Als die Schwedische Akademie einem Kommunisten – Dario Fo – ihren Nobelpreis verlieh

Dario Fo. Foto: Gorupdebesanez, CC BY-SA 3.0, Ort und Datum der Aufnahme: 1985 bei den Filmfestspielen von Venedig

Berlin, BRD (Weltexpress). Im Oktober vergibt die Nobelpreisjury in Oslo für gewöhnlich ihre begehrten Preise. Für Italien ein Anlass, sich einer außergewöhnlichen Entscheidung der Schwedische Akademie zu erinnern: Der Vergabe des Nobelpreises für Literatur am 17. Oktober 1997 an Dario Fo. Außergewöhnlich vor allem deshalb weil der sechste Italiener, der diese hohe Würdigung für Literatur erhielt, ob als Stückeschreiber, Schauspieler, Theatergründer und Intendant, als Regisseur, Bühnenbildner, Zeichner und schließlich Hochschulprofessor immer als Kommunist, als politischer Kämpfer gegen das herrschende System des Kapitals und radikal links positioniert agierte.

Seit 1952 schrieb Fo Theaterstücke, vor allem volkstümliche Farcen, für das Piccolo Teatro Strehler politisch-satirische Revuen. In den 1968er Studentenunruhen und dem in Italien folgenden »heißen Herbst« der Arbeiterkämpfe 1969 stand er auf der kulturellen Barrikade. Er brach endgültig mit dem bürgerlichen Theater und gründete ein eigenes Ensemble, »La Comune«. Fo spielte in Kulturhäusern der Gewerkschaften, in Fabrikhallen, vor Streikenden und bei Kundgebungen. Er orientierte sich an Gramsci und sah sein »militantes Theater« dazu bestimmt, die Hegemonie der bürgerlichen Kultur zu brechen, eine »neue, revolutionäre Kunst zu schaffen«, dem Proletariat zu helfen, »sein Klassenbewusstsein zu entwickeln«. In dem Stück »Zufälliger Tod eines Anarchisten« behandelte er den 1969 inszenierten faschistischen Anschlag auf die Mailänder Landwirtschaftsbank und den Mord an dem Anarchisten Giuseppe Pinelli.

1974 hatte ich als Korrespondent in Rom das große Erlebnis der Aufführung eines seiner erfolgreichsten Stücke »No si paga!«, »Bezahlt wird nicht!«, zu erleben. Es war eine Antwort auf das zunehmende soziale Elend. Hervorgerufen durch ständig steigende Lebenshaltungskosten und wachsende Arbeitslosigkeit, begleitet von einem Konsumismus, der keine äquivalente Kaufkraft zur Basis hatte. Zu Beginn des Jahres 1974 wies die offizielle Statistik eine Million Arbeitslose und über drei Millionen Kurzarbeiter aus. In ihr waren jedoch nicht die Beschäftigten von über 600 kleinen und mittleren Betrieben erfasst, die bis Ende 1973 hatten schließen müssen. Hinzu kamen rund drei Millionen aus dem Lernprozess ausgeschieden Schüler und Studenten, die keine Arbeit fanden, ebenso sechs Millionen Hausfrauen, die eine Beschäftigung suchten, um einen dringend benötigten Beitrag zum Unterhalt der Familie leisten zu können. Die Statistik erwähnte auch nicht, dass zu dieser Zeit über vier Millionen Italiener in Länder Westeuropa oder nach Übersee auswandern mussten und dort als „Gastarbeiter“ lebten. Fo brachte also in »No si paga«, den unlösbaren Widerspruch kapitalistischer Ökonomie am Beispiel des Konsumterrors eines Supermarktes auf die Bühne, in dem die Kunden eines Tages an der Kasse vorbeiziehen und nicht bezahlen. Fo wurde wegen Aufrufes zum Widerstand gegen den Staat angeklagt. Es war einer von rund 40 Prozessen, von denen er viele verlor. Es war die vielseitige repressive Antwort des Staates auf seine rebellischen Stücke. Er wurde mehrmals auf offener Bühne verhaftet, tätlich angegriffen und verleumdet.

Ein Meisterwerk war sein Solostück »Mistero Buffo«, das er seit 1969 in allen europäischen Hauptstädten selbst spielte und das von der „Neuen Zürcher Zeitungals»großes Theater« bezeichnet wurde. Aus einer kleinen Auswahl von Stücken, die später hinzukamen, sind unbedingt zu erwähnen: »Der Papst und die Hexe«, »Offene Zweierbeziehung«, »Hohn der Angst«, »Erzengel spielen nicht Flipper«, »Geschichte einer Tigerin« und »Stiehl ein bisschen weniger«.

Die Nobelpreisjury würdigte Fo als einen Künstler, der die Tradition der Commedia dell’Arte fortführt; als einen »äußerst vielseitigen Künstler, der in der Nachfolge der mittelalterlichen Gaukler die Macht geißelt und die Würde der Schwachen und Gedemütigten wieder aufrichtet und dessen Werk »einen Ausdruck von außerordentlichem idealistischem Streben« darstellt. Wie zu jeder Zeit war auch die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Preises an Dario Fo heftig umstritten. Auch wenn die Jury das nicht anführte, war unübersehbar, dass ein Antifaschist geehrt wurde, was man durchaus als ein Zeichen aus Stockholm gegen die faschistische Gefahr in dem Land, das einen Mussolini hervorgebracht hatte, sehen konnte. Peter O. ­Chotjewitz, der deutsche Übersetzer von Dario Fo, drückte das so aus: »Stockholm ehrt nicht nur einen bislang ungewohnten Autorentypus, einen höchst raren dazu, der sich mit den Vorlieben und Moden des Literaturbetriebes nicht deckt, sondern auch einen libertären Linken, der soziales Engagement und Parteilichkeit zugunsten der Ausgebeuteten und Unterdrückten vertritt.« Dass der Vatikan durch sein Hofblatt „L’Osservatore Romano“sein »Entsetzen« kundtat und die Preisverleihung für ihn »jede Vorstellungskraft« überstieg, war nicht verwunderlich. Auch nicht, dass Faschisten von einer »Schande« sprachen. Das alles konnte nur als höchstes Lob für den Preisträger gewertet werden. Fo selbst erklärte, dass er die Glaubwürdigkeit, die »der Nobelpreis verleiht«, für seine »künftigen Schlachten nutzen« und dazu auch die Dotation von 1,7 Millionen DM einsetzen werde. Das hat Fo bis zu seinem Tod 2016 so gehalten.

Anmerkung:

Über Dario Fo schieb Gerhard Feldbauer auch in: „Umbruchsjahre in Italien. Als Auslandskorrespondent in Rom 1973 bis 1979“, PapyRossa, Köln 2019.

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