweimal dabei verhoben, die prestigeträchtige London Stock Exchange zu kaufen. Außerdem ging die Übernahme der europäischen Vierländerbörse Euronext schief, die mittlerweile zum Wall-Street-Betreiber NYSE gehört.
Ohnehin platzten jüngst mehrere Übernahmeversuche von Börsenbetreibern: Die Börse in Toronto wurde 2011 nicht an London verkauft. Auch die versuchte Übernahme des Handelsplatzes Sydney durch die Börse Singapur scheiterte an nationalen Interessen. Daß das nicht immer so ist, zeigt die oben erwähnte CME, die sich 2007 Rivalen CBOT und 2008 die Nymex einverleibte. Weitere Fusionsvorhaben privatwirtschaftlich geführter Börsen stehen an. Die Deutsche Börse steht abseits.
Mit Material von dpa, dapd, Spiegel-Online, Zeit