Nun gut, auch ohne das Geschichtswissen, das man über Otto IV. aus Braunschweig mitbringt, bleibt dies eine herausragende Ausstellung. Aber nehmen wir allein den Walther von der Vogelweide, der uns zum Auftakt auf dieser Miniatur aus Rot und Grün begrüßt, dann sind wir schon wieder mittendrinnen im Kampf der Welfen gegen die Staufer. Denn es ist der Weihnachtstag 1199 und der Staufer, König Philipp von Schwaben, ließ sich erneut hier im Magdeburger Dom, provokant dicht am Welfengebiet, als Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches krönen, mit den originalen Reichsinsignien, die später dem rechtmäßigen König Otto IV. verweigert werden, weswegen sich dieser mit Nachahmungen zufrieden geben muß. Es war noch der alte Dom, in dem die Krönung stattfand, die unser Minnesänger als „Magdeburger Weihnacht“ so liebevoll begleitet. Diesen Dom hatte nämlich Otto der Große, auf den sich alle folgenden Kaiser beriefen, im 10. Jahrhundert gestiftet und ihn auch zu seiner Grablege bestimmt.
Und als siebeneinhalb Jahre später am Palmsonntag 1207 der neue Erzbischof aus Rom kommend, Einzug hielt, ahnte niemand, daß fünf Tage später durch eine Feuersbrunst in der Stadt auch der Dom in Schutt und Asche fiel. Wie ein Phönix aus der Asche sollte aber mit der Grundsteinlegung 1209 sich nach und nach bis zum Ende der Bauarbeiten ein neuer Dom erheben, der das Haus Gottes in die erste gotische Kathedrale auf deutschem Boden wandelte und die auch nach der Errichtung des Kölner Dom die zweitmächtigste blieb.
In acht Stationen zeigt die von 1198 bis 1250 konzipierte Ausstellung auf 1000qm rund 400 Exponate, zu der 126 Leihgeber aus zehn Ländern beigetragen haben, was sich außer der Bauweise, der Bauskulptur, der Glasmalerei in den Kathedralen noch ändert, bzw. was die Voraussetzungen sind, warum eine neue Zeit eine neue Architektur braucht, aber auch, zu welchen gesellschaftlichen Veränderungen dann die neue Materialisierung von Ideen in Form von Kirchenmauern und Kirchenschmuck führt. Es ist also die gegenseitige Durchdringung der Sphären Geist, Geschichte, Gott, Gottesgnadentum, Volk, Fürsten, Macht, Einfluß, Schönheit, Glaube, die hier in Magdeburg schlicht ausgestellt wird, so wie sie sich 1209 zeigte. Man muß einfach hinzufügen, daß dieses 13. Jahrhundert die europäische Welt sich näher bringt, aber nicht nur diese. Es ist die Zeit auch des außereuropäischen Kulturtransfers.
Es sind aber noch ganz andere Einflüsse wichtig. Nicht nur der Glaube wandelt sich hundert Jahre später zu einer ausgesprochen individuellen Gottesansprache in der devotio moderna, sondern schon 1215 fand in Rom das Vierte Laterankonzil statt, das für die Kunst hervorragende Folgen hatte. Die Position des Priesters änderte sich, jetzt blickte er nicht mehr in die Menge, sondern zum Altar und dies war der Auftakt zur Ausschmückung mit Tafeln, die dann zu den gotischen Altarretablen führten und hier gezeigt werden. Die Städte erstarken und führen zu einem städtischen Bürgertum, aber es wächst auch der Einfluß der weltlichen und geistigen Fürsten. Inwiefern sich ein anderes Lebens- und Gottesgefühl direkt in Kunst umsetzt, kann man immer deutlich an Christus am Kreuz sehen. Hatte die Romanik, aus der heraus der Aufbruch in die Gotik folgt, den Gottessohn als Weltenherrscher mit starrem, aufgerichteten Körper frontal an Kreuz genagelt und zwar viermal an den beiden Händen und Füßen, so wird in der Gotik dieser Körper ein zur Seite geneigtes Gesicht zeigen und ein S-Schwung läßt die Hüfte einknicken und macht die Figur lebendig, was statisch nur geht, indem die Füße übereinandergelegt werden – warum er Drei-Nagel-Typus heißt – und die Knie einknicken.
In dieser Ausstellung haben Sie nun mit dem Vortragekreuz, in der 1. Hälfte des 13. Jh. in Limoges gefertigt, nicht nur ein wunderbares Gold/Email-Kruzifix, große und wertvolle Kunst, sondern Sie sehen hier den Christus im Übergang sozusagen. Noch steht er gerade, mit vier Nägeln versehen, aber schon rutscht das eine Knie vor das andere und der Kopf ist geneigt. Dies ist nur ein Beispiel für die Kostbarkeiten, die Sie in Magdeburg sehen können. Denn gerade die Übergangzeiten von Kunstepochen sind spannend, wo – wie hier – aus bisherigen Köpfen ganz andere werden, aber einige Züge noch beibehalten werden, wo aus Aposteln andere Figuren, dafür aus anderen Figuren Aposteln werden, wo man, wenn man mit wachem Blick durch die Ausstellung geht, so viel Eigenes entdecken kann. Das ist beglückend, ganz abgesehen davon, daß kaum glaublich ist, was Museen der Welt nach Magdeburg zu geben bereit waren. Das muß man einfach zur Besichtigung nutzen.
Und man lernt, daß unsere Schulweisheit einfach nicht stimmt. Daß der Antikenbezug kein Alleinstellungsmerkmal der Renaissance war, sondern sich das Mittelalter hindurch immer wieder auf die Antike bezogen wurde und Spolien, also Säulen und andere Bauteile aus dieser geschichtlichen Vergangenheit wiederverwendet und gezielt eingesetzt wurden. Besonders stolz sind die Magdeburger mit Recht auf den Sachsenspiegel, dessen ältestes Exemplar ausgestellt ist, und der die berühmteste und verbreiteste Rechtshandschrift des Mittelalters war. Und damit sind wir in den gesellschaftlichen Bezügen der Zeit, den technologischen Fortschritten, den Erfindungen und Entdeckungen angekommen und den politischen Veränderungen, die sie bewirkten.
Aber dann kommt ein Klops und es ist das einzige, woran wir in dieser überzeugenden Ausstellung Kritik äußern wollen und müssen. Im Anschluß an den Sachsenspiegel und dem Hinweis, wie so etwas wie Rechtssicherheit die Menschen beschäftigt, klärt eine Tafel auf: „Diese zunehmende verfassungsrechtliche Systematisierung läßt sich auch anderenorts beobachten. So verbriefte 1215 der englische König, Johann I, dem Adel seine Rechte und politische Freiheit in der Magna Charta.“ Nein, das war keine Frage der Systematisierung, sondern eine knallharte Machtauseinandersetzung, in der die durch den verlorenen Krieg gegen Frankreich geschwächte englische Krone, um diese überhaupt behalten zu können, einen Teil ihrer Herrschaft an die aufbegehrenden Ritter und Adelige abgab. Aber nicht freiwillig, sondern unter dem Zwang der geschichtlichen Verhältnisse. Dies hatte die Braunschweiger Ausstellung sehr präzise herausgearbeitet, weil ja auch Otto IV. mit England verwandtschaftlich verbunden war und länger dort gelebt hatte.
Das mindert nicht die Einzigartigkeit dieser Ausstellung, über die man schlicht sagen kann: „Ein Zeitalter wird besichtigt.“
Info:
Ausstellung: bis 8. November, „Otto IV.- Traum von welfischen Kaisertum, Braunschweigisches Landesmuseum, Dom St. Blasii, Burg Dankwarderode
Katalog: Otto IV, – Traum vom welfischen Kaisertum, Michael Imhof Verlag 2009. Ein schöner Katalog! Handlich und aufschlußreich. Neben der Darstellung des Lebens Ottos, wird die Familiengeschichte ausgebreitet, seine Politik kommentiert und vor allem ausführlich die Kultur im Umfeld Ottos gewürdigt, was die Ebstorfer Weltkarte miteinschließt und viele Schätze, die hier nicht erwähnt wurden. Diese kann man mit Beschreibung und ihrer Provenienz im Katalogteil auf über 200 Seiten studieren. Na gut, schwer ist der Katalog schon, aber schwergewichtig auch!
Ausstellung: bis 6. Dezember 2009, „Aufbruch in die Gotik. 1209. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit“ , Kulturhistorisches Museum Magdeburg
Katalog: Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit, Band I Essays, Band II Katalog, Verlag Philipp von Zabern 2009
Nein, einen herkömmlichen Katalog kann man die beiden Bände kaum mehr nennen. Sind schon die Essays in Band I beidem geschuldet: dem wissenschaftlichen Interesse, aber auch im Verständnis der Laien, aber gleichwohl Kunst- und Geschichtsinteressierten, so bietet der Katalogband einen idealen Begleiter, weil er tatsächlich die acht Stationen der Ausstellung ernst nimmt und innerhalb dieser acht Kapitel dann auch die ausgestellten Exponate in klaren, auch farblich sehr guten Reproduktionen zeigt –manche sind auf zwei Seiten hochvergrößert und von unglaublicher Schönheit und Farbintensität – und jeweils die Facherklärungen abbildet. Man kann also auch nach der Ausstellung den Rundgang wiederholen, weil die Werke in dem Kontext auftauchen und beschrieben sind, wie man es selber sah. Überhaupt hat die deutsche Museumslandschaft eine Qualität der Katalogerstellung fertiggebracht, die insgesamt zu loben ist. Und auf diesem Hintergrund sticht dieses zweibändige Werk dann noch einmal hervor.
In Magdeburg gibt es am 7. November „Zauber der Gotik – die Kulturnacht im Museum“
Lange Nächte bis jeweils 24 Uhr folgen am 28. 11. und 5.12
Internet: www.ottoIV.de, www.braunschweig.de/otto, www.gotik2009.de