Das siebenköpfige Schauspielensemble singt, tanzt, agiert und rezitiert auf einem Laufsteg. Zunächst sind alle im Stil der 1920er Jahre gewandet, später wechseln die Kostüme, bis am Ende die Mitwirkenden in schwarzen Latexanzügen sadomasochistische Atmosphäre verbreiten.
Irgendwo war zu lesen, die BesucherInnen sollten bei der Vorstellung ihren eigenen faschistischen Tendenzen auf die Spur kommen. Das klingt nach provozierendem, spitzzüngigem Kabarett. Davon ist jedoch zunächst, und auch später, wenig zu erkennen.
Die Musiker Noel Rademacher und Robert Rating, mit Kontrabass und Gitarre, beginnen den Abend stimmungsvoll mit „Es gibt nur ein Berlin“. Vielleicht sollte geschunkelt werden. Danach wird getanzt, gesungen, die SchauspielerInnen präsentieren sich in unterschiedlichen Gruppierungen, gehen ab, um blitzschnell neu kostümiert wieder aufzutreten.
Die Vorstellung ist hoch professionell, hervorragend arrangiert von Regisseurin Anne Schneider, und könnte Begeisterung auslösen, wenn die Texte nicht wären.
Oben, an der Rückwand prangt, in Gold, die Zahl 77, Logo der danach benannten Initiative, die sich an diesem Abend Gehör verschafft durch Menschen, die nicht besonders auffällig sind, Künstler, engagierte Mütter, Ökofreaks, Gutmenschen, die die Welt retten wollen. Sie sind begeistert, aber nicht fanatisch, wollen mitreißen, aber anscheinend nicht indoktrinieren. Sie drohen nicht mit der Apokalypse, sondern locken mit dem Paradies, der Befreiung von Ängsten, dem wilden, genussreichen Leben.
Parodiert und zugespitzt könnten die Texte komisch sein, aber die SchauspielerInnen hüten sich vor starken Übertreibungen, und so klingt das Gesagte fast wie Alltägliches, schon einmal Gehörtes oder Gelesenes. Radikal ist das nicht, Vieles scheint durchaus vernünftig, wenn auch ein bisschen verquast.
Während ich fast nur noch mit halbem Ohr hinhörte, fiel mir doch auf, dass der Ton sich im Lauf des Abends verschärfte, wie ja auch die ausgelassene Aufbruchstimmung der 1920er Jahre sich bis 1933 erheblich wandelte.
Am Schluss, im dunklen Saal, erscheint Rike Schubert mit einer Puppe, die sich als der Neuanfang definiert und diesen, fröhlich krähend, als immer wiederkehrenden Bluff entlarvt.
Die Bedeutung dieses Theaterabends wird erst durch Lektüre des Materials klar, das den BesucherInnen beim Hinausgehen überreicht wird: Das Stück entstand aufgrund einer Recherche, die sich, wie im Programmheft zu lesen „vor allem auf das konzentrierte, was man im weitesten Sinne unter der ’Neuen Rechten’ subsumieren kann: mit der völkisch-ökologischen Bewegung, mit Esofaschisten, Aussteigern, mit rechten Akademikern, Publizisten, ökologischen Landwirten, rechtsradikalen Ärzten, völkisch gesinnten Künstlern.“
Bei der Entwicklung der Texte „wurde das eigene Erleben und Denken als Grundlage genutzt und in eine faschistoide Richtung weitergedacht.“ Deshalb also hatten etliche der Programmtexte nachvollziehbare Ansätze, die dann, aufgrund einer merkwürdigen Logik, nicht etwa zu militanten Hasstiraden, sondern zu mehr oder weniger geschickt verpackten Diskriminierungen führten, für die dann um Zustimmung gebeten wurde. Rechtsradikale treten ja nicht mehr mit Glatzköpfen und Springerstiefeln auf, sondern geben sich sozial, friedfertig und ökologisch.
Im Programmheft werden ebenfalls die Ergebnisse von Studien der Friedrich Ebert-Stiftung und des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung zitiert. Danach findet sich „ Ausländerfeindlichkeit bei knapp einem Viertel der Deutschen“, knapp 20% der Deutschen stimmen „der Aussage zu, Juden hätten in Deutschland zu viel Einfluss“ und „knapp die Hälfte meint, dass Juden aus ihrem Opferstatus in der NS-Zeit Vorteile ziehen würden.“
Bei aufmerksamem Hinhören können wir alle versteckten oder ganz offenen Faschismus in den unterschiedlichsten Gesellschaftskreisen entdecken oder ihn gar in unseren eigenen Gedanken finden.
Zu Panik besteht sicher kein Anlass, denn die vielen Grüppchen und Einzelpersonen, die rassistische, antisemitische , antidemokratische oder menschenfeindliche Tendenzen aufweisen, sind nicht unbedingt geneigt, sich zu einer großen Bewegung zusammenzuschließen, und häufig steht kein Programm hinter einer radikalen Äußerung.
