Nun in dieser Woche geschah es wieder. Das Oberste Gericht fällte eine Entscheidung, die soviel wie eine Ohrfeige ins Gesicht des augenblicklichen Generalanwalts der Armee war, dem Brigadegeneral, Avichai Mendelblit.
Der betreffende Vorfall ereignete sich in Ni’alin, einem Dorf, dem ein großer Teil seines Landes durch die Mauer geraubt worden war. Wie ihre Nachbarn in Bilin demonstrieren die Einwohner gegen den Zaun. Gewöhnlich sind die Reaktionen der Armee in Ni’alin sogar noch gewalttätiger als in Bilin Es wurden dort schon vier gewaltlose Demonstranten getötet.
Bei diesem besonderen Vorfall nahm Oberstleutnant Omri Borberg sich einen palästinensischen Demonstranten vor, der mit gefesselten Händen und verbundenen Augen auf dem Boden saß, und sagte zu einem seiner Soldaten: „Lasst uns etwas beiseite gehen und ihm einen Gummi geben!“ Er befahl dem Soldaten, aus unmittelbarer Nähe mit einer Gummikugel auf ihn zu schießen.
Für diejenigen die es nicht wissen: „Gummikugeln“ sind mit dünnem Gummi ummantelte Stahlkugeln. Aus größerer Entfernung verursachen sie schmerzhafte Verletzungen. Aus der Nähe abgeschossen, können sie tödlich sein. Offiziell ist es Soldaten erlaubt, sie höchstens bei einem Minimalabstand von 40 Metern anzuwenden.
Ohne zu zögern, schoss der Soldat dem Gefangenen in den Fuß, obwohl dies offenkundig ein illegaler Befehl war, dem ein Soldat nach dem Armeegesetz nicht gehorchen darf. Nach der klassischen Definition des Richters Binyamin Halevy – wie im Falle des Kafr Kassem-Massakers 1956 – schwebt über solchen Befehlen „die schwarze Fahne der Illegalität“. Der Gefangene Ashraf Abu-Rakhma, wurde getroffen und fiel zu Boden.
Die seit langer Zeit sich an Demonstrationen in Ni’alin und Bilin Beteiligten wissen, dass solche und ähnliche Vorfälle immer wieder geschehen. Aber der Abu-Rakhma-Fall war aus einem Grund ein besonderer: er wurde von einer jungen einheimischen Frau von einem Balkon in der Nähe des Verbrechens mit einer der Kameras fotographiert, die den Dorfbewohnern von B’tselem, einer israelischen Menschenrechtsorganisation, für solche Fälle überlassen wurde.
So beging der Oberstleutnant eine nicht zu vergebende Sünde: er wurde auf frischer Tat ertappt und dabei fotografiert. Wenn allgemein Friedensaktivisten solche Untaten enthüllen, greift der Armeesprecher in seinen Lügensack und kommt mit dem einem oder anderen verlogenen Statement („er hat den Soldaten angegriffen“, „er versuchte ihm die Waffe wegzunehmen“, „er widersetzte sich der Verhaftung“). Aber selbst der beste Sprecher konnte nicht leugnen, was klar auf dem Film gesehen wird.
Als der militärische Generalanwalt entschied, den Offizier und den Soldaten wegen „unziemlichen Verhaltens“ strafrechtlich zu verfolgen, riefen Abu-Rakhma und einige israelische Menschenrechtsorganisationen den Obersten Gerichtshof an. Der Richter riet dem Armeeanwalt, die Anklage zu verändern. Er weigerte sich, und so kam die Sache noch einmal vor Gericht.
In einer Entscheidung, die für ihre scharfe Ausdrucksweise ungewöhnlich war, fanden die drei Richter (einschließlich einer Richterin und einem religiösen Richter) in dieser Woche, dass die Anklage „unpassendes Verhalten“ selbst unpassend war. Sie ordneten für beide, den Offizier und den Soldaten, eine weit strengere strafrechtliche Anklage an, um allem militärischen Personal klar zu machen, die Misshandlung eines Gefangenen „stehe nicht im Einklang mit dem Geist des Staates und der Armee “.
