Spiegelungen, Licht, Farben, Nebel! Den Schwefel muß man imaginieren – Daniel Birnbaum bringt Olafur Eliasson mit „Innen Stadt Außen“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin

Berliner Treibholz, 2009-2010, Holz, Maße variabel

Das Spöttische sind dem Künstler und dem Kurator durchaus eigen. Denn der Kunstparcours beginnt mit Platten. Da liegen in den ersten Räumen solche Granitplatten wie sie überall liegen, vor allem in Berlin. Aber die Räume sind damit nicht ausgelegt, sondern als breiter Steg liegen die Platten vor einem und das ist Allerliebst zu beobachten, wie die Besucher damit umgehen. Die ersten gehen darum herum, denn sie wähnen ja ein Kunstwerk dort unten am Boden. Und da noch ein Mobile herum hängt, beschäftigen sie sich erst einmal damit. Aber dann? Es besteht keine andere Möglichkeit, als über die Platten in den nächsten Raum zu gelangen. Die einen gehen zurück, um die Platten von Beginn an zu betreten, andere schlüpfen rasch drauf und das Spiel um Kunst haben die Ausstellungsmacher uns in die Füße gelegt.

Auch im dritten Raum erlebt man sich selber als reflektierender Betrachter. Denn vor einem liegen Platten, die links zum Fenster gehen, nach rechts geht aber die Ausstellung weiter. Klar, daß wir dem Linksschwenk der Platten folgen und uns vor das Fenster stellen und hinausschauen. Auch ohne Kunst. „Aha“, denken wir uns. Dieser Eliasson will, daß wir uns selbst als Kunstbetrachter wahrnehmen. Also uns hinterfragen, warum wir etwas wie anschauen, was uns von äußeren Momenten her bewegt, was aber über das Auge im Inneren landet. Dazu sagt Birnbaum: „Durch Olafur Eliassons Arbeiten gelangen wir außerhalb unserer innersten Außenwelt. Dabei erzeugt man die Arbeit gewissermaßen selbst, während man seinerseits durch die vom Künstler geschaffenen Umgebungen erzeugt wird.“ Und Eliasson erwartet von uns, daß wir die Erkenntnisse aus der Ausstellung in den Gang durch Berlin mitnehmen.

Allerdings haben wir in Berlin dann nichts Gleichartiges gesehen, was uns motiviert hätte, vor und zurück und wieder vor zu marschieren, den Rock zu schürzen, von der Seite aufs Frontale zu wechseln. Die Rede ist von Scheinwerfern, die uns erst einmal als siebenfarbige Silhouette an die Wand werfen, allerdings ineinanderverschränkt, was dem Ganzen etwas unglaublich Schwungvolles gibt. Wieder sind es die Besucher, die uns auch amüsieren. Wie wir gehen sie zurück, wechseln die Entfernung zur Wand, was sich in Höhe und Breite der Wandbilder auswirkt. Noch haben wir uns keine weiteren Gedanken um Farben der Scheinwerfer gemacht, die Farbigkeit an der Wand nur registriert. Aber im nächsten Raum, wo im Grunde dasselbe passiert, gibt es fünf Scheinwerfer. Der äußerste hat blaues Licht. Aber unsere gefächerte Abbildung an der Wand trägt das Blau in der Mitte?

Doch das interessiert uns. Denn die Schweinwerfer werden immer mehr und die Farben vervielfachen sich. Dann aber sind wir vollends verwirrt, denn hier sind nur fünf Schweinwerfer, aber an der Wand sind sieben Farben: von hellgelb bis pink-rosa. Dabei waren das bisher noch die kleineren Scherze. Es kommt doller. Wir überspringen den Leuchtturm und das gefältete Papier, auch die Videos und stehen in einem leeren Raum. Gucken aus dem Fenster und suche die Kunst und sehen zum ersten Mal die aufwendige Kassettendecke aus Stuck! Im Nachbarraum auch. Die Originalausstattung des Gropiusbaus, die ansonsten verbaut wird.

Wahrscheinlich sind die Besucher, die zahlreich in die Ausstellung strömen, von drei Phänomenen besonders begeistert oder irritiert: den Spiegelungen, den Farben und dem Aufwand, die Wirklichkeit durch Nebel fast unsichtbar zu machen. Die immer wieder verwandten Spiegelungen finden den Höhepunkt im Zentrum, wo eine Riesenwand erstellt und verspiegelt ist, aber nicht mit einem einzigen, sondern mit vielen kleinen Spiegelelementen, die sich in den Seiten ebenfalls spiegeln und man den Eindruck hat, im Außerirdischen zu weilen: bläulich und elegant, aber auch kalt und starr. Stark auch der Raum, durch dessen Fenster man auf das benachbarte stukkierte Gebäude blickt und sich wundert, weshalb jemand so dicht einen solchen Apparillo an den historistischen Bau stellen durfte, bis einem das „Aha“ überfällt, dem einen schnell, dem anderen nie, daß durch einen Spiegel etwas einen Meter vor dem Gebäude veranlaßt, wir auf die gespiegelte Außenseite des Gropiusbaus blicken, also uns innen im Gebäude aufhalten, aber das Äußere des Gebäudes gleichzeitig auch sehen.

„Vorsicht“ ist eine mehrmals vorgebrachte Warnung, bevor man spezielle Räume betritt. Das muß auch so sein. Denn die Wasser-Installation, wo Blitze das Stockdunkel jäh durchschneiden, kann Epilepsie auslösen, aber auch Migräne , und diesen Raum sollten all die meiden, die mit Hell-Dunkel-Phänomenen Probleme haben. Klaustrophobiker sind die nächste Gruppe, die den Schlußräumen fern bleiben sollten, dabei ist das noch zu kurz gegriffen, denn man muß keine Phobie haben, um nicht zu mögen, daß man weder weiß, wo man ist, noch wie es weitergeht. Man betritt weiße Leere. Nebel pur, eher wie verdickter Wasserdampf, also sehr hell. Man erhascht Schatten, sieht Licht, hört andere sprechen, sieht sie aber nicht. Nun passiert etwas Interessantes. Ein Begleiter ging schnurrstracks ins Dichte, Leere, mit großen Schritten also und sagte nachher, daß sich dies sofort gelichtet habe, also gleich mit seiner Geschwindigkeit auch der undurchdringliche Nebel um ihn herum schwand.

Wir dagegen haben uns so verhalten, wie die meisten. Ganz zögerlich, ganz langsam, Schritt für Schritt wagten wir uns ins Nichts. Denn genau das Gefühl von Nichts empfindet man. Überhaupt nicht Angst, aber doch Ungewißheit. Das wird überlagert von den Farbwirkungen und der zunehmenden Erfahrung, daß es immer irgendwo weitergeht. Ein anderer fand nicht heraus. Der hatte sich – wie er sagte – an den Wänden entlangbewegt, aber keine Tür gefunden und fühlte sich nach mehrmaligen Versuchen wirklich gefangen. Eingesperrt. Das machte ihm Angst. Er rief laut: „Wo geht es raus?“ Ein gutes Beispiel für die Unterschiede, wie Menschen auf neue Situationen reagieren. Und so ist diese Ausstellung eine, die mehr als andere zur Folge hat, daß man sich mit sich selber beschäftigt. Ganz in der Absicht des Künstlers.

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Ausstellung: bis 9. August im Rahmen der Berliner Festspiele

Katalog: Olafur Eliasson: Innen Stadt Außen, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2010

Internet: www.gropiusbau.de

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