Gebrochen dagegen und mit allem Schmerz der Welt hängend sein Pendant, das nicht nur gewaltige Blutspuren aufweist, sondern durch Kopfhaltung und Dornenkrone den zu Tode gequälten Christus zeigt, der stellvertretend für die Gläubigen gestorben ist. Um seine Haltung mit der Wahrscheinlichkeit in Verbindung zu bringen, muß er einfach die Füße überkreuzen, die mit einem Nagel gehalten werden, damit dann die Knie leicht angezogen sich die hängende Haltung ergibt, die hier allerdings keinen S-Schwung aufweist, sondern den Leichnam sehr gerade zeigt. Ein Ypsilon ist hier entstanden, vergleichbar der Astgabel an der dieser Jesus hing.
Wenn nun auch noch ein Christus auf dem Esel einherreitet, was auf den Einzug in Jerusalem verweist, dann zeigt das eine dritte Christusversion, um 1350/60 aus weichem Laubholz, und als Beginn der Passionswoche einen Höhepunkt des christlichen Jahres. Still und stumm reitet er ein und die Farbspuren zeigen, wie wir uns das vorzustellen hätten, als das heute marode Pferd und der Reiter noch bunt glänzten. Auf der anderen Seite sind wir voll Bewunderung, wie nach so vielen Jahrzehnten, das Gesicht dieses Jesu seinen Ernst und seine Würde bewahrt haben, er selbst bärtig und mit langen Haaren.
So sind wir Stunden in der Ausstellung umhergewandert, denn der Blick auf das eine, holt die Erinnerung an das eben Gesehene herbei und man muß zurückgehen, um das Neue besser erfassen zu können. Die auf zwei Stockwerke verteilte Ausstellung gliedert sich thematisch in sechs Abteilungen. Die erste, die wir zu beschreiben anfingen, heißt „Schmerz und Erlösung“. „Maria – Helferin und Mitleidende“ ist die zweite, die neben den sieben Schmerzens Mariens auch die Breite der Mariendarstellungen zeigt, von der Mutter mit Kind, über die Himmelskönigin, auch die auf der Mondsichel Stehende oder die liebliche, schöne Madonna um 1400, die Schutzmantelmadonna nicht zu vergessen, die mit der Freiburgischen um 1360/70 ein besonders eindrucksvolles Exemplar zeigt.
„Stationen der Passion“ zeigt dann auf, wie aus dem ursprünglichen einfachen Vorgang der Kreuzigung eine theaterhafte Stationenfolge entsteht, wobei „Jesu Gebet am Ölberg“ als Relief wie als Ölgemälde einen besonderen Stellenwert erhält, genauso wie die einstmals ’einfache` Darstellungen von Kreuzigung, Kreuzabnahme und Bestattung zu einer reichen Differenzierung aller Einzelhandlungen wird, bei der insbesondere die Beweinung Maria wieder in den Mittelpunkt rückt. „Heilige – Vorbilder und Beschützer“ bringt die breite Palette der Volksgläubigkeit und ihrer künstlerischen Wiedergabe ins Spiel, die allesamt auf die Legenda Aurea des Jacobus de Voragine (ca. 1230 bis 1298) zurückgehen, der die alten und die neuen Heiligengeschichten dokumentiert hatte. Hier finden Sie auch die deutlichsten Hinweise auf Bedeutungsperspektiven, daß also in einem Bild wie der „Grabtragung der heiligen Ursula“ um 1440/50 deren Gesicht überdimensioniert ist, während die auch sonst fast als Kopffüßler auftretenden Träger deutlich kleiner ausfallen. Auch die Skulpturen, unter denen Maria Magdalena immer eine besondere Rolle einnimmt, zeigen die Erzählfreude, die auch den Betrachter beim Anblick dieser Heiligen überkommt.
„Gut und Böse“ wiederum, stellt noch einmal das dichotomische Weltbild des Mittelalters dar und auch die Versuchungen, seit dem oft dargestellten „Sündenfall“ – hier gibt es Adams und Evas, die urdeutsch sind – vom einen ins andere zu geraten. Wenn die sechste Station dann „Hans Baldung, gen. Grien“ heißt, verweist das darauf, daß dieser Maler in Freiburg zu Hause war, in der dortigen Kirche seinen Hauptaltar schuf und aus Freiburg und seinen Museen nicht wegzudenken ist. Aber er war auch schon bei „Gut und Böse“ mit dem Holzschnitt „Die zehn Gebote“ und den „Die sieben Hauptsünden“ beteiligt. Nun aber ist vom Glasfenster über die Heiligendarstellungen bis zum Schmerzensmann und den Marien alles vorhanden, was die Schätze aus Freiburg von diesem Meister bewahren – und weshalb man nach der Renovierung direkt nach Freiburg fahren sollte.
