Auf der „Nemesis“ lassen sich auch Landratten gern den Wind um die Nase wehen – Segeltörn vor der türkischen Südküste

Wie wird es sein, mit Fremden buchstäblich in einem Boot zu sitzen? Werde ich seekrank? Oder wird es mir auf dem Meer langweilig? Die Bedenken, die mir noch während des Fluges von Hamburg nach Dalaman durch den Kopf gingen, weichen schon in Göcek freudiger Erwartung. Die Atmosphäre des verträumten Küstenstädtchens wirkt fremdartig und anheimelnd zugleich. Von der Moschee erklingt der Ruf zum Gebet und sorgt für einen Hauch von Orient. Das Wasser ist selbst im Hafenbecken kristallklar. Die gekräuselte Oberfläche reflektiert das Licht der Abendsonne und malt helle Kringel auf die sacht schaukelnden Bootsrümpfe.

Die „Nemesis“, die in der kommenden Woche mein Zuhause sein wird, ist frisch lackiert. Die Mannschaft heißt mich herzlich willkommen. Kapitän, Küchenchef und Matrose sprechen Englisch, der Schiffsjunge nur türkisch, aber ich werde bald merken, dass auch er es versteht, den Gästen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Das Auftischen türkischer Spezialitäten und Einschenken kühler Weine läuft genauso glatt wie das Segelsetzen. Die „Nemesis“ segelt wie acht weitere Schiffe mit Platz für acht bis 16 Passagiere im Auftrag der holländischen Gesellschaft „SCIC- Sailing Cruises in Comfort“ in türkischen und griechischen Gewässern. Der Name ist Programm. Typisch europäisches Streben nach Verlässlichkeit, Präzision und Qualität wird durch mediterrane Leichtigkeit und orientalische Gastfreundschaft bereichert.

„Ich habe von meinen türkischen Mitarbeitern gelernt, gelassener zu nehmen, was ich nicht ändern kann“, sagt die Holländerin Loes Douze in fließendem Deutsch. Seit die Marketingmanagerin das Geschäft führt, sind die Schiffe in der Saison von Mitte April bis Ende Oktober nahezu vollständig ausgebucht.

Jedes Detail hat den Vorstellungen der Perfektionistin zu entsprechen. Selbst Besteck und Porzellangeschirr hat sie persönlich ausgesucht. Die Kabinen und zugehörigen Bäder werden täglich sorgfältig geputzt. Die weißen Tischdecken, Kissen und Polster- Bezüge auf Achter- und Sonnendeck weisen keinen einzigen Fleck auf. Die Hemden der Crew harmonieren farblich mit dem Türkisblau der See. Die Shorts leuchten weiß wie der Schnee, der noch im Mai die höchsten Gipfel des Küstengebirges überzuckert.

Die Besatzung trägt ihre Uniform voller Stolz. Denn anders als in der Türkei üblich beschäftigt Loes Douze die Teams ganzjährig. Im Winter setzen sie „ihre“ Schiffe auf der Werft weitgehend in Eigenarbeit instand. Außerdem haben sie die Möglichkeit zur Weiterbildung mit Segel- und Kochkursen, Englischunterricht sowie Seminaren zu den Themen Teamgeist und Gruppen-Dynamik. Schließlich ist jedes Crewmitglied nicht nur Seemann, Kellner und Reinigungskraft in einer Person, sondern wirkt bei Bedarf auch als Animateur.

Ein Törn auf der „Nemesis“ oder einem der Schwesterschiffe ist gewissermaßen Cluburlaub im schwimmenden Privat-Hotel. Schon bei leichter Brise werden die Segel gesetzt. Nur bei Flaute oder zu starkem Wind kommt ausnahmsweise der Motor zum Einsatz. Wohin es geht, dürfen die Passagiere mit entscheiden.

Wir übernachten abwechselnd in geschäftigen Häfen und lauschigen Buchten und vergessen bald Zeit und Raum. Während unser Schiff unter geblähten Segeln durchs azurblaue Wasser rauscht, begleiten uns Delfine. Nachdem der Anker rasselnd gefallen ist, hüpfen wir selbst ins kühle Nass um zu baden, Wasserski zu fahren, zu paddeln oder zu surfen. Auch Landausflüge stehen auf unserem Wunsch-Programm. Gemeinsam unternehmen wir eine Bustour zu Ausgrabungs-Stätten. Nach der Besichtigung von Ruinen griechischer Amphitheater und römischer Bäder genießen wir am Ufer einer unbewohnten Insel den Sonnenuntergang.

Außer mir sind Holländer, Österreicher, Belgier und Briten an Bord. „Ich fühle mich hier so viel europäischer als zuhause“, schwärmt eine Waliserin. Singles, Paare, Familien und Gruppen, sogar aus Südafrika, Australien und Neuseeland buchen Törns bei SCIC. Manche haben schon ein Dutzend Mal die Ägäis erkundet und immer wieder Neues entdeckt. Als Start- und Zielpunkte stehen in der Türkei Bodrum, Marmaris, Göcek oder Fethiye sowie die griechische Insel Kos zur Wahl. Der Reiseverlauf ist variabel und wird von den Wünschen der Passagiere und der Windrichtung bestimmt.

Nicht vom Wetter abhängig ist die Stimmung an Bord. Es herrsche nahezu immer die Harmonie, die ich selbst erlebe, versichert mir Loes Douze. Das läge nicht nur daran, dass die Schiffe groß genug seien, um bei Bedarf Rückzugsmöglichkeiten zu bieten. „Obwohl alle Gäste Individualisten sind, entsprechen sie doch einem bestimmten Typ: Es sind neugierige und aktive Menschen, die das Meer mögen und Ungewöhnliches erleben möchten.“

Info: Ein einwöchiger Törn inklusive aller Getränke, Frühstück, Mittag und fünfmal Abendessen (zweimal wird auf eigene Kosten an Land im Restaurant gespeist) ist pro Person ab 868 Euro zu haben. (Hochsaison im Juli, August und September 973 Euro)

Wer eine zweite Woche segelt, erhält einen Preisnachlass. Im April, Mai und Oktober wird eine besondere Woche für Familien organisiert, in der für Kinder Sonderrabatte gelten. Weitere Infos zu Angeboten und zur Möglichkeit, ein ganzes Schiff zu chartern, gibt es auch in deutscher Sprache telefonisch unter der holländischen Nummer 00 31 3 34 22 00 55 und im Internet: www.scicsailing.eu

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