Als österreichische Erstaufführung überraschen FRANUI mit Mahlerliedern – Serie: Tiroler Festspiele Erl 2010 mit und von Gustav Kuhn (Teil 3/3)

FRANUI im Konzerthaus Wien.

Eigentlich bräuchte man nur über ihre Musik, ihr gemeinsames Musizieren zu sprechen, aber allein die Geschichte der sich Musicbanda nennenden Gruppe „FRANUI“ macht Vergnügen und im übrigen ist ihr Anführer Andreas Schett auch so einer, der in der heimischen Diktion- oft schwer verständlich für Piefkes, weshalb er immer dann, wenn man eh verstand, in angeblichem Hochdeutsch nachlegte -, der also in der heimischen Diktion und mit berggemäßer Gelassenheit und Wortkargheit Geschichten von der Heimat bringt, daß sich das zu ernsthaftem Kunstgenuß gekommene Publikum schier ausschütten möchte vor Lachen. Und so ist dies nicht die unnötigste Erfahrung, an diesem Vormittag zu erleben, wie nah das beieinander liegt, das vom Sprachwitz stimulierte Lachen und das die Seele berührende Fluidum von Mahlerliedern, die von den FRANUIS auf ihre Art musikalisch „serviert“ werden.

Also: Franui heißt eine ganz bestimmte Almwiese im Osttiroler Dorf Innervillgraten – wir ergänzen im Kopf das Pendant: Außervillgraten ?- , das klein, aber vollendet auf 1402 Metern über dem Meer liegt, ein Name, der rätoromanischen Ursprungs ist und anzeigt, daß wir hier an der heutigen Grenze von Osttirol nach Südtirol in der Nähe der Dolomiten sind, wo die Schweiz nicht weit ist. Wir mögen kaum glauben, daß die Musicbanda, deren meiste Mitglieder auf dieser Wiese aufgewachsen sind, schon vor 17 Jahren zu spielen begannen, denn hört man einmal deren Klang, so prägt sich dieser wie auch die gesamte Gruppe tief ins Musikleben ein und man ist im selben Atemzug beleidigt, nie von ihnen gehört zu haben – ein Versagen der bundesdeutschen Feuilletons -, wie man froh ist, daß damit Schluß ist und sie zum eigenen kulturellen Gedächtnis fürderhin gehören werden, wie sie das für das gesamte mitteleuropäische gehören sollten.

Wie die Leute also spielen? Genau darin liegt das Problem, das, was dem Ohr sich erst lieblich und dann mit Wucht einprägt, in dürren Worten zu beschreiben. Fangen wir anders an. Das letzte Mal hörten wir solche Klänge, also dieses Urerlebnis, daß hier gerade Musik geboren wird, in den siebziger Jahren in New Orleans, als die alten Opas in ihren für Autos gedachten Garagen ihren New Orleans Jazz spielten. Hier aber sind es acht junge Männer und zwei Mädchen, Angelika und Bettina Rainer, die durchaus geschlechtsspezifisch die Harfe, Zither und das Hackbrett bedienen. Singen können sie auch und tun das auch. Der Gesamtklang ist ein bläserner, wohl deshalb kamen wir auch auf New Orleans und darum gibt es in der Gruppe nur zwei Streicher: eine Geige/Bratsche von Nikolai Tunkowitsch und den Kontrabaß von Markus Kraler, der auch das Akkordeon spielt, wenn nötig, was bei Mahler paßt. Die anderen blasen also: Johannes Eder die Klarinette/Baßklarinette, Andreas Fuetsch Tuba, Romed Hopfgartner Sopran-/Altsaxophon und Baßklarinette, Markus Rainer Trompete/Kornett, auch Gesang, Martin Senfter Ventilposaune und Gesang und Andreas Schett Trompete, Kornett, Gesang und musikalische Leitung wie auch Moderation.

Mahlerjubiläum ist gleich doppelt. Vor 150 Jahren ist Gustav Mahler geboren und vor neunundneunzig gestorben. Sein letztes Komponierhäuschen stand und steht in Toblach, über den Berg Pfannhorn geradewegs von der Franuiwiese geradeaus, heute Südtirol, sprich: Italien. Aber das ist nur das zusätzlich I-Tüpfelchen für diese Musicbanda, sich nun Mahler und seine Lieder vorzunehmen, als dritten Teil der musikalischen Reise, die mit „Schubertliedern“ 2006 und „Brahms Volksliedern“ 2008 begann. Übrigens ein Auftragswerk der Ludwigsburger Schloßfestspiele, das nun in Erl als österreichische Erstaufführung Furore machte. „Liederabend mit Erinnerungen an die Ewigkeit samt unverhofftem Eintreffen des Sängers“ heißt der Untertitel am sonntagvormittag, der zudem nur verrät, daß Markus Kraler und Andres Schett ihre Kompositionen und musikalische Bearbeitung nach Gustav Mahler vorgenommen haben, also eine genau geplante, aber spontan wirkende Musikhervorbringerei.

