Liu Xiaobo hatte das chinesische Menschenrechtsmanifest ’Charta 08` mitverfaßt. Das Urteil des Ersten Mittleren Volksgerichtshofs nimmt darauf Bezug und hält ihn der „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“ schuldig. Gerade in der inkriminierten Charta hatte Liu Xiaobo vor Jahresfrist genau die Abschaffung dieser Anklagemöglichkeit gefordert, weil ’Untergrabung der Staatsgewalt` ein Gummiparagraph ist, der von der agierenden Macht jeweils mit Inhalt gefüllt werden kann. Zusätzlich zu dieser Schuld habe sich Liu Xiaobo noch sechs Internetartikel in den Jahren 2005 bis 2007 zu Schulde kommen lassen. Das muß man sich mal vorstellen, daß in China, das jetzt gerade wirtschaftlich Japan überholt, Zustände herrschen wie im alten Rom – oder noch schlimmer. Der Willkür ist Tür und Tor geöffnet und natürlich soll diese drastische Strafe von elf Jahren auch eine abschreckende Wirkung auf die Bevölkerung haben, die offiziellen Worte von Demokratisierung und angeblich vorhandener freier Meinungsäußerung auf keinen Fall ernst zu nehmen.
Denn das Entsetzen in China selbst über die Höhe des Urteils ist Ausdruck, daß dieses Gerichtsmaß als Verschärfung der bisherigen Staatskritikerprozesse gilt, die auch schon happig waren. Das Besondere an der Situation ist auch, daß Liu Xiaobo seinen Kopf alleine für die „Charta 2008“ hinhalten muß, denn er ist bei 303 Erstunterzeichnern alleine angeklagt, wobei bisher im Internet rund 10 000 Weitere die Charta unterschrieben habe, was für China Mut bedeutet und ein Erfolg ist. So könnte Liu Xiaobo froh sein, wie wichtig er genommen wird, denn der Aufruf, die Menschenrechte auch in China einzuhalten und eine Demokratisierung in Gang zu setzen, macht den derzeitigen Machthabern solche Angst, daß sie gegen den von ihnen erkorenen Anführer wohl ein Exempel statuieren, damit Ruhe im Karton, sprich China herrsche. So etwas war schon in vergangenen Zeiten ein schwieriges Unterfangen. In Zeiten des Aufbrechens Chinas aus selbstverschuldeter Unmündigkeit und einer Plattform über das Internetz wird sich zeigen, daß China diese Ruhe mit derartigen Methoden nicht mehr garantieren kann. Aber die chinesischen Politiker und ihre nachfolgenden Marionetten versuchen es.
Was nutzen da öffentliche Worte von Politikern des Westens? Vor allem, wenn sie zum Beispiel nicht rechtzeitig zur Eröffnung der Buchmesse im Beisein der chinesischen Verantwortlichen fallen. Das muß man auch und vor allem besonders Kanzlerin Angela Merkel sagen. So sehr man ihr zustimmen kann: „Ich bedauere, daß die chinesische Regierung trotz großer Fortschritte in andren Bereichen die Meinungs- und Pressefreiheit immer noch massiv einschränkt“, so fragt man sich doch, was ein nachträgliches Bedauern für eine Wirkung haben soll. Das gilt auch für Außenminister Westerwelle, der höflichst die Chinesen an ihre Aufgabe der Öffnung und Modernisierung ihrer Gesellschaft erinnerte und darauf verwies, daß auch China den internationalen Pakt für Menschenrechte unterzeichnet habe. Das amerikanische Außenministerium forderte Peking zur Tat heraus, nämlich den Dissidenten Liu Xiaobo sofort freizulassen, was das dortige Außenministerium sich als ’grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas` verbat.
Leider ist offensichtlich, daß sich chinesische Gerichte nicht derartig gegen die Einmischung chinesischer Politik in die inneren Angelegenheiten von chinesischen Gerichten zur Wehr setzen. Denn von einem gehen alle aus, sowohl die Anhänger des Urteils in China selbst, wie auch die Widerständler dort und in aller Welt: Das Gericht hat nur etwas durchgeführt, was von den höchsten Stellen abgesegnet war. Dieses Urteil erinnert an die Verbannungsurteile nach Sibirien oder den Gulag oder auch Guantanamo. In diese menschenvernichtende Strafverfolgung reiht sich China erneut ein. Gegen diese hatte Liu Xiaobo die nicht vorhandene Rechtsstaatlichkeit für China eingefordert. Und hat sie von der politischen Führung an sich selber erneut vorgeführt erhalten.
Was hier schwer zu verstehen ist, das sind die in China vorhandenen Grundrechte, wie freie Meinungsäußerung, die aber eben nicht angewandt werden dürfen, sondern durch wolkige Bestimmungen wie „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“ mehr als konterkariert werden. Das Bedenkliche ist ja gerade, daß nicht irgendwer hier zu elf Jahren Haft verurteilt worden ist – das wäre für den betroffenen Menschen genauso schwer und verurteilungswürdig -, sondern einer aus dem Rampenlicht der protestierenden Öffentlichkeit, der auch im Ausland alle Sympathien erfährt und auch im Inland eine hervorragende Rolle spielt und Menschen bindet. Ein Angsturteil also, das den Oberen sagt, daß hier etwas aus dem Ruder läuft und man Einhalt gebieten muß? Wie lächerlich dieses Imponiergehabe ist, zeigt allein der Ansehungsverlust, den China erleidet und den sie zu einer umgekehrten Aktion hätten gestalten können, hätte Liu Xiaobo beispielsweise eine sehr niedrige oder gar keine Strafe bekommen.
Wie hätte es in und außerhalb Chinas Beifallsorgien gegeben, für den Fortschritt. Stattdessen nun das härteste Urteil, das man für diesen Tatbestand je aussprach. Und genau das bezeichnet man als Angsturteil, weil es sich nur vermittelt gegen Liu Xiaobo richtet, eigentlich aber seine Unterstützer mitmeint, die jetzt froh sein sollen, daß sie selber nicht dran sind. Zudem muß auch darauf hingewiesen werden, daß Liu nur die Spitze des Eisbergs darstellt. Denn allein 2008 sind 1407 Verfahren gegen diesen lächerlichen Abschreckungsparagraphen durchgeführt worden und die Menschen reihenweise verurteilt worden, zu geringeren Strafen, aber immerhin. Widerspruch, offene Worte sind in China nicht erlaubt. Aber die Internetblogger reagieren und sehen diese Weihnachten als die Geburt eines Mandelas Chinas.