Nach solch einer Ohrfeige hätte sich eine anständige Person verschämt zurückgezogen. Aber nicht Mendelblit. Der bärtige und eine Kippa tragende Brigadegeneral ist ein persönlicher Freund des Generalstabschefs Gaby Ashkenasi und erwartet jeden Augenblick, zum Generalmajor befördert zu werden.
Vor kurzem weigerte sich der Generalanwalt, einen ranghohen Offizier anzuklagen, der vor Gericht – zugunsten eines Untergeordneten – behauptete, es sei rechtens, Palästinenser physisch zu misshandeln.
Ashkenasi verdankt seinem Generalanwalt sehr viel – auch aus anderen Gründen. Mendelblit hatte sich sehr darum bemüht, die Kriegsverbrechen, die während des letzten Gaza-Krieges begangen worden waren, zu vertuschen: von Ashkenasis Kriegsplan bis zu den Verbrechen der einzelnen Soldaten. Keiner wurde vor Gericht gestellt, keiner wurde ernsthaft verhört.
Am Tag, an dem die Entscheidung des Obersten Gerichtes, Mendelblit betreffend, veröffentlicht wurde, machte ein anderer Brigadegeneral Schlagzeilen. Seltsam genug ist, dass auch er den (nicht häufigen) Namen Avichai hat, einen Bart und eine Kippa trägt.
In einer Rede vor religiösen Soldatinnen drückte der Chefrabbiner der Armee, Brigadegeneral Avichai Rontzky seine Meinung aus, Armeedienst sei für Frauen nach der jüdischen Religion verboten.
Da jede jüdische junge Frau in Israel gesetzlich verpflichtet ist, zwei Jahre Armeedienst zu tun – und Frauen erfüllen viele wichtige Aufgaben in der Armee – war dies ein aufrührerisches Statement. Aber keiner war von diesem Rabbiner wirklich überrascht.
Rontzky wurde für diesen Posten vom früheren Generalstabschef Dan Halutz gewählt. Er wusste was er tat.
Der Rabbiner kommt nicht aus einer religiösen Familie. Er war tatsächlich sogar ganz „säkular“, Mitglied einer Elite-Einheit, als er erleuchtet und „wiedergeboren“ wurde. Wie viele dieser Art, machte er nicht nur halbe Sache, sondern ging ins Extrem, wurde ein Siedler und eröffnete eine Yeshiva (religiöses Seminar) in einer der fanatischsten Siedlungen.
Rontzky entsprach dem Geist der Person, die ihn ernannt hatte. Man erinnere sich nur an das, was der Luftwaffengeneral auf die Frage antwortete, was er fühle, wenn er eine Eintonnenbombe auf einen Wohnbezirk abwerfen würde. Er antwortete: „ein leichtes Zittern des Flügels“. Bei einer Diskussion über die Frage, ob man am Schabbat einen verletzten Palästinenser behandeln dürfe, schrieb Rontzky: das Leben eines Nicht-Juden ist sicher wertvoll ”¦ aber der Schabbat ist wichtiger.“ Das bedeutet, dass ein sterbender Goy am Schabbat ärztlich nicht behandelt werden solle. Und dieser Terminus „Goy“ ist deutlich mit abfälligen Assoziationen verbunden.
