Uns interessierte am meisten die Pionierin des tschechischen Surrealismus, Toyen, die von Anfang an sich über ihr Künstlertum als dieser Künstlerbewegung zugehörig definierte und so eigenartig magische, wie psychoanalytische Bilderfindungen auf die Leinwand zaubert, oft verschwimmend mit der Umgebung, wenn zum Beispiel Kleider ohne Frauen doch einen Körper evozieren, auf dem dann auch noch ein Kopf sitzt. Manchmal aber ist sie auch komisch, zeigt einen subtilen Witz und auf jeden Fall auf allen vorhandenen Fotografien ein starkes Selbstbewußtsein, das aus schwarz umrandeten Augen hervorblitzt oder im Männerdreß mit Baskenmütze deutlich wird. Die Liebe der als Marie Cerminova in Prag Geborenen und sich geschlechtslos Toyen nennenden Künstlerin zu Jindrich Styrsky hat beiden eine intensive Lebens- und Arbeitsbeziehung beschert und zur Surrealistengründung in Prag geführt. Er starb schon 1942. Und die sich als Marxistin bezeichnende Toyen mochte den Staatsozialismus der neu gegründeten Tschechoslowakei nicht und als sie 1947 zur Vorbereitung einer Ausstellung zusammen mit Gefährten Jindrich Heisler nach Paris eingeladen war, blieb sie dort und schuf 1966 ihren „Paravent“.
Meret Oppenheim, deren Pelztasse nicht nur sie als Symbol des Surrealen verfolgte, wird in diesem Künstlerinnenband genauso Raum gegeben wie den beiden Gespusis von Max Ernst, der Mexikanerin Leonora Carrington und der US-Amerikanerin Dorothea Tanning als Ehefrau Nummer 4, für die er Ehefrau Nr. 3, Peggy Guggenheim verläßt. Beides tolle Künstlerinnen, wobei Leonora Carrington auch das Schreiben favorisiert und in diesem Sinne die ursächlich gemeinsame Wurzel des Surrealismus aus Dichtung, Film und Malerei besonders gut vertritt. Auch Leonor Fini, in Argentinien mit italienisch-deutsch-österreichischen Wurzeln geboren, hatte der leicht martialisch angehauchten Männermacht der surrealistischen Bewegung, wie sie Breton verkörperte, eine kapriziöse weibliche Note entgegengesetzt. Sie liebte, wen sie wollte, ohne den Surrealistenpapst um Erlaubnis zu fragen oder sich gar endgültig auf ein Geschlecht festzulegen und sie malte, was ihr in den Sinn kam.
Endlich kann man auch wieder etwas von Unica Zürn erfahren, die hier als „Grenzgängerin“ vorgestellt wird. Sie zog 1953 in Paris mit Hans Beller zusammen. Liebe war es, die sie aus Berlin nach Paris zog, wo Bellmer nach seinem notwendig gewordenem Exil vor den Nazis seit 1938 am Leben bleiben konnte. Und die private Liebesgeschichte hat gleich einen surrealistischen Beigeschmack, denn es stellte sich heraus, daß die gemalten oder skulpierten Puppen, die Hans Bellmers Markenzeichen wurden, seit jeher Unica Zürns Gesicht trugen, auch als sich beide noch nicht kannten. So eine Geschichte, so einen durch das Ende vorherbestimmten Anfang und Zufall, liebten die Surrealisten.
Und neu war das nun ja gar nicht, daß männliche Künstler Frauenverehrerinnen waren, sie anbeteten, ihnen Gedichte schrieben, sie zu Modellelen machten. Was aber neu war, war dann doch das eigenständige Künstlertum dieser den männlichen Künstlern verbundenen Frauen. Aber das ist die Sicht aus unseren Tagen, wo sich die Qualitäten der Malerei und Fotografien von Miller, Maar, Oppenheim, Fini, Carrington, Tanning, Sage, Zürn und Toyen durchgesetzt haben. Damals waren diese Künstlerinnen in der Wahrnehmung der Umwelt und auch der ihrer Surrealistenkollegen doch stärker als ihre Begleiterinnen angesehen, reduziert auf ihre Funktion als deren Musen gar.
Karoline Hille gelingt es, diesen Frauen ihr eigenes Gesicht zu geben und über die Kunst hinaus sie auch als Personen der Zeitgeschichte zu porträtieren. Nebenbei ist daraus auch ein kleines Geschichtsbuch geworden, denn aus dem Leben von Menschen zwischen 1914 und 1969 Erlebnisse und Erfahrungen wiederzugeben, stellt unweigerlich das durch zwei Weltkriege zerrissene Europa dar. Die Kunst des Surrealismus als internationaler Ausdruck ist nun das Gegenteil von Krieg und Zerstörung. Und Frauen sind es in der Regel auch. Dieses Buch übermittelt also so nebenbei sehr viel mehr als sein Thema „Künstlerinnen im Surrealismus“ andeutet. Auch, was eine Frau überhaupt sei. Denn es tat sich was im 20. Jahrhundert. Das greift Karoline Hille mit „Spiele der Frauen“ auf, wenn sie beispielsweise über Hedwig Dohm schreibt, diese so wunderschöne Frauenrechtlerin und streitbare Dame, auch Großmutter von Katia Pringsheim, der späteren Frau Thomas Mann. Hedwig Dohm hatte gesellschaftspolitisch korrekt die Eroberung bisher männlicher Territorien durch Frauen wahrgenommen und geschrieben: „Wir, die junge Generation, wir stehen alle noch wie auf einer Brücke, die Brücke ruht nicht auf festgefügten Pfeilern, darum schwankt sie, und sie hat auch kein Geländer, und wir schwanken mit, und wer nicht sicher auftritt und nicht schwindelfrei ist, stürzt leicht ab”¦Wir haben noch die Nerven der alten Generation und die Intelligenz und den Willen der neuen”¦Mit einem Wort: wir sind Übergangsgeschöpfe.“ (Seite 9)
Karoline Hille bezieht diese Aussage flugs auf „Die schwankende Frau“, die Max Ernst 1923 malte, als er seine Frau mitsamt Kind verlassen hatte und Gala liebte, die Ehefrau des Paul Eluard, die dann Salvador Dalí glücklich machte. Die surrealistischen Künstlerinnen gaben noch ihr Talent hinzu, um aus den Übergangsgeschöpfen erstmals eine breite Bewegung von weiblichen Kunstschaffenden zu machen. Wie gesagt, weder vor dem Surrealismus noch danach hat es je so viele eigenständigen Frauen als Künstlerinnen gegeben.
Fehlt noch Frida Kahlo aus Mexiko. Die hätte der Pappapapst der Surrealisten, André Breton, gerne seiner internationalen Bewegung ans Revers geheftet. Denn in den Dreißiger und Vierziger Jahren war sie weltberühmt, danach verloschen und erst wieder seit den Achtzigern bekannt und heute berühmt. Sie, die auch Ehefrau des bekanntesten mexikanischen Muralisten, Diego Rivera war, wurde von Breton nach Paris eingeladen. Sie folgte der Einladung, aber sie mochte dezidiert keine Surrealistin sein und nicht als solche bezeichnet werden. Denn, so sagte sie wörtlich, sie male nichts Surreales, sondern ganz real ihre Gefühle und Schmerzen in die Bilder hinein. Deshalb fehlt sie hier zu Recht, auch wenn es Breton geschmerzt hätte.
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Surrealistenausstellung in Ludwigshafen bis 14. Februar 2010
Zur Ausstellung gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm
Katalog: Gegen jede Vernunft. Surrealismus Paris-Prag, hrsg. von Reinhard Spieler und Barbara Auer, Belser Verlag Stuttgart 2009, in dem grundlegende Essays zu den historischen Abschnitten folgen, aber auch die künstlerischen Prinzipien wie Collagen u.a. geklärt werden. Das Wichtigste bleiben die Bilder, die einen guten Abdruck erfahren und durch das Querblätternkönnen einfach noch einmal einen ganz anderen Eindruck vom Zusammenhalt der surrealistischen Bewegung erzeugen.
Eine weitere Literaturhilfe ist Karoline Hille, Spiele der Frauen. Künstlerinnen im Surrealismus, Belser Verlag 2009, was hier bewiesen wurde.
Tip: die Ausstellung ist viel gehaltvoller, als man vom Umfang her zuerst annimmt. Eine Pause tut gut. Erst recht, wenn man sich auch die Fotografien im Kunstverein anschaut, was man tun sollte, wir aber nicht schafften. Gegenüber vom Museum um die Ecke im Turm 33, einer Cafedrale in der Maxstraße 33, haben Sie die seltene Gelegenheit einen Kaffee, eine Schokolade oder sonstwas in einer aufgelassenen Kirche zu sich zu nehmen, bei einem herrlichen weiten Blick über die Stadtlandschaft. Wirklich etwas Besonderes. Wie die Ausstellung auch.
Internet: www.surrealismus-ludwigshafen.de