Salomon Korn ist einfach ein kluger Kopf und ein gewiefter Redner dazu. Finden zumindest wir. Er hatte direkt nach der ministerpräsidialen Ausformulierung des formalen und inhaltlichen Schlamassel ganz konkret mit Goethe („Nur die Lumpen sind bescheiden“) und Antipoden Heine („Er lobt sich so stark, daß die Räucherkerzen im Preis steigen“) das Eigenlob als Möglichkeit einer Dankesrede angesprochen, kam dann über Gleichnisse sehr schnell zu seinem Grundsatz, daß nicht ’recht zu behalten` entscheidend sei, sondern klug zu handeln, und stellte dem Auditorium solche wunderbare Fragen, wie, ob der Gott der Juden, der Christen und der Muslime derselbe Gott sei, was diese nicht beantworten mußten, weil es stellvertretend die von Korn zitierte Anekdote tat, dernach Antwort I lautet: „Wenn es Gott gibt, ist es ein Gott. Wenn es keinen Gott gibt, sind es drei.“, was einen schon lange nachdenken läßt, was Antwort II für den einen Gott fortsetzt: „derselbe schon, aber nicht der gleiche“. Mit der Gnade des Zweifels und daß Zweifel und Liebe die Welt auflockern wie Maulwürfe die Erde, schloß Salomon Korn seine salomonische Rede.
Zuvor hatte er so wichtige Sachverhalte angesprochen, wie „die Trennung von Staat und Religion, von Ratio und Glauben als Errungenschaft der Aufklärung“ und der Notwendigkeit und dem Fähigwerden, sich mit den Strömungen der eigenen Religion kritisch auseinanderzusetzen. Denn erst dann, wenn er die Fallstricke der eigenen Religion ausgelotet hat, kann sich jemand in den interkulturellen Dialog wagen, der zudem als Voraussetzung zusätzlich eine akzeptable Toleranzschwelle brauche. „Debatten über Glaubensinhalte bewegen sich oft unversehens auf einer Ebene paradoxer Kommunikation, weil Denken auf der Ebene nachprüfbarer Schlußfolgerungen keine Entsprechung auf der des Glaubens hat.“
Kardinal Lehmann sprach zur Sache. Nämlich zum interreligiösen Dialog. Und das in zehn recht formalen Thesen, deren erste die wichtigste blieb: „Die Phänomene der Mobilität, der Migration, des Tourismus und des interkulturellen Austausches verlangen heute dringend nach einem Dialog der Religionen, der freilich aus vielen Gründen und in eigenen Formen auch früher schon praktiziert wurde. Insofern gehört dieser Dialog zu den dringenden Voraussetzungen und Strukturen des gesellschaftlichen Zusammenlebens heute.“ Die Rede fiel durch das völlige Schweigen zum eigentlichen Konflikt und seiner eigenen Rolle dabei auf. Ein bedenklicher Vorgang. Dies machte Navid Kermani wett, der eine sehr persönliche, am Geschehen um die Preisvergabe orientierte Ansprache hielt und gleichzeitig als einziger die gewissermaßen strukturellen und substantiellen Probleme der durch das Kuratorium vorgenommenen Preisverleihung ansprach, aber auch das Funktionieren der Öffentlichkeit in Deutschland betonte, das vorgeführt habe, „wie eine politische Entscheidung aufgrund einer öffentlichen Debatte korrigiert werden kann“. Er war letztendlich derjenige, der versöhnlich und integrativ auftrat und der Debatte Demokratieverständnis und Friedfertigkeit attestierte, sie allerdings neben Salomon Korn auch als einziger vorgelebt hatte. Durch Reden, während Korn dies durch Schweigen vermochte. Aber auch Schweigen kann sprechen.
Peter Steinacker zeigte sich bemüht und gab eine Dankesadresse ab an die „Lehrerinnen und Lehrer des Lebens, des Denkens und des Glaubens, die in mir den Sinn weckten und Sprache dafür gaben, die kontingente Wirklichkeit nun meines eigenen Lebens, seine Abgründe und –Schönheiten, im Zusammenhang mit der kulturellen Entwicklung unseres Landes und meines Glaubens nicht nur zu verstehen, sondern ihr auch in Freiheit, eine Gestalt geben zu können. Und zu diesen Lehrerinnen und Lehrern des Lebens gehören Juden, Christen, Muslime und Atheisten.“ Zu seiner Rolle im gewesenen Konflikt kam er über „Die Akzeptanz des mir Fremden als Fremdes und nicht seine Assimilation in meine Vorstellung, also das respektvolle Unangetastetlassen dessen, was dem anderen heilig ist, bildet die Basis einer Beziehung, die den anderen Glauben weder bejaht, noch ihm einfach indifferent gegenübersteht, also wirklich tolerant ist.“ Gerade dies habe er im Artikel von Kermani vermißt. „Ich habe diesen Respekt deshalb eingeklagt, weil zentrale Partien des Artikels in der NZZ mich verletzt haben. Nach dem klärenden, respekt- und verständnisvollen Gespräch von uns vier Preisträgern sind diese Probleme vollkommen ausgeräumt.“
Leider sprach Peter Steinacker nicht von einem Problem des Abends, das den meisten gar nicht aufgefallen war, zumindest nicht auf der Bühne bei den Ansprachen, was aber Thema bei einigen beim nachfolgenden Empfang war: hier wurden vier Männer von einem Mann als Vorsitzendem des Kuratoriums in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident ausgezeichnet. Eine politische Wahlfunktion kann das nächste mal auch eine Frau ans Ruder bringen, das gilt für den Ministerpräsidenten so wie für jüdische Gemeinden und wie die letzte Wahl zeigt, in Person der Margot Käßmann auch für die evangelische Kirche, wo sie nicht nur Landesbischöfin ist, sondern nun Vorsitzende des Rates der EKD. Für diesen Hessischen Kulturpreis ist sie allerdings zu spät geboren und mit ihr werden alle Frauen bestraft, die bei diesen Preisvorgaben dieses Kuratoriums generell als Geschlecht keine Chance hatten, wobei Frauen von der katholischen Kirche diese auch nicht erwartet hätten. Aber es ist einfach so, daß die Vorgabe des Ancienitätsprinzips und der möglichst hohen klerikalen Anbindung bei den christlichen Kirchen hier Frauen keine Chancen ließen und von daher ausgerechnet die Position der Muslime die einzige Chance gewesen wäre, auch eine Frau zu ehren.
Diesen Tort oder gar inmitten einer komplexen Situation auch das noch anzusprechen, hätten wir Navid Kermani nicht zumuten wollen. Dabei ist gerade der, der von sich sagt, daß er nicht für die Muslime sprechen kann, nur für sich selber. Daß hätte auch eine Muslