Und wenn wir als Überschrift auch noch die alte Werbung für den Volkswagen nahmen, dann hat das damit zu tun, daß wir es bei Johann Rettenberger, genannt Hans (Andreas Lust) mit einem Maschinchen zu tun haben, einer Laufmaschine, so kommt es uns vor, der alles andere untergeordnet wird, wobei das Menschliche in ihm von ihm selbst verdrängt, vergessen, verborgen wird. Und als es einmal aufbricht, da geht es ihm schon gegen den Strich, daß er Gefühle empfindet für Erika (Franziska Weisz), die er schon lange kennt und die ihn bei sich wohnen läßt, ein halbes Jahr. Erst als sie – mißtrauisch geworden durch Fotos vom Bankräuber, der ganz Wien und Umgebung heimsucht, – des Nachts sein Zimmer inspiziert, er selbst schläft längst in ihrem Doppelbett, und unter seinem Bett den zum Berg angewachsenen Haufen Papiergeldes findet, mit dem er wohl gar nichts anfangen will, das merkt man deutlich, da wird ihr das alles zuviel, auch die ständige Angst um ihn, und wir erfahren später, daß sie es war, die der Polizei den entscheidenden Tip gab, der dann zu seiner Festnahme führte.
Bei der allerdings wird im Film on der öffentlichen Wahrnehmung ausgespart, daß mit ihm ein Prominenter gefaßt wurde, denn der Rettenberger war da längst in ganz Österreich bekannt, er hatte nämlich frisch aus dem Gefängnis den 25.Wiener Marathon gewonnen und den Siegeszug im Bergmarathon fortgesetzt. Von daher ist das ganz wortwörtlich zu verstehen vom Laufen und Laufen und Laufen. Hauptdarsteller Andreas Lust, der das prima macht, den einsamen Wolf im Schafspelz mit verbitterter, gleichwohl leerer und trauriger Miene zu geben und das im fortwährenden Spurten, meinte im dem Film folgenden Pressegespräch, das habe er körperlich gespürt, was die Problematik dieses Rettenberger gewesen sei, der in sich ungeheure Energien gespürt habe, von denen er sich nur durch Laufen habe befreien können, es sei also das Laufen auch ein Laufen zur Freiheit gewesen.
Die Bilder im Film stützen diese Interpretation, denn außer den für Wien Mitte/Landstraße, die Innere Stadt und den Prater typischen Aufnahmen, sind es immer wieder die Wälder, durch die der Räuber seine Strecke nimmt, die so schön fotografiert sind, daß man mitlaufen möchte, zumindest verweilen im dichten Grün oder den durchsichtigen Schleiern, die die Äste und Zweige ergeben und sich im Laufen dann die Natur darstellt und das Schöne im Leben, eben dieses Gefühl von Luft und Freiheit auch. Und als der Räuber einmal im Wettbewerb besonders rhythmisch läuft, da erklingt Sphärenmusik, die barocken von einem Countertenor kommen, alles Täuschung, sagte dann Regisseur Benjamin Heisenberg, denn das habe ganz frisch Lorenz Dangel extra für den Film komponiert. Die Endorphinchen hüpfen. Den ihn mit Reden nervenden Psychologen, der sein Laufen und mangelndes richtiges Arbeiten kommentiert mit: „Das Leben steht mir so wackelig da!“, schlägt er nieder. Tödlich.
Nun läßt sich zwar ein Bankräuber und Totschläger fangen, aber ein gefangener Läufer läuft natürlich den Verhören einfach davon. So auch der Rettenberger, der aus dem Fenster springt und damit eine Lawine von Verfolgungen auslöst, der er zum Opfer fällt. Höchste Zeit weiterzutragen, daß diese Geschichte auf einem Roman basiert, der erzählt, was sich wirklich in Österreich zugetragen hat. Daß nämlich ein Prominenter die Banken beraubt habe und dann als er geschnappt wurde, Selbstmord begangen habe. Das macht ja eigentlich, nur diffiziler, auch unser Räuber. Er läßt den Selbstmord machen. Denn bei seiner Flucht preßt er einem Rentner (Markus Schleinzer) dessen Auto ab, was dieser todesmutig mit einem Stick in die Brust des Räubers ahndet. Der flieht nun mit dessen Auto, wechselt, als er den gewaltigen Polizeieinsatz wahrnimmt – in der wahren Begebenheit der größte österreichische Polizeieinsatz nach dem Krieg und im Film mit dem Marsch der Hundertschaften durch die Wälder mit Stirnleuchten fast ein Slapstick – das Auto und läßt dessen Besitzer mit seinem kleinen roten Flitzer die Polizei nun den Falschen jagen, während er ganz unbehelligt weiterfährt, allerdings an dem Stich nun langsam verendet. Vorher ruft er noch Erika an, die ihm ihrer Liebe versichert und dann ist nur noch Schweigen und schweigend stirbt dieser einsame Wolf einfach vor sich hin.
Wir können also eigentlich über den Film nur Gutes sagen, der durch die Bankraubeinschübe und die Verfolgungen durch die Polizei auch jeweils immer wieder von neuem spannend wird und dennoch, dennoch ist da etwas, was uns das gute und glaubwürdige Filmkonzept, das schöne Fotografieren, die gut passende und unpassende Musik und selbst die gute Schauspielerei verleidet und wofür der Regisseur gar nichts kann. Es ist der dritte Berlinalefilm, der mit einem einsamen Mann im Gefängnis beginnt, diesmal ist nicht die Mutter schuld, wie beim rumänischen und dem dänischen Beitrag, wo es gleich um zwei Männer, die Brüder ging, aber es handelt sich immer um fast autistische, auf jeden Fall ihre Umwelt nicht wahrnehmende männliche Wesen, die als einsame Wölfe durch das Leben streifen – oder wie unser Räuber als Wolf durch den Wald. Nimmt man noch die amerikanischen Beiträge hinzu, wo eine Irrenanstalt den Hintergrund eines anderen traumatisierten Mannes darstellt oder wie bei Allen Ginsberg der Prozeß um den Außenseiter gegen sein Poem, dann haben wir es gehäuft, ja eigentlich nur noch mit den einsamen Männern zu tun, die straffällig werden und wo Gewalt eine große Rolle spielt. Das ist uns einfach zu viel, auch wenn diesmal nicht die Mutter schuld ist, die sonst dafür herhalten muß, wie die gesamte Kindheit, Jugend oder die Gesellschaft.
Darauf angesprochen antwortete Andreas Lust verblüfft, aber spontan, darüber habe er noch nicht nachgedacht, das auch noch überhaupt nicht gesehen, aber die Fragerin habe recht, die Männer heutzutage seien so einsam, so autistisch, so unfähig etwas anderes wahrzunehmen als ihr Wolfsein. Das haben wir nun noch ein bißchen aufgefüllt, was der Schauspieler sagte, aber die Tendenz stimmt. Und da Filme Ausdruck gesellschaftlicher Ängste, Bedürfnisse, Sehnsüchte und einfach auch Widerspiegelungen von Realitäten sind, liegt es an allen, herauszufinden, was da eigentlich los ist, daß das Kino diesen Männertyp derart generalisiert. Filmkritiken können Analysen leisten, nicht aber die Motive wirklich klären. Von daher ist diese Frage an die Leser weitergegeben.
Originaltitel: Der Räuber
Land/Jahr: Österreich/Deutschland 2010
Regisseur: Benjamin Heisenberg
Darsteller: Andreas Lust, Franziska Weisz, Markus Schleinzer
Bewertung: * * *