Alten Stralsunder Bekannten durchs karelische Eis geleitet – Frachter „RMS Goole“ ist auch ein häufiger Gast am Sund

Eerik, Kapitän des Eisbrechers Meteor, und Peer (rechts. © Foto: Christian Rödel, BU: Stefan Pribnow

Lappeenranta, Finnland (Weltexpress). „Nimm dir Schlaftabletten mit und zieh dich warm an!” Das ist die letzte Mail-Botschaft aus dem hohen Norden. Warnung oder gut gemeinter Ratschlag? Doch bange machen gilt nicht, wenn man unbedingt einen alten Traum realisieren will: ein maritimes Winter-Abenteuer.

„Terve, welcome!”, ist von oben herab durch die erstarrten Birken zu hören. METEOR ist in weißen Lettern auf schwarzem eisverkrustetem Rumpf zu lesen. Ein bulliger Hochseeschlepper der soliden, alten Art. Wir liegen im Saimaa-Kanal in Mustola bei Lappeenranta. Hier beginnt der Saimaa Kanal, der den See mit der 58 Kilometer entfernten Ostsee verbindet und zur Hälfte über russisches Territorium verläuft.

„Eerik Laas”, stellt sich der junge Mann vor, der den rucksackgebeugten Passagier aus Brückenhöhe angesprochen hat, „I am the captain”. Spricht’s und packt mit an, als es akrobatisch an Bord geht. „Jetzt brummt die Schifffahrt auf dem See”, sagt er und turnt wieder auf die Brücke zum Ablegemanöver. An der nächsten Pier wartet bereits der deutsche Frachter „RMS Goole“. Er hat 3000 Tonnen Streusalz aus Rostock gebracht, ein alter Bekannter auch im Stralsunder Hafen. Jetzt soll die „Meteor“ ihm eine Bahn brechen durch den vereisten Saimaa See zum Hafen Joensuu, wo er Zellulose für Lübeck laden soll.

Durch die Rinne heizen

Die Haupt-„Show” spielt auf der Brücke. Der 38-jährige Eerik ist jetzt in seinem Element. Mit dem Bugstrahlruder drückt er die „Meteor“ sanft von der Pier weg und lässt sie behutsam an der Flanke des Frachters entlang gleiten. Bis Erster Offizier Ardi Aas nach zwei Schleusen den Telegrafenhebel auf den Tisch legen kann: „Voll voraus!” Auftakt der Symphonie mit pausenlosen Paukenschlägen, die uns tage- und nächtelang begleiten wird, „ein Konzert der besonderen Art”, verzieht er dabei das Gesicht zu einem schiefen Lächeln, „was meinst du wohl, warum wir dir Ohropax und Schlaftabletten empfohlen haben?! Das ist so wie auf einer Rüttelmaschine leben”.

Seit Ende Dezember kennen die fünf Esten unter finnischer Flagge – alle sprechen die Landessprache perfekt – nichts Anderes, sehnen sie sich aber schon nach dem ersten eisfreien Tag. Ein paar Kilometer heizt „Meteor“ mit über zehn Knoten fast noch spielerisch durch die von ihr vorher gebrochene aber bereits wieder zugefrorene Rinne.

Harte Kursänderung nach Nordost. Die zwei starken Schiffsscheinwerfer fingern über eine starre geschlossene Eisdecke, die unter dem Anprall von 400 Tonnen Stahl zu einem bizarren Zackenmuster aufreißt. Ein schwarz-grüner Schwall überflutet die weiße Decke. Minus 25 Grad lassen den Atem augenblicklich gefrieren, und die Luft dampft mystisch-gespenstisch über dem wärmeren Wasser.

„Meteor“ wird spürbar abgebremst bis zum völligen Stillstand. „Über 50 Zentimeter Eisdicke”, schüttelt Ardi den Kopf, „da sind auch unsere 1800 PS machtlos! Bleibt nur eins: rückwärts und dann volle Pulle voraus!” Also Rammfahrt bis zum Aufbäumen, hartnäckig immer und immer wieder. Selbst der Toilettengang wird jetzt zum akrobatischen Akt, wenn man durch die Schüttelei von der Brille geschleudert wird. Mit einem Fluch auf den Lippen. Von wegen: „Ice is nice!”Chief Sergej Brozgalov kommentiert dieses wummernde Eis-Theater, das drei Tonnen Dieselöl pro Tag kostet, auf seine Weise: „Ein paar hundert Pferdestärken mehr hätte ich schon gern”.

Die eisverstärkte „RMS Goole“ indes bleibt in respektvollem Abstand. Bei rumpelnder Schleichfahrt tastet er sich durch das Schollenmeer. Seine Lichtfinger, in dem Eisblink grizzelt, erzittern hilflos, als würde er frieren.

Eine Papierfabrik bläst kilometerlange angestrahlte Dampfschwaden in den Himmel, die an eine Feuersbrunst erinnern, dabei wird hier nur in Tag- und Nachtschicht friedlich für den Export produziert. Der Eisbrecher schaukelt dazu wie eine Straßenbahn in ausgeschlagenen Gleisen. Das ist nicht See-, sondern Eisgang.