Was der Katalog nun über die Ausstellung hinaus bereithält, sind grundsätzliche Essays, die das Geschaute vertiefen. Ob man nun mit dem „Das Augustinermuseum in Freiburg. Geschichte und Konzeption“ anfängt oder aufhört, ist unerheblich. Tillmann von Stockhausen hat auf jeden Fall in seiner Darstellung auch das jeweilige Klima eingefangen, das zu Kunstkäufen führte, wobei die geschichtlichen Details überraschen, daß zum Beispiel „Die Gründung von S. Maria Maggiore in Rom“, das sogenannte „Schneewunder“ des Aschaffenburger Matthias Grünewald Altars, den Freiburgern geschenkt wurden.
Michael Philipp, der auch die Ausstellung eingerichtet hat und den gesamten Katalogtext der in Hamburg ausgestellten Stücke verfaßt hat, bringt in „Das Bild des Glaubens. Kunst und Religion im späten Mittealter“ die Veränderungen für das Bildgedächtnis, die aufgrund theologischer Rechtfertigungen eintraten. Ein Beispiel: Thomas von Aquin war es, der im 13. Jahrhundert massiv die Menschengestalt Jesu thematisierte. Jetzt war sein Abbild noch wesentlicher im Gaubensvollzug geworden als ehedem und führten direkt zur Darstellung des Leidens im Schmerzensmann etc. Das alles sind Vorformen der devotio moderna, die dann endgültig die Bilder zur privaten Andacht vorsahen, wobei es dabei blieb, daß das Bild selbst nie Gegenstand der Anbetung war, sondern nur Mittel.
Wolfgang Christian Schneider schreibt über den Aspekt der Religiosität im Mittelalter als „Gabe und Anheimgabe oder qualvolle Vereinzelung“ dann noch spezieller. Es geht um Himmel und Hölle, vor allem um das Fegefeuer, das im Hochmittelalter theologisch ausentwickelt wurde. Dabei geht es darum, daß nicht mehr nur der Dualismus des „entweder-oder“ bestehen bleibt, sondern ein Mittleres, „eine Mittelinstanz“ den Gläubigen dazu bringen kann, durch eigene Anstrengungen – und das heißt Buße im Fegefeuer wie auf Erden – als Perspektive den Himmel zu erlangen. Wir finden diese Ausführungen deshalb so wichtig, weil sie einem die Bilder und die Skulpturen deuten helfen.
„Zwiesprache mit Dürer. Hans Baldungs Malerei und Graphik als imaginäres Künstlergespräch am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit“ überschreibt Bodo Brinkmann seinen Beitrag, der darauf eingeht, daß Grien einer ist, der aus dem Spätmittelalter kommt, aber in die von Humanismus und Renaissance geprägte Neuzeit führt. Das gilt in gleichem Maße seinen Sujets wie seinen Malweisen. Hans Baldung ist es zudem, der noch einmal in der Manier der spätmittelalterlichen Meister und Werkstattbetriebe Gesamtaufträge abdeckt, von den Glasfenstern, über die Altäre zu Skulpturen und Einzelbildern. Er ist aber auch schon derjenige, der Aktdarstellung zur Mode macht, Allegorien malt, die Antike in der Mythologie wiedererstehen läßt und auch in seinem graphischen Werk wie auch der Malerei alchemistische und astrologische Anverwandlungen schafft. In welchem Maß er für die Zukunft formprägend war und doch auf die Vergangenheit sich bezieht, zeigt sein Kupferstich „Der behexte Stallknecht“ von 1544/45. Ein herrliches Buch, dessen Erwerb einem auch dann glücklich macht, wenn man nicht Nach Hamburg kam und Freiburg für einennoch in weiter Ferne liegt.
Ausstellung: Die Ausstellung in Hamburg ging bis zum 10.01.2010.
Katalog: Zwischen Himmel und Hölle. Kunst des Mittelalters von der Gotik bis Baldung Grien, hrsg. von Michael Philipp, Hirmer Verlag, München 2009