Autisten unter sich – „Salome“ von Richard Strauss als Premiere im Opernzelt in Heidelberg

Salome Justine Viani, Jochanaan Peter Felix Bauer, Herodes Winfrid Mikus

In Heidelberg nun gibt`s weder einen abgeschnittenen Kopf des Jochanaan, also auch kein Silbertablett, noch wird die Salome getötet. Es gibt übrigens auch keinen Schleiertanz und den Jochanaan köpft auch kein Soldat, der hat nämlich eine „Schießhemmung“, sondern die Herodias persönlich, die das nicht geübt hat, weshalb sie ihm mit dem Messer den Hals nur ansticht. Das sind gravierende Änderungen, die die erstmals in Heidelberg inszenierende Regisseurin Aurelia Eggers auf die Bühne brachte – allerdings ohne damit den Gehalt des Stückes durcheinanderzuwirbeln oder den Garaus zu machen. Aber wundern tut es einen schon. Was passiert, ist halt, daß die Figuren auf der Bühne etwas anderes singen, als sie tun, was um so eher auffällt, weil oben am Opernzelthimmel der deutsche Text mitgelesen werden kann, was wichtig ist, weil die wunderbar hohen Sopran- wie auch die abgrundtiefen Baßpartien beim Singen akustisch wenig verständlich sind. Fragt sich also, was die Regisseurin zu ihren Textwidersprüchen brachte und welche Bedeutung sie im Ganzen gewinnen.

Die Geschichte? Eine altbekannte, aber auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Mißbrauchsdebatte fast unterbelichtete „Sex-and-Crime-Story“. Richard Strauss, der die Novelle von Oscar Wilde in der Endzeitstimmung der Jahrhundertwende als moralische und politische Endzeit selbst in Wort und Ton faßte, ist der erste, der die Geschichtlichkeit negiert, denn bei ihm beginnt die „Salome“ so abrupt wie sie endet. Die Vorgeschichte um Römer, Pharisäern, Juden, und Galiläer spielt genauso wenig eine Rolle, wie erklärt würde, weshalb Herodes Antipas mit Herodias die Frau seines Bruders sein eigen nennt und deren Tochter Salome, der er nachstellt, was tödlich endet. Von daher kann die Oper in jeder geschichtlichen Zeit angesiedelt sein, was in Heidelberg im Mausgrau heutiger Bürokraten (Veronika Lindner) geschieht, von denen sich einzig Herodias (Carolyn Frank) als Anziehpuppe abhebt, die ein bläuliches Abendkleid trägt und wie eine Königin der Nacht daherkommt und ihrem Ehemann Herodes (Winfrid Mikus) dauernd befiehlt, ihre Tochter nicht so – lüstern – anzusehen, eine Situation, die sie gleichwohl für sich ausnutzt, denn der Tod des Jochanaan ist ihre Absicht, die die Tochter von Herodes erzwingt, sie aber vollendet . Die Geschichte nimmt ihren Lauf.

Wir befinden uns im Niemandsland (Stephan Mannteuffel), was sicher der schmalen Bühne im Opernhaus geschuldet ist, wo eine hohe Balustrade direkt an den Himmel anstößt und unter der sich eine Sitzreihe schlängelt, auf der die allgemeinen Handlungen passieren, das für die Inszenierung Wesentliche aber im Glaskubus in der Mitte der Bühne geschieht, was dem Geschehen oft etwas Geziertes, Künstliches verleiht, so als ob wir einen Brecht vor uns hätten, der didaktisch unseren Blick lenkt, was Richard Strauss` Absicht des fließenden Gesamtkunstwerks durchaus negiert. Der Glaskasten hat eine offene Seite und dreht sich dazu, wenn’s der Regie paßt.

Die betörenden Anrufe des Verehrers der Salome, Narraboth (Emilio Pons), ertönen wie eh und je und sofort fällt der Blick auf die erst starr stehende und dann sich wie eine Maschine bewegende Herodias, die mit weißer Perücke auch wie eine Übriggebliebene des Ancient Regimes erscheint. Salome (Justine Viani) fällt erst mal nicht weiter auf, in ihren Siefelchen, dem kurzen Rock und der Rockerjacke. Dagegen sieht man den Jochanaan (Peter Felix Bauer) permanent, denn er ist nicht tief unten im Verließ, sondern lagert auf der Balustrade, später unter ihr. Sein Singen kommt akustisch dennoch von weiter her, denn er benutzt ein Megaphon, was eine gute Idee ist, denn das Überzeitliche seiner Texte kommt dadurch besser zum Ausdruck. Dennoch findet die existentielle Auseinandersetzung zwischen ihm und der von ihm einen Kuß begehrenden Salome nicht den Raum, der ihr gebührt. Noch hat Salome ihre Rolle nicht gefunden, die in dieser Inszenierung stärker im Konflikt Herodes und Salome inszeniert ist, wobei Herodes mal auftrumpfend, mal geschlagen, mal mit Salome erotisch gemeinte Sandkastenspiele unter Glas – sonst der Schleiertanz, nach dem er der Salome jeden Wunsch erfüllen muß, auch den abgeschlagenen Kopf des Jochanaan – veranstalten darf.

Das schillernde Kind-Weibchen der Salome kann man grundsätzlich eher in Richtung trotziges, ja mutwilliges Kind oder mit dem Mann spielendes Weib deuten und entsprechend auf die Bühne bringen. Uns schien diese Salome als trotziges Kind anzufangen und sich ob des Verlaufs in eine rasende und ihrer Sinnlichkeit, aber auch deren Wirkung bewußt werdende Megäre zu enden. Justine Viani war der Rolle in jeder Phase gewachsen. Sie war eine Salome, die erst am Schluß in ihrer gewaltigen, nicht endenden Töneflut vollauffahren durfte, was sie darstellerisch und musikalisch zu bieten hat. Der Höhepunkt des Abends, wobei auch das Orchester unter Cornelius Meister hier den Strauss’schen musikalischen Rausch zuließ, der zuvor oft etwas geschönt klang. Die gewollten Dissonanzen in der Musik, die Brüche und Umbrüche, hört man sonst stärker.

Hier allerdings in der wundervoll gebrachten Schlußszene rächen sich die Inszenierungsideen durchaus. Es ist unsinnig, dauernd eine vom „Kopf auf der Silberschüssel“ Singende zu hören, wenn sie vor sich den ganzen Mann liegen hat, dessen Blut aus der Halsschlagader die Glaswand überflutet und der, als sie dann doch endlich seinen Mund küßt – was anderes wollte sie ja ursprünglich gar nicht – den Oberkörper erhebt, sie umarmt und zurückküßt? „Du hättest mich geliebt!“, singt sie und hält ganz zum Schluß seinen Körper in mütterlicher Geste wie eine Pieta in den Armen. Das sind gleichzeitig sehr viele Aussagen einer verwirrten jungen Frau, die ob ihrer Ungeheuerlichkeiten nicht mal sterben darf, sondern trotz des verbalen Todesurteils von Herodes sich von diesem zwischen die Beine fassen lassen muß, denn ihn hat das angstachelt, was sie an brünstigen Lauten und Worten von sich gab, und nun endlich ist er da, der Mißbrauchsfall, den durchgängig zu inszenieren sich die Regisseurin nicht entschlossen hatte, denn jetzt wird klar, daß bei aller Gelungenheit der Inszenierung die Rolle der Salome hier einfach nicht stringent entwickelt ist, sondern alle Potentiale thematisiert, ohne sich für eine Lesart zu entscheiden. Spannend und sehenswert ist das Ganze trotzdem. Und erst die Musik!

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