Trotzdem ist es wohl nötig, solche Äußerungen nicht einfach vorbeirauschen zu lassen, und „Brauner Zucker“ löste bei mir im Nachhinein leichtes Erschrecken darüber aus, dass ich das Gehörte als etwas nicht sonderlich Auffälliges, fast Normales wahrgenommen hatte.
Andererseits ist es für Menschen, die häufig Opfer von Diskriminierungen werden, überlebenswichtig, Verletzendem oder Bedrohlichem möglichst wenig Beachtung zu schenken. Berliner Jüdinnen und Juden, die sich von jeder antisemitischen Bemerkung oder Email den Tag verderben lassen, müssten sich mit zahlreichen verdorbenen Tagen abfinden.
Auch Frauen gehören zu den diskriminierten und durch Gewalt bedrohten Spezies. Laut WHO ist Gewalt gegen Frauen eines der größten Gesundheitsrisiken weltweit und haben in Deutschland 40% der Frauen seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. In der Berliner Kriminalstatistik 2012 sind rund 15 800 Fälle häuslicher Gewalt gegen Frauen verzeichnet, darunter dreimal Mord und sechsmal Totschlag.
Um zu überleben, müssen Frauen lernen, sexistische und diffamierende Anmache irgendwie wegzustecken, und es ist erstaunlich, wie viele Frauen, ihre eigene bedrohte Existenz außer Acht lassend, sich für andere Diskriminierte, nicht nur Frauen, sondern auch Männer, einsetzen.
Selbstverständlich gibt es auch Rassistinnen und Faschistinnen, und es ist völlig berechtigt, dass die in „Brauner Zucker“ das Un-Wort ergreifen. Ganz und gar nicht erfreut war ich allerdings, als ich im Programmheft lesen musste: „Unterschätzt wird die Bedeutung der rechten Frau als emanzipierte Kümmerin mit dem Herz auf dem buchstäblich rechten Fleck. Die zunehmende Salonfähigkeit völkisch-nationaler Ideologien ist vor allem ihnen zu ’verdanken’.“
Die Grammatikfehler weisen darauf hin, dass diese Sätze wohl nicht gut überlegt formuliert wurden. „Der rechte Mann“ mit seinen speziellen Eigenschaften und Auswirkungen wird im Programmheft nicht benannt. Männer tauchen dort lediglich, wie auch einige Frauen, als namentlich genannte Einzelpersonen auf.
Auch wenn es nicht notwendig erscheint, mit Rechtsradikalen zimperlich umzugehen, sollte doch, bei einer ansonsten seriös erscheinenden Auseinandersetzung mit ihnen, der Vorschlaghammer vermieden werden. Dass es die Frauen sind, die den Rechtsradikalen soziale Anerkennung verschaffen, wird zwar gern verbreitet, ist jedoch eine Behauptung, die sich nicht nachweisen lässt. Tatsächlich dürfte es wohl so sein, dass die männlichen, rechtsradikalen Schlägertrupps sich mittlerweile die Haare wachsen ließen, die Springerstiefel gegen ziviles Schuhwerk tauschten und es den, anfänglich für die Sex- und Hausarbeit im Hintergrund tätigen Frauen, erlaubten, sich öffentlich zu präsentieren, wobei dann Einige, und bei Weitem nicht alle, sich als charismatische Propagandistinnen erwiesen.So leicht und so vermutlich ganz unbeabsichtigt, kann Diskriminierung passieren, d.h. es ist notwendig, zwischen Ungeschicklichkeiten und Feindseligkeiten zu differenzieren.
In der Produktion „Brauner Zucker“ habe ich keinerlei Diskriminierungen oder Feindseligkeiten erkennen können, die nicht gerechtfertigt gewesen wären, und ich habe die allergrößte Hochachtung vor dem exzellenten Schauspielensemble Gina Henkel, Toni Jessen, Tina Pfurr, Rike Schubert, Cornelius Schwalm, Rainer Strecker und Verena Unbehaun, das, alle schauspielerischen Eitelkeiten beiseite lassend, die zuckrige braune Sauce ganz souverän und, ohne dem Affen Zucker zu geben, präsentiert hat.
Langweilig ist dieser Theaterabend nie, denn Regisseurin Anne Schneider sind einige wirkungsvolle Effekte eingefallen, und die Dramaturgin Sophie Nikolitsch hat ganz sicher einen wesentlichen Beitrag zu dieser bemerkenswerten Produktion geleistet.
“Brauner Zucker” von Anne Schneider und Sophie Nikolitsch hatte am 22.11. Premiere im Ballhaus Ost. Weitere Vorstellungen: 24., 25. und 26. 01. 2014.