Was ist los in Hessen?

Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident von Hessen, mit Hessen am 16. Juni 20ß19 auf dem Hessentag. © Copyright Staatskanzlei Hessen, Foto: Thomas Lohnes

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Hessen scheint in einer verhängnisvollen Schieflage verheddert zu sein. Da ist einmal der jetzt vor Gericht verhandelte Mord an Regierungspräsident Lübcke. Alleine schon die Berichterstattung über das regionale Umfeld mit Netzwerken der übelsten Sorte treibt einem die Zornesröte ins Gesicht. Zumal es sich um ein Gebiet handelt, in dem schon der „National-Sozialistische Untergrund“ mörderische Spuren hinterlassen hatte.

Glaubt bei der Landesregierung in Wiesbaden irgendjemand, dass ein Wegsperren der entsprechenden Akten für einhundert Jahren den in Deutschland verbreiteten Verdacht zerstreut, dass es was zu verbergen gilt, wenn man zu einer solchen Maßnahme greift? Kann man so etwas in Deutschland und nicht nur in Hessen nicht aufklären, ohne den eigenen Staat oder andere Staaten nicht in die Bedrouille zu bringen? Oder soll den dabei vorgeführten Deutschen unter allen Umständen verborgen bleiben, dass andere in unserem Land für ihre eigenen politischen und sonstigen Zwecke schalten und walten können, wie sie gerade wollen?

Jetzt ist ein Sonderermittler in Wiesbaden eingesetzt, der die Todesdrohungen gegen eine Anwältin und eine prominente Abgeordnete aufklären soll, nachdem die übliche Aufklärungsarbeit bislang keinen Erfolg hatte. Das fällt denen in Hessen spät ein, mag man sagen. Auffallend ist selbst für Nicht-Hessen, in welchem Maße Polizei und ein Polizeicomputer eine Rolle spielen sollen. Man gewinnt ohnehin seit längerem den in der Bürgerschaft vermittelten Eindruck, dass eine Säule des demokratischen Staates nach der anderen delegitimiert werden soll. Letzte Woche war es noch die Bundeswehr mit Tendenzen, die bei ausgeübter Dienstaufsicht mit Stumpf und Stil schon längst hätten beseitigt werden können. Jetzt ist es die Polizei, aus deren Reihen so agiert worden sein kann, wie Vorläufer zeigen. In einem Land, das vor lauter Überwachung gerade im Raum Frankfurt aus allen nationalen und bündnisspezifischen Gründen aus allen Nähten platzt, dürfte es keine Überraschung sein, wenn selbst auf einen Polizeicomputer Kräfte einwirken und sich Zugang verschaffen, die mit deutscher Polizei nichts zu tun haben. Kann man wirklich in Wiesbaden mit vollumfänglicher Aufklärung rechnen, wenn man im Hinterkopf noch die Erfahrung mit den der Öffentlichkeit vorenthaltenen Aktenerkenntnisse über den „National-Sozialistischen Untergrund“ hat?

Um sich eine Vorstellung von der Lage im Großraum Frankfurt und von Hessen ganz allgemein in Zusammenhang mit schwersten Straftaten zu machen, sollte eine Erfahrung herangezogen werden, die eine „gewichtige Person der deutschen Zeitgeschichte“ zu folgender Überlegung brachte. Danach befinde sich mehr Nachrichtendienst-Personal anderer Staaten in diesem Großraum als der deutsche Verfassungsschutz in ganz Deutschland Mitarbeiter habe. Vielleicht kann man sich als örtliche Regierung in einer derartigen Lage nur dadurch helfen, dass man die Akten wegsperrt. Das ist schon verhängnisvoll genug, sollte aber nicht dadurch komplettiert werden, das Ermittlungen nicht so geführt werden können, wie es einem souveränen Staat entspricht.

Gerade in den deutschen Sicherheitsbehörden ist nach 1945 – durch Spitzenleute und vermutlich andere – aufgefallen, das nachweislich auf „mehreren Schultern“ getragen wurde. Das konnte jeder in den letzten Monaten nachlesen und es fing nicht bei BND-Gehlen an. Manches wird vielleicht in den kommenden Monaten das Licht der Welt erblicken. Wie das geht und welche Auswirkungen das hatte, war auch nachzulesen in Zusammenhang mit dem weitreichenden und historisch zielgenau ausgerichteten Text des russischen Präsidenten zum Kriegsende vor 75 Jahren. Danach konnten die Briten während des Krieges über geneigte Kräfte in der deutschen Luftwaffe verfügen. Das sollte in Friedenszeiten und dann noch verbündet, wesentlich leichter fallen.

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Willy Wimmer
Staatssekretär des Bundesministers der Verteidigung a.D. Von 1994 bis 2000 war Willy Wimmer Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).