Aristokraten gehen nach Baden-Baden – Die Berliner Philharmoniker verschieben in der Saison 2012/13 Akzente

Berliner Philharmoniker

Die Anzahl der Konzerte ist etwas niedriger als im Vorjahr (134 Symphoniekonzerte, davon 100 im großen Saal, und 90 Konzerte im Kammermusiksaal), vermutlich weil Auswärtsunternehmungen mehr Kraft kosten. Immerhin hatte das Orchester bei seinen Eigenveranstaltungen 271 700 zahlende Besucher. Die Auslastung lag im großen Saal bei 94,4 Prozent und im Kammermusiksaal bei 63,3 Prozent. Der Kammermusiksaal macht Sorgen, weil er für seine Spezies zu groß ist. Dennoch sind beide Säle von anderen Orchestern begehrt, was 400 Vermietungen beweisen.

Das Orchester wird wieder mit vertrauten Gastdirigenten wie Bernard Haitink, Mariss Jansons und Gustavo Dudamel arbeiten sowie mit Solisten wie Anne-Sophie Mutter und Frank-Peter Zimmermann, Violine, und Maurizio Pollini und Krystian Zimerman, Klavier. Erstmalig fungiert ein Geiger als Artist in Residence, der Grieche Leonidas Kavakos. Auftragswerke von Holm Birkholz, Cameron Carpenter, Brett Dean, Benedict Mason und Jörg Widman werden uraufgeführt.

Reizvolle Neuerungen sind die »Konzertmeistereien«, in denen die Ersten Konzertmeister Guy Braunstein, Daishin Kashimoto und Daniel Stabrawa mit einem Pianisten gemeinsam konzertieren werden, zum Beispiel Braunstein mit Daniel Barenboim, und ein Konzert der Philharmonischen Stradivari-Solisten, in welchem 12 Orchestermitglieder die weltgrößte Sammlung von Stradivari-Instrumenten zum Klingen bringen werden. Weiterer Höhepunkt ist die konzertante Aufführung von »Porgy and Bess« von George Gershwin mit dem Cape Town Opera Voice of the Nation Chorus.

Nachdem die Berliner Philharmoniker in Salzburg nicht bekommen haben, was sie wollten, nämlich vier Opernaufführungen statt zweien, planen sie mit den Osterfestspielen 2013 in Baden-Baden einen »signifikanten Neuanfang«. Tatsächlich gehen sie mit einem Mammutprogramm von 28 Konzerten, darunter acht Opernaufführungen, in die angestaubte ehemalige Residenzstadt der Markgrafen von Baden. Das ist nicht ohne Pikanterie. Baden-Baden hat ein sehr anziehendes Fluidum, denn mit 11,6 Millionären auf 10 000 Steuerpflichtige hat es im Südwesten der Bundesrepublik die höchste Millionärsdichte, gefolgt von Stuttgart mit 6,3 und Heilbronn mit 6,1 Einkommensmillionären. Im Landesdurchschnitt von Baden-Württemberg sind es 3,3. Das von Andreas Mölich-Zebhauser geführte Festspielhaus mit 2 500 Plätzen wirtschaftet seit 1998 erfolgreich auf privat gesponserter und gestifteter finanzieller Grundlage. Es unterhält kein eigenes Ensemble, sondern spielt in »Perioden« mit Spitzenensembles, zu denen reiche Leute aus Nah und Fern anreisen, die sich Eintrittskarten für 310 Euro leisten können. Die Welt ist noch heil in Baden-Baden. Ein angenehmes Klima für die Aristokraten unter den Berliner Musikern. An acht Spielstätten werden in 10 Tagen ein erlesenes sinfonisches und kammermusikalisches Programm sowie Opernaufführungen geboten, in dem die Mitglieder des Orchesters ihr hohes Können beweisen werden. Der Höhepunkt sind vier Aufführungen der »Zauberflöte« von Wolfgang Amadeus Mozart im Festspielhaus unter Leitung von Sir Simon Rattle und unter Regie von Robert Carsen.

Zusätzlich zu den vier Millionen Euro jährlicher Zuwendungen engagiert sich auch hier die Stiftung der Deutschen Bank. Ihre »Akademie Musiktheater heute« finanziert eine »Zauberflöte für Kinder« und die Aufführung der Salonoper »Cendrillon« (Aschenputtel) der 1863 bis 1870 in Baden-Baden wirkenden Sängerin und Komponistin Pauline Viardot. Stipendiaten der (Deutsche-Bank-)Akademie bestreiten Regie, Bühnenbild, Kostüm und Beleuchtung, die Rollen übernehmen Nachwuchstalente der Musikhochschulen Baden-Württembergs. Orchester und Dirigenten stellen die Berliner Philharmoniker. In die Festwoche einbezogen ist auch das Bundesjugendorchester. Dank einer finanziell geschickt konstruierten Kooperation von Festspielhaus, Deutscher Bank und Stiftung Berliner Philharmoniker sind die Osterfestspiele trotz des Aufwands für das Orchester kein Verlustgeschäft, wie der Intendant Martin Hoffmann feststellt. Zu den Kosten gibt er keine Auskunft.

Zu fragen wäre allerdings, wieso die Deutsche Bank Stiftung eine eigene Musikakademie unterhält. Würde die Deutsche Bank (und alle anderen Konzerne) Körperschaftssteuer wie vor den Steuer-»Reformen« von Schröder und Merkel zahlen, könnte der Staat das Geld etwa der Akademie der Künste für die Förderung von Meisterschülern und Nachwuchstalenten geben, und der Dank gebührte nicht Josef Ackermann persönlich (Durch die Steuerreform entgehen dem Staat jährlich 50 Milliarden Euro).

Veränderungen gibt es auch in dem von der Deutschen Bank finanzierten Education-Programm. Statt der alljährlichen Tanz-Projekte mit Berliner Kindern und Jugendlichen in der Arena Berlin-Treptow wird es ein »Jugendchor«-Projekt unter Leitung des Dirigenten des Rundfunkchors Berlin, Simon Halsey, geben. Chorsingen ist eine sehr gute Sache, weil ab und an auch das Publikum mitsingen kann. Offen bleibt, ob die Kraft für ein  Tanzprojekt 2013 dem Education-Projekt »Zauberflöte für Kinder« in Baden-Baden geopfert wurde.

Das Programm nennt die bevorstehende Saison ein Jahr der Jubiläen. Auf die Frage, warum nicht des 20. Todestages des von den Nazis 1934 vertriebenen Ersten Konzertmeisters Szymon Goldberg gedacht wird, nachdem man seinen 100. Geburtstag im Jahre 2009 vergessen hatte, ist Martin Hoffmanns Antwort nicht überzeugend, es gäbe doch drei aufwendige Jubiläen: 40 Jahre Orchesterakademie, 25 Jahre Kammermusiksaal und 10 Jahre Education-Programm. Erinnert man sich nicht gern der Zeit des »Reichsorchesters«? Zum Beispiel pflegt der Philharmonische Salon die Erinnerung an Künstler und Kunstförderer.

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