Jedes Jahr am zumeist dritten Aprilwochenende feiert Zürich mit Begeisterung ein Frühlingsfest. Mehr als 7 000 Teilnehmer in historischen Kostümen, darunter 3 000 Kinder und Jugendliche, 350 Reit- und 150 Zugpferde, fast 30 Musikkorps sowie 50 Wagen und Kutschen werden aufgeboten und formen eine der größten und farbigsten Veranstaltungen in Europa, zu der das Zunftleben für die Öffentlichkeit besonders sichtbar wird und der Stadt einen Hauch ihrer Vergangenehit zurück gibt.
Seit jeher bestimmte die Gewerbeordnung der Zünfte die Arbeitszeiten der Handwerker. Im Sommer wurde mit dem „Sechs-Uhr-Läuten“ das Ende der Arbeitszeit angezeigt, während im Winter auf Grund der Lichtverhältnisse nur bis fünf Uhr gearbeitet werden konnte und entsprechend diese Feierabendglocke gar nicht schlug. Der Wechsel von der Winter- auf die Sommerarbeitszeit fiel auf den 21. März, den Tag, an dem Tag und Nacht wieder gleich lang sind, und das erste Sechs-Uhr-Läuten nach dem Winterhalbjahr verkündete im Mittelalter den Frühlingsbeginn. Dieses froh erwartete Ereignis feierten die Zünfter bei Speis, Trank, Reden und gegenseitigen Besuchen auf ihren Zunftstuben und schon im späten 18. Jahrhundert soll sich in Zürich der Brauch des Frühlingsfeuers nach heidnischem Vorbild entwickelt haben.
Offiziell beginnt das Sechseläuten am Freitagabend auf dem Lindenhof, der für vier Tage zum „Platz der Kantone“ wird. Die Züricher Zünfte laden seit 1991, dem Jubiläumsjahr der Schweizerischen Eidgenossenschaft, jedes Jahr einen Gastkanton ein, der sich der Bevölkerung im Lindenhof präsentiert.
Während der Eröffnung des Festes findet in der ganzen Innenstadt das „Trummle bummle“ statt. Viele Trommlerinnen und Trommler marschieren in einem Sternmarsch zum Stadthaus und danach quer durch das Zentrum. Samstag vergnügen sich die Zünfter auf einem der vielen, bis tief in die Nacht andauerenden Bälle, während der Sonntag den Kindern gehört!
Um 14:30 Uhr startet ihr Umzug, eine historische Reise durch die Epochen und die Geschichte Zürichs. Jeder darf mitmachen, einzige Voraussetzung ist ein historisches Kostüm oder eine Tracht, die gegen ein geringes Entgelt sogar bei den Organisatoren gemietet werden können. Heute nehmen an diesem Umzug rund 2000 bunt kostümierte Kinder teil und werden von 800 Mitgliedern aus vielen Vereinen musikalisch unterstützt. Der von mittelalterlichen Scharfrichtern begleitete Wagen des Böögg bildet sowohl den Abschluß des Kinderumzuges wie auch die Verbindung zum Zug zum Feuer am nächsten Tag.
Am Sechseläutenmontag um 7 Uhr morgens wird die Stadt mit 21 Böllerschüssen geweckt. Rund 4 500 „Bürdeli“ (zusammen gebundenes Kleinholz) aus dem Abfallholz städtischer Allee-Bäume sind vorbereitet worden und ergeben am Ende den 13 Meter hohen und im Durchschnitt sieben Meter breiten Scheiterhaufen. Bereits am Mittag steht der Böögg auf dessen Spitze und hart der Dinge, die da kommen werden, den Blick auf das Ziffernblatt von St. Peter gerichtet, das ihm zeigt, wann seine Stunde geschlagen hat.
Am Morgen gegen 11 Uhr strömen die Zünfter auf ihre Zunftstuben. Hier und dort begrüßt eine Zunftmusik ihre Mitglieder und die Gesellen der Zunft zum Weggen am Großmünsterplatz werfen „Semmeli“ (kleine Brötchen) aus den Fenstern. Sie erinnern damit an soziale Taten, die Karl de Große, dessen Standbild am Südturm des Großmünsters steht, für die Armen der Stadt erbracht haben soll. Um 11:15 Uhr findet auf der Gemüsebrücke neben dem Rathaus das Mörserschießen einer militärischen Formation der Zunft zu Saffran statt und parallel können auf der Limmat Langschiffe mit Zünftern der Stadtzunft gesichtet werden. Die besten Orte, um das Geschehen zu verfolgen, befinden sich am Limmatquai oder auf dem Münsterhof – an Plätzen, wo sich mehrerer Zünfte nebeneinander für den nachmittäglichen Marsch rüsten.
Der Zug der Zünfte zum Sechseläutenfeuer, beginnt um 15 Uhr. Besonders imposant ist er in der Bahnofstraße zu erleben, wo der sogenannte „Countermarsch“ die Gelegenheit bietet, den Umzug zweimal zu verfolgen, kreuzen und begegnen sich dort doch die Zünfte. Schön anzusehen, wie Frauen die Zünfter mit Blumensträußen beschenken und diese sich strahlend vor Freude mit herzlichen Umarmungen und vielen Küssen bedanken.
Bis 18 Uhr ist die letzte Zunft am Secheläutenplatz eingetroffen. Dann nämlich wird der Holzhaufen mit dem Böögg entzündet. Sobald der Holzstoß brennt, stürmen die Gruppen der berittenen Zünfte nacheinander zu den Klängen des Sechseläuten- oder ihres Zunftmarsches dreimal um den Böögg. Je nach Wetter, Holzbeschaffenheit und Windverhältnissen erreichen die Flammen nach wenigen Minuten den Wattemann. Hat der Böögg Feuer gefangen, explodert die im ganzen Böögg verteilte, über 110 Teile umfassende Sprengladung unter ohrenbetäubendem Lärm und läßt den Böögg im wahrsten Sinne des Wortes in Schall und Rauch aufgehen.
Ab 20:30 Uhr herrscht wiederum buntes Treiben auf den Straßen. Die Zünfte machen sich nach dem Abendessen für den Auszug bereit und zünden ihre farbigen Zunftlaternen an, die vor den jetzt ausgeschalteten Schaufensterbeleuchtungen besonders schön zur Geltung kommen. Zunftmusiken halten vor den Zunfthäusern Platzkonzerte ab, bevor es auf den nächtlichen Marsch geht, bei dem jede Zunft drei anderen ihre Besuche abstattet. Besonders stimmunsgvoll ist der Aufenthalt zwischen Münsterhof, Limmatquai und Weinplatz oder das Verweilen in den Altstadtgassen, dort, wo die meisten Zunfthäuser liegen. Aber auch nach Mitternacht geht der Sechseläutenspuk weiter. Wilde Gruppen Angehöriger unterschiedlichster Zünfte versammeln sich mit Rumpfbeständen von Zunftspielern zu spontanen, so genannten “Saubannerzügen“.
Etwa alle sieben Jahre führen die Zunft zur Meisen und die Zunft zur Waag vor deren Zunfthäusern am Münsterhof nach Mitternacht ein besondereses Schauspiel auf, den sogenannten „Siddeleritt“ (Siddele = Stuhl). Haben die Sitzgelegenheiten einer der beiden Zunftstuben ausgedient, werden sie zu ihrer letzten Reise hervorgeholt und wandern auf den Scheiterhaufen vor dem benachbarten Zunfhaus. Ob und wann ein Siddeleritt stattfindet, bleibt ein Geheimnis, genauso, wie die Sommerwetterentwicklung vor dem Verbrennen des Böögg. Sicher ist nur eins: „Es schööns Sächselüüte“, als Feststellung wie als Gruß!
Das nächste Zürcher Sechseläuten findet statt am Montag, den 19. April 2010.
Quelle: (i.d.H.) Züricher Sechseläuten. Eine Gebrauchsanleitung, Zentralkomitee der Zünfte Zürichs, Zürich, 2004
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