Brillenschafe und Geislerrind – Das Villnößtal bewahrt seine Eigenständigkeit

© Foto: Rainer Hamberger
Ansonsten lassen sich die den steilen Hang abgrasenden Schafe nicht aus der Ruhe bringen. Hin und wieder ein Blick in die Runde. Doch nichts scheint ihre Idylle zu stören. Auffallend schon bei den ganz Jungen sind die schwarzen Augenringe denen die Rasse ihren Namen verdankt. Das Villnösser Brillenschaf ist wahrscheinlich Südtirols älteste Schafrasse, eine Kreuzung der heimischen Landschläge mit Bergamasker und Paduaner Seidenschaf. In den 30iger Jahren fällt diese Schafart beinahe den nationalsozialistischen Rassegesetzen zum Opfer. Sie entsprach nicht dem gewünschten Einheitsschaf. Erst seit wieder großen Wert auf Nachhaltigkeit und auf Naturprodukte aus der nächsten Umgebung gelegt wurde kam das Brillenschaf zurück in das Alpental.
Vielseitige Nutzung der Schafe
Mit lautem Getöse fängt die Kardiermaschine an zu rattern. Valentin legt den Hebel um, es kehrt wieder Ruhe ein. Er erzählt wie sein Vater diese über 100 Jahre alte Maschine zerlegt transportiert und hier wieder vollständig zusammengesetzt hat. Die mit feinsten Nadeln besetzte Walze verarbeitet die Wollflocken zu homogenem Material. Valentin Niederwolfsgruber betreibt in Villnöß noch Wollverarbeitung der herkömmlichen Art. Scheren mit der Hand. Für die Verarbeitung zu feinen Wollprodukten wie Kopfkissen, Lodenstoffen, Decken und vieles mehr bedient er sich heute modernerer Maschinen. Wir versuchen es mit dem Spinnen. Keine einfache Aufgabe: gleichmäßig zu treten damit das Spinnrad in Schwung bleibt und mit viel Fingerspitzengefühl das Rohmaterial zu einem fortlaufenden Faden zu drehen. Das Naturprodukt Wolle mit seinem natürlichen Lanolingehalt findet immer mehr Anwendungsmöglichkeiten. 
Köstlichkeiten anderer Art vom Lamm serviert Oskar im Pitzok in St. Peter. Ob gekochter Schinken mit Geschmack nach Thymian oder einer in Südtiroler Bergluft gereiften Salami ohne Zusatz von Schweinefleisch, jedes Produkt hat seinen individuelle Note. Die Zutaten besorgt er wenn möglich aus nächster Umgebung. Er scheut sich aber auch nicht eine Tomatensorte aus einer bestimmten Region Italiens zu kaufen, eine sehr alte Sorte mit vorzüglichem Aroma, die er dann nach seinen Rezepten haltbar macht, damit sie ihm ganzjährig zur Verfügung steht. Oskar ist mit Leib und Seele und vor allem mit vielen kreativen Ideen Koch und Gastwirt.
Anfang Oktober serviert man in verschiedenen Restaurants Lammfleisch in vielen Variationen. Die Heimat des Brillenschafes sind kleine Bauernhöfe und die freie Natur auf der Alm. Daraus resultiert auch die gute Qualität des Fleisches: feinfaserig, zart und sehr mild im Geschmack. Aus ernährungspsychologischer Sicht ist Lammfleisch ein wertvolles Lebensmittel. Neben  hochwertigem Eiweiß, Vitaminen und Mineralstoffen, weist es ein besonders günstiges Fettsäuremuster auf.
© Foto: Rainer HambergerDie markanten Geisler-Spitzen leuchten zartrosa im Abendlicht bevor die Sonne endgültig am Horizont verschwindet. Ein allzu bekanntes Motiv der Dolomiten und doch immer wieder unbeschreiblich schön, wenn man es selbst erlebt. Im Juni 2009 wurden die Dolomiten aufgrund „ihrer Schönheit, ihrer landschaftlichen Einzigartigkeit sowie ihrer geologischen und geomorphologischen Bedeutung“ in die Welterbeliste eingetragen. Weit über die Grenzen Italiens hinaus ist dieser Gebirgszug mit seinen bizarren Türmen, Steilabbrüchen und weitläufigen Hochebenen bekannt. An den Gesteinszusammensetzungen lässt sich der langjährige Prozess der Gebirgsentstehung nachvollziehen. 
Ausrufe des Erstaunens sind in dem Teiser Mineralienmuseum zu hören. Eine Schulklasse bestaunt die Schätze der Natur, die der Berg frei gegeben hat. In dieser Gegend fand man die „Teiser Kugeln“ auch Geoden oder Achatmandeln genannt. Entstanden sind sie, so nimmt man an, aus erkaltenden Lava Gasblasen in deren Hohlräume Mineralien und Kristalle ausgeschieden wurden.
