Berlin, Deutschland (Weltexpress). Vor gut 20 Jahren habe ich an einer Konferenz des amerikanischen Außenministeriums in Bratislava teilgenommen. Unter Führung von John Bolton, dem ehemaligen Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten Trump, ist uns da die neue Welt vorgestellt worden. Die neue Welt, die sich dadurch kennzeichnet, dass man die Russische Föderation aus Europa heraus drängt und zwischen Riga und Odessa eine Rote Linie zieht – also quer über den Kontinent.
Aber das hatte auch noch eine andere Komponente, die ebenfalls offen angesprochen worden ist. Man wollte und will Polen mit einem Gürtel gleichgesinnter Staaten umgeben. Deshalb ist bei dem, was wir heute erleben, sowohl in dem Fall Nawalny als auch bei den Dingen, die jetzt in Minsk zum Fall Lukaschenkos passieren, eines ganz deutlich sichtbar: die damaligen Überlegungen, die vor gut 20 Jahren vorgestellt worden sind, sind heute praktische amerikanische Politik.
Das hat auch nichts damit zu tun, dass man sich in Washington eigentlich die Augen reiben müsste, wenn man sich den amerikanischen Präsidenten mit seinen Möglichkeiten und die demokratisch-republikanische Kriegsallianz ansieht. Vor wenigen Tagen hatte der amerikanische Präsident noch darauf aufmerksam gemacht, wie friedenswillig er ist und wie kriegsbezogen Pentagon Europa und die Welt kontrolliert. In diesem Spagat machen die USA derzeit ihre Politik. Und wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir hier in Europa amerikanisches Vorfeld in diesen Überlegungen sind. Wir haben in den letzten 20 Jahren gesehen, dass – von unserer Rechtsordnung angefangen und bis hin zu unserer Wirtschaftsordnung – alles auf amerikanische Belange ausgerichtet worden ist. Und da ziehen Trump und die demokratisch-republikanische Kriegsallianz an einem Strang. Wir sehen ja, dass wieder überall gezündelt wird, ob das nun in Weißrussland oder der Fall Nawalny ist. Wir müssen uns fragen, ob sich die deutsche Bundeskanzlerin, was den Fall Nawalny anbetrifft, zur Komplizin einer innenpolitischen Auseinandersetzung in einem anderen Land gemacht und damit klassisch gegen die Grundlagen des Völkerrechts verstoßen hat, welche ausdrücklich verbieten sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen. Das passiert durch Entscheidungen der Europäischen Union auch in Weißrussland, wenn wir uns die Presse von heute bezüglich der Konferenzen von gestern durchlesen. Wir sind in einer Situation des organisierten Umbruchs nicht das Europa, dass friedenswillig ist und sich seine eigene Meinung bilden kann. Wir sind im Sinne einer demokratisch-republikanischen Kriegsallianz das amerikanische Vorfeld in den Auseinandersetzungen mit Russland und möglicherweise auch mit China.
Wir müssen leider fest stellen, dass, lange Zeit nachdem die baltischen Länder Mitglieder der Europäischen Union und der NATO geworden sind, sie eigentlich die verhängnisvolle Geschichte von vor 200 Jahren gegenüber ihrem Nachbarn – Russland – fortsetzen. Da ist nichts zu spüren von einer Friedensdividende, die wir am Ende des Kalten Krieges vor 30 Jahren glaubten einstreichen zu können. Das Tragische für uns ist, dass wir diese Staaten als Mitglieder in der Europäischen Union und der NATO haben, ohne uns zu fragen, ob die Fortsetzung dieser Konfrontationspolitik eigentlich in unserem Interesse gewesen ist. Und, wenn es nicht in unserem Interesse gewesen ist, warum wir sie dann in die NATO und in die Europäische Union aufgenommen haben. Es kann nicht angehen, dass die Phobien bestimmter Staaten – und da können wir auch Polen mit einbeziehen – unsere Beziehungen zur Russischen Föderation, die sich als außerordentlich friedenswillig herausgestellt haben, in Zukunft bestimmen. Es ist ein europäisches Verhängnis, aus dem wir herauskommen müssen.
Bei der Konferenz vor 20 Jahren in Bratislava wurde eine klare Ansage gemacht und vor wenigen Wochen hat es der österreichische Außenminister Schallenberg, nach einem Besuch des amerikanischen Staatssekretärs Pompeo, in aller Öffentlichkeit, genau so angesprochen. Es geht darum, Weißrussland aus der guten nachbarschaftlichen Beziehung mit der Russischen Föderation heraus zu brechen und diesen Wall gegen Russland vom Westen aus zu vollenden. Das hat nichts mit europäischer Kooperation, sondern nur mit europäischer Feindschaft zu tun“.
Anmerkung:
Vorstehender Artikel von Willy Wimmer wurde unter dem Titel „Die (Um)Verwandlung der NATO“ in „World Economy“ am 24.9.2020 erstveröffentlicht.