Die israelische Armee hat etwas, das „Ethischer Kodex“ genannt wird. Der geistige Vater dieses Kodex, Professor Asa Kasher, rechtfertigte zwar die Brutalitäten der Operation „Geschmolzenes Blei“; aber Rontzky ging noch viel weiter: er sagte eindeutig, dass „wenn der Ethische Kodex nicht mit der Halacha (dem religiösen Gesetz) übereinstimmen würde, dann muss man ganz bestimmt der Halacha folgen.“
In einer von ihm verteilten Veröffentlichung steht, es „ ist ein biblisches Verbot, selbst einen Millimeter vom Land Israel wegzugeben“. Mit andern Worten behauptet der Chefrabbiner der Armee, ein Brigadegeneral der IDF, dass die offizielle Politik der israelischen Regierung eine Todsünde sei – angefangen von Ariel Sharons „Trennung“ bis zur letzten Rede von Netanyahu über einen entmilitarisierten palästinensischen Staat.
Der Höhepunkt aber wurde mit einer Broschüre erreicht, die das Armee-Rabbinat während des Gazakrieges an die Soldaten verteilte: „Gnade gegenüber einem grausamen Feind walten zu lassen bedeutet gegenüber den unschuldigen und ehrenhaften Soldaten grausam zu sein.“
Das war klare Aufhetzung zu Brutalität. Dies kann als ein Aufruf zu Taten angesehen werden, die Kriegsverbrechen sind – es sind dieselben Taten, für die sein Kollege, der militärische Generalanwalt, alles nur Mögliche getan hat, um sie zu decken.
Keiner der beiden bärtigen Brigadegeneräle würde nur einen einzigen Tag im Amt bleiben, wenn sie nicht die volle Unterstützung des Generalstabschefs hätten. Die Armee ist eine hierarchische Institution und die volle Verantwortung für alles, was dort geschieht, fällt voll und ganz auf den Chef zurück.
Gabi Ashkenasi gibt nicht wie seine Vorgänger an und spricht nicht oft in der Öffentlichkeit. Falls er politische Ambitionen haben sollte, dann verbirgt er sie gut. Aber während seiner Amtszeit hat die Armee einen gewissen Charakter angenommen, der genau von diesen beiden Offizieren vertreten wird.
Das fing natürlich nicht mit Ashkenasi an. Er führte nur fort – und verstärkte vielleicht – eine Tendenz, die schon lange vorher angefangen hatte und die die israelische Armee nicht mehr wiedererkennen lässt.
Der Gründer des Zionismus, Theodor Herzl, schrieb bekanntermaßen in seinem Buch „Der Judenstaat“, das Gründungsdokument der Bewegung: „Wir werden (unsere Geistlichen) in ihren Tempeln fest zu halten wissen, wie wir unser Berufsheer in den Kasernen festhalten werden ”¦.in den Staat haben sie nichts dreinzureden.“
Nun geschieht genau das Gegenteil: die Rabbiner haben in der Armee das Sagen, die Armeeoffiziere kommen aus den Synagogen.
Der harte Kern der fanatischen Siedler, der fast vollkommen aus religiösen Leuten zusammengesetzt ist (viele von ihnen „wiedergeborene Juden“), haben vor allem entschieden, die Kontrolle über die Armee von innen her zu gewinnen. In systematischer Kampagne, die in vollem Gange ist, dringen sie in das Offizierskorps von unten, von den niederen Rängen bis zu den mittleren und von dort in die oberen Ränge. Man kann in Statistiken ihren Erfolg von Jahr zu Jahr verfolgen. Die Zahl der Kippa tragenden Offiziere wird immer größer.
Als die israelische Armee gegründet wurde, bestand das Offiziercorps hauptsächlich aus Kibbuzmitgliedern. Und sie wurden in der neuen hebräischen Gesellschaft, die sich auf Werte der Moral und Kultur gründete, als die Elite angesehen. Sie waren immer auch die ersten Freiwilligen für jede nationale Aufgabe; aber es gab auch „technische“ Gründe dafür.
Der Kern der Armee kam aus der vorstaatlichen Palmach. Die Palmach-Kompanien stellten eine voll mobilisierte reguläre Armee dar, Teil der militärischen Untergrund-Organisation, der Hagana. Sie konnten nur in den Kibbuzim bestehen und frei operieren, weil dort ihre Identität getarnt werden konnte. Deshalb kamen alle herausragenden Kommandeure im Krieg von 1948 aus der Palmach, waren Kibbuzmitglieder oder standen ihnen nahe.
