Es ist aber nicht die Länge allein, die das Einverwobenwerden in diese dekadente und erlöschende Familie garantiert, sondern die Faszination kommt durch die Art und Weise, wie hier ein Familienbild mit Worten gestrickt, gestickt, gewebt und verknüpft wird. Das liegt genauso an den exzellenten Sprechern wie an Wolfgang Liebeneiner als derjenige in Doppelfunktion, der auch spricht, aber vor allem Regie führt. Heute muß man ihn schon wieder vorstellen, der für die ersten Jahre der Bundesrepublik einer der ganz großen Regisseure war, auf Bühnen, für Filme und kongenialer Schauspieler war er auch noch. Wäre an der Zeit, dachten wir uns beim Hören, einmal so etwas wie ein Wolfgang Liebeneiner Festival zu machen, damit er nicht vergessen wird in diesem Molochbetrieb, wo dauernd Neues passiert und neue Namen die alten oft auslöschen.
Welch gute Idee des Hörverlages, diese Produktion aus dem Jahr 1965 in Form von CDs wieder zu veröffentlichen, in der 92 Rollen gesprochen werden: zweiundneunzig!
Das ist ein Stimmenfest und Sie werden die Sprechkultur bewundern, mit der als Erzähler Gert Westphal vorgibt, was auch die Rollenträger nachvollziehen, als Thomas, den ehrbaren Sohn, auf dem die Familie und der Familienbetrieb lastet, als Thomas eben Wolfgang Liebeneiner. Manche Stimmen erkannten wir noch, darunter Dieter Borsche, den Leinwandhelden der 50er oder Lil Dagover, bei deren Namen man schon sofort weiß, daß sie die Konsulin Elisabeth, genannt Betsy, die Gemahlin des alten Buddenbrooks sein muß. Horst Tappert, den heute alle nur noch als „Derrick“ kennen, dafür aber auf der ganzen Welt, spricht den leicht liederlichen Sohn Christian, der wunderbare Schauspieler Hans Korte, einst in Frankfurt am hiesigen Theater beheimatet und sehr oft ’der Fiese vom Dienst`, tritt mit markanter Stimme als Makler Gosch auf und Claus Biederstaedt, meine Güte, auch den kennt man aus den frühen Filmen noch, er war ein Star!, ist mit der Rolle des Morten Schwarzkopf zufrieden.
Thomas Mann hatte den Roman 1897 begonnen, der dann 1901 als „Verfall einer Familie“ erschien und, das hatten wir alles in unserer Rezension der Filmhörspielfassung geschrieben, für den Thomas Mann 1929 den Literaturnobelpreis erhielt. Bitte lesen Sie dort auch den Inhalt nach, denn wir sind schon längst beschäftigt damit, uns den „Der Zauberberg“ reinzuziehen. Dieser Roman ist, obwohl Pflichtlektüre für alle Intellektuellen, weniger bekannt als der Familienroman aus Lübeck. Aber auch hier ist es einer aus dem Norden, der junge Hanseat und Kaufmannssohn Hans Castorp, der für drei Wochen seinen kranken Vetter Joachim in einem Schweizer Bergsanatorium besuchen will.
Dachte er und wollte er und wenn schon die Stimme Udo Samels uns zurückleitet in die Welt um die Jahrhundertwende 1900, dann wissen wir, daß wir Zeit brauchen, das Wohl und Wehe, die Sanatoriumswehwehchen und die des Herzens in ihrer Entwicklung, Tiefe und Beschaffenheit genauestens zu erkunden: auf zehn CDs und das ist nicht mal viel, wenn man bedenkt, daß damit sieben Jahre des Aufenthaltes von Hans im Sanatorium „Berghof“ in der Nähe Davos` erzählt werden, die aufgrund ärztlicher Erkenntnis seiner Lungen nötig wurden und die ein Ende nur deshalb finden, weil die internationalen Sanatoriumsgäste durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges in ihre Länder zurückmüssen, die nun teilweise Feinde sind.
Beim Hören kann man sich nur wundern, was sich Thomas Mann da an feinsinniger Ironie leisten konnte, denn das, was sich wie ein Entwicklungsroman anhört, der zünftige Bildungsroman, wo ein junger Stutzer eingewiesen wird in die Bildung, in die Liebe, in das Leben und den Tod, dieser klassische Bildungsroman findet hier zwar dank Settembrini u.a. nebenbei auch noch statt, aber das Ziel ist nicht das herkömmliche, nämlich diesen Hans Castorp zurückzuführen in ein bürgerliches Leben, in dem er nun auf Grundlage seiner gemachten Erfahrungen ein funktionierender Teil der Gesellschaft wird, sondern der Ausgang des Ganzen ist durch den Krieg, in den Castorp als Soldat zieht, völlig ungewiß, ob er ihn nämlich überlebt oder nicht. Fortsetzung folgt.
Info:
Was uns bei den Aufnahmen so gefällt, ist, daß sie technisch klar gegliedert sind, die sogenannten ’Tracks“ – für ein deutsches Wort sollte es einen Preis geben – sichern, daß man sofort zurückkann, wenn das Telefon geklingelt hatte oder sonst eine Störung war und man die laufende Aufnahme nicht mehr mitbekam. Ach, wir geben es zu, manchmal haben wir auch noch einmal gehört, obwohl wir aufmerksam zugehört hatten, denn manche Feinheit der Produktionen erschließt sich erst beim zweiten Mal. Nicht auszudenken, was wir dann beim dritten oder gar vierten Male hören. Aber das schreiben wir dann ein andermal. Jetzt ist genug.
Thomas Mann, Die großen Hörspiele, Buddenbrooks/Zauberberg/Der Tod in Venedig, 19 CDs aus dem Hörverlag.
Die Werke von Thomas Mann finden Sie im Fischer Verlag.