Für uns also Premiere, für die Festspiele auch, aber nicht für die meisten Besucher. Das erste Lied „Wenn mein Schatz Hochzeit macht“, aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen“, erkennt man auf Anhieb – im Programm steht zudem alles sehr säuberlich, mit Titeln und aus welchem Zyklus das Lied stammt– und man erkennt auch, daß es immer wieder die Geige ist, die die Melodie übernimmt. Wie gut, daß die Musiker nicht hören können, daß wir mitsangen, denn wenn man die Mahlerlieder kennt und liebt, geht das gar nicht anders. Wenn wir darum laut sagen: „Es hat gar nicht wehgetan!“, ist das erst einmal ein großes Kompliment an die Gruppe! Es folgt mit „Nicht-Wiedersehen!“ eines der Wunderhorn-Lieder, „Ich atmet` einen linden Duft“ gehört den Rückert-Liedern an und während eines ums andere ertönt, wird uns klar, wie unterschiedlich die Lieder jeweils paraphrasiert sind. Da gibt es ganz leise, sanft daherkommende, wo man sich über den zarten Klang der gestopften Blasinstrumente nur wundern kann, dann wiederum ertönt Brachialmusik und man weiß wieder, wie Blaskapellen Militärmärsche hervorbringen können, aber dann gibt es auch die Lieder, die jäh einen Rhythmuswechsel erfahren, wo es donnert und brummt, säuselt und dahinweht. Sphärenmusik, wenn nur noch die Harfe und die Geige ertönt. Allerhand. Erst recht, wenn es auf einmal jazzig wird und man dennoch den Mahler deutlich durchhört. Aber was war das? Klangen da nicht auch Choräle auf? Aber Tanzmusik gab’s auch und die Knarre war deutlich herauszuhören!

Und während wir immer noch innerlich mitsingen, und mit Lust durch den grünen Wald gehen, geben auch drei der Musiker Laut. Das perlt nur so von ihren Lippen, im eigenwilligen Rhythmus, wenn die Vögelein singen, was das Megaphon verstärkt und in Chorgesang mündet. Aber dann kommt mitten aus dem Publikum ein echter Liedersänger. Der Bariton Daniel Schmutzhard brachte es fertig, sein „Um Mitternacht“ aus den Rückert-Liedern original Mahler’sch zu singen, während das Orchester seinen eigenen musikalischen Weg nahm. Sehr unprätentiös stand er seinen Mann und ist dann doch „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, denn alles Schöne hat ein Ende.

Wenn es schon schwierig ist, dieses Musikereignis in Worten zu würdigen, ist es ganz unmöglich, die verbalen Kekse des Andreas Schett wiederzugeben. Darum nur der Hinweis, daß man schon deshalb die Musicbanda FRANUI original hören muß, um den Ausführungen ihres Leiters zu lauschen. Eine seiner Sentenzen, die auch die Rechtfertigung für dieses Programm ist, hat er auch abgedruckt: „Unseren Nachforschungen zufolge besteht der dringende Verdacht, daß Gustav Mahler über das Toblacher Pfannhorn nach Innervillgraten gewandert ist, sich vom Zeugwart unserer Musikkapelle, mit dem er äußerst gut bekannt war, den Schlüssel für unser Probelokal ausgeborgt – und dort Noten gestohlen hat. – Und die stehlen wir jetzt zurück!“

Gustav Mahler hätte seinen Spaß gehabt, Gustav Kuhn hatte ihn. Und wir auch.

Nachtrag: Die Woche 2 der Kammermusik in der Erler Pfarrkirche begann mit eindrucksvoll wiedergegebenen Madrigalen aus allen Schaffensperioden des Claudio Monteverdi, gebracht von den Solisten der Chorakademie der Tiroler Festspiele unter der Leitung von Marco Medved. Auch die Notturni und Kanons von Mozart ertönten und abschließend eine Uraufführung des Italieners Girolamo Deraco, der ein Magnificat komponiert hat für 8 Stimmen und Orgel, das unter großer Anteilnahme der Zuhörer mit dem Organisten Andreas Haller und Paolo Spadaro am Cembalo/Klavier unter der Leitung von Marco Medved erklang. Im nächsten Jahr wollen wir diese leiseren, von Liederabenden und Kammermusik geprägten Aufführungen stärker würdigen.

* * *

P.S.: Die Aufführungen der Tiroler Festspiele Erl sind sämtlich auf CD erschienen. www.col-legno.com

Gustav Kuhn verantwortet nun vom 17. bis 26. September 2010 auch noch die Festspiele in Toblach/Dobbiaco, wo Gustav Mahler sein letztes Komponierhäusl hatte und die 9. Symphonie sowie Das Lied von der Erde verfasste, die jedes Jahr diese Festspiele einleiten und ausläuten. www.festspiele-suedtirol.it

Erl ist ein kleiner, langgestreckter Ort in der Nähe Kufstein. Umso angenehmer, wenn man dort direkt Unterkunft findet und zu Fuß nur zwei Minuten zum Festspielhaus braucht, wie es uns mit „Der blauen Quelle“ geht, wo man nicht nur ruhig nächtigen, sondern auch sehr gut speisen kann. www.blauequelle.at

Die Franui-Aufnahmen der Schubertlieder (WWE 1CD 20301) und Brahms-Volkslieder (WWE 1CD 20302), beide sehr zu empfehlen, erhalten Sie ebenfalls bei www.col-legno.com

Vorheriger ArtikelHistorische Getreide und Gewürze auf der Cadolzburg – Mit Brotgewürzen und alten Getreidearten wie Hiobsträne und Erdbeermais
Nächster ArtikelDas große Schach Sammelsurium beglückt die Schachhasen dieser Welt