Diese taten alles, um die neuen Verteidigungskräfte mit dem Pioniergeist einer moralischen und humanistischen Bürgerarmee zu durchdringen – das ganze Gegenteil einer Besatzungsarmee. Die Realität war zwar immer noch etwas anders, aber das Ideal war wichtig als Ziel, das man anstreben sollte. Wie ich in meinem Buch von 1950 „Die andere Seite der Medaille“ aufzeigte, war die „Reinheit unserer Waffen“ immer ein Mythos. Aber das Ziel, eine Armee mit humanistischen Werten zu sein, war wichtig. Grausamkeiten wurden zugedeckt oder geleugnet, weil sie als Schande und als unehrenhaft angesehen wurden und das eigene Lager beschmutzten.
Nichts außer Phrasen sind davon geblieben. Seit Beginn der Besatzung im Jahr 1967 hat sich der Charakter der Armee vollkommen gewandelt. Die Armee, die gegründet worden war, um den Staat vor Gefahren von außen zu schützen, ist zu einer Besatzungsarmee verkommen, deren Aufgabe es ist, ein anderes Volk zu unterdrücken, seinen Widerstand zu brechen, Land zu enteignen, Landräuber, sog. Siedler zu schützen, Straßensperren zu besetzen, täglich dort Menschen zu demütigen. Natürlich war es nicht nur die Armee, die sich veränderte, sondern auch der Staat, der der Armee die Befehle gab, sowie die anhaltende Gehirnwäsche der Medien.
In solch einer Armee findet eine natürliche Auslese statt. Menschen mit hohem moralischem Standard, die differenzieren können, verabscheuen solche Aktionen. Sie gehen früher oder später. Ihren Platz nehmen andere Typen ein, Leute mit anderen Werten oder gar keinen Werten, „professionelle Soldaten“, die „nur Befehlen gehorchen“.
Natürlich sollte man sich vor Verallgemeinerungen hüten. In der Armee von heute sind nicht wenige, die davon überzeugt sind, eine Aufgabe zu erfüllen, für die der ethische Kodex mehr ist als nur eine Sammlung von scheinheiligen Phrasen. Diese Leute sind empört über das, was sie sehen. Von Zeit zu Zeit hören wir ihre Proteste und sehen ihre Enthüllungen. (z.B. die Gruppe: ’Das Schweigen brechen’) Doch sind nicht sie es, die den Ton angeben, sondern Typen wie Rontzky und Mendelblit.
Das sollte uns sehr beunruhigen. Wir können die Armee nicht so behandeln, als wäre sie von einem fernen Stern, die uns nichts angeht. Wir können uns nicht einreden: „Wir wollen nichts mit der Armee eines Moshe Ya’alon, Shaul Mofaz, Dan Haluz und eines Gabi Ashkeansi zu tun haben“. Wir können diesem Problem nicht unsern Rücken zuwenden. Wir müssen uns mit ihm aus einander setzen, weil es unser Problem ist.
Der Staat braucht eine Armee. Auch wenn wir den Frieden erreicht haben, werden wir eine starke und effektive Armee benötigen, um den Staat zu schützen, bis der Frieden so tiefe Wurzeln schlägt und wir in unserer Region eine regionale Körperschaft aufrichten können – vielleicht so etwas wie die Europäische Union.
Die Armee sind wir. Ihr Charakter hat Einfluss auf unser Leben, auf das Leben des Staates selbst. Es ist schon gesagt worden: „Israel ist keine Bananenrepublik. Es ist eine Republik, die auf Bananen ausrutscht.“ Und auf was für Bananen!
Anmerkungen:
Vorsehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Der am 04.07.2009 erstellte Beitrag wurde zurerst unter www.uri-avnery.de veröffentlicht. Alle Rechte bei Uri Avnery.