Der Wanderweg führt sanft bergauf. Vorbei an alten Bauernhöfen, vorbei an der Kirche die inmitten des Friedhofs ruht mit fantastischem Blick auf die Berge und ins Tal, vorbei an Brillenschafen, welche in der warmen Sonne an den Hang geschmiegt kauern. Dann umfängt uns der Wald mit hohen Fichten. Angenehm kühl ist es hier. Plätschernd bahnt sich ein Bach seinen Weg ins Tal. Von St. Magdalena im Val Di Funes wie das Villnößtal melodiös im Italienischen heißt gelangt man in den Naturpark Puez-Geisler. Auf Wanderwegen oder anspruchsvollen Bergtouren erschließt sich dem Besucher diese vielseitige Landschaft. Schutzhütten bieten Übernachtungs- bzw. Einkehrmöglichkeiten.  
Eigener Strom für die ganze Gemeinde
© Foto: Rainer HambergerDie Bewirtschaftung abgelegener Alpentäler stellte für die dortigen Menschen schon immer eine besondere Herausforderung dar. Für Landwirtschaft standen nur wenige Grasflächen zur Verfügung. Relativ ertragreich war der Wald. Später gesellte sich noch der Tourismus dazu. Schon sehr früh erkannte man im Villnösser Tal die Möglichkeit mit Wasserkraft Strom zu erzeugen. Es gab bereits viele einzelne private Kraftwerke die Energie für den eigenen Hof lieferte. Im Jahre 1921 fand man genügend vorausschauende Interessenten welche die „Elektrizitätsgesellschaft St. Magdalena GmbH“ gründeten. Mitglieder sollten mit elektrischer Energie versorgt werden zur Hebung der Wirtschaftskraft des Tales. Über 90 Jahre später hat sich die Grundidee als Erfolgsrezept erwiesen. In St. Peter, St. Magdalena und in Meleins erzeugen Wasserkraftwerke genügend Energie um die Bevölkerung mit billigem und vor allem sicherem Strom zu versorgen. In zwei Fernheizwerken entsteht außerdem mit Pellets Energie. Das Holz wird den ortsansässigen Waldbesitzern abgekauft und an Ort und Stelle zerkleinert. Eine moderne Transportschraube versorgt das Fernheizwerk, welches das erwärmte Wasser in die einzelnen Haushalte pumpt. Eine Photovoltaikanlage in St. Peter nützt zudem die Sonnenenergie. Die nicht benötigte Energie wird weiter verkauft. 
Das Val di Funes ist auch Geburtstal von einem der berühmtesten Bergsteiger. Reinhold Messner erblickte hier das Licht der Welt. Vielleicht war die Enge des Alpentales und die damit verbundene Denkweise der dort lebenden Menschen ausschlaggebend für seinen Drang die höchsten Berge zu erobern und auszubrechen in die weite Welt. Gebirge prägten sein Leben von Anfang an. Hier in der Heimat hat man es ihm nicht leicht gemacht. Zunächst wollten die Südtiroler Behörden seine auf Burgen verteilten Museen nicht haben. 
„Meinem Trotz und meinem Durchsetzungsvermögen, aber auch meiner Angst und Demut verdanke ich, dass ich noch am Leben bin,“ gesteht er in einem Interview, das auf Sigmundskron in seinem Museum südlich Bozen zitiert wird. 
Leben mit der Natur, leben von der Natur – diese alten Lebensweisheiten verbunden mit ihrer eigenen Kreativität hat den Menschen im Villnößtal zu einem gewissen Wohlstand verholfen ohne die Selbstständigkeit dafür zu opfern. Auf dem Panoramaweg oberhalb von St. Magdalena kommen uns sogar die Melodien des Montanara Chores ins Gedächtnis.
Informationen: Villnöß liegt in einem Seitental zwischen Bozen und Brixen in den Dolomiten und gehört zu den Alpine Pearls, Gebirgsorten die nach strengen Kriterien für nachhaltigen Tourismus stehen, Details dazu unter www.villnoess.info bzw. www.alpine-pearls.com. Als Alpine Pearl Betrieb wurde der Proderhof in Villnöß zertifiziert. www.proderhof-villnoess.com. Auskünfte über das Tal und seine touristischen Angebote: info@villnoess.com.
Literatur: neu erschienen „Unterwegs in Südtirol“, ein reichbebilderter Reiseführer aus dem Kunth Verlag in München mit einer Auswahl der attraktivsten Reiseziele, Wissenswertem zu Geschichte, Land und Leuten, den schönsten Autotouren und Stadtrundgängen, sowie einem detaillierten Reiseatlas, 256 Seiten, 19,95 EUR
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