Erstarrt am Nadelöhr

Die Polarnacht ist schwarz, die Quecksilbersäule mittlerweile auf minus 23 Grad abgesackt. Wärmen kann da nur noch die ständig aufgeheizte Bord-Hölle, pardon, Sauna. So lässt sich die Konvoifahrt über das eisige Kopfsteinpflaster des Saimaa Sees halbwegs aushalten.  

Während es auf der Brücke am Joystick-Ruderhebel heißt: Steuermann halt die Wacht! Kapitän, Erster und die beiden Matrosen lösen sich dabei ab. „Meteor“ und „RMS Goole“, die in Puumala noch einen Lotsenwechsel hat, poltern auf dem einsamen inselgespickten Schlängelkurs unverdrossen nach Norden. Dabei passieren sie „Zonen der Stille”, nämlich durch starke Strömungen offen gehaltene Wasserlöcher. Und das trotz extremer sibirischer Kälte.

An Backbord wird die Parade der wuchtigen rundturmbewehrten Festung Olavinlinna abgenommen, wo im Sommer die weltbekannten Opernfestspiele stattfinden. Jetzt liegt sie erstarrt am Nadelöhr des Saimaa Sees. Die 37.000-Einwohner-Stadt Savonlinna gleitet vorüber. Hier wird die „RMS Goole“ um drei Uhr früh an den von Norden kommenden Eisbrecher „Protector“ übergeben. „Wir parken mal rückwärts ein”, verkündet Eerik breit grinsend und dreht seine METEOR so gekonnt, bis sie im Yachthafen fest im Eis liegt. Genau vor einem Supermarkt. Maschine stopp. Nach dem Frühstück schiebt Matrose Sergei Beljohin eine Leiter außenbords. „Wir gehen jetzt Nachschub einkaufen”, verkündet Ardi. Dick vermummt stapfen die Eismänner durch den Pulverschnee, unter dem der See schlummert.   

Nach einem furiosen Sonnenuntergang, der sogar die Eisdecke erröten und Kältenebelschwaden aufsteigen lässt, dampft METEOR nach Norden, um den Frachter „Lianne“ abzuholen. „Die Rinne muss ständig offengehalten werden”, erläutert Eeric, „dafür sind wir vom finnischen Staat gechartert worden”. Wieder eine stukende Nachtfahrt, „aber daran haben wir uns längst gewöhnt”, verabschiedet sich Ardi mit roten Augen, bevor er um Mitternacht auf Wache zieht und dabei vielleicht auch an wärmere Zeiten auf seiner estnischen Heimatinsel Saaremaa denkt.

Fotoreportage

Siehe auch die Fotoreportage: Mit eisigem Gepolter durch das finnische Meer – Auf dem Eisbrecher METEOR durch den erstarrten Saimaa-See von Dr. Peer Schmidt-Walther mit Fotografien auch von Christian Rödel.

Informationen:

MS METEOR

Typ: Hochseeschlepper mit Eisbrecher-Eigenschaften; gebaut 1960 in Turku als Hilfs- und Ausbildungsschiff für finnische Marine (Umbau 1989); Länge: 38,5 m; Breite: 9,2 m; Tiefgang (max.): 5,13 m; Höhe: 21 m; BRZ: 396 (tdw: 213); Eisklasse: 1 A (höchste finnisch-schwedische); Maschine: Wärtsilä, 1300 kW; Geschwindigkeit (max.): 12 kn; Eigner: Raumacata Oy, Rauma; Rufzeichen: OJJO; Crew: 5 (estnisch); Flagge: Finnland; Heimathafen: Rauma.

Saimaa-See

Der See ‒ auch Finnisches oder Karelisches Meer genannt ‒ liegt im Südosten Finnlands (West-Karelien) und ist mit 4370 Quadratkilometern der größte des Landes und der viertgrößte Europas; Küstenlänge: 14.850 km; Inseln: 13.710; tiefste Stelle: 85 m, Durchschnitt: 7 m; Nord-Süd-Erstreckung: rund 400 km; Entstanden durch das Abtauen der Gletscher der Weichseleiszeit vor rund 6.000 Jahren.

Im Süden verhinderte die Salpausselkä-Endmoräne, im Norden die postglaziale Landhebung einen Abfluss des Schmelz- und Regenwassers. Dadurch staute es sich vor rund 5000 Jahren im Saimaa-Becken. Erst durch den Fluss Vuoksi fand der See einen natürlichen Abfluss zum Ladoga See, so dass sich der Wasserspiegel senkte und sich die heutige Topografie herauszubilden begann. Im Sommer ein ideales Wassersportrevier.  

Vorheriger ArtikelTanztee der Berliner Philharmoniker im Weltnetz mit der „Berliner Symphonie“ von Kurt Weill
Nächster ArtikelAlle Mohammedaner in der BRD endlich abschieben und zwar so schnell wie möglich oder noch mehr Millionen einladen und ihnen noch mehr Milliarden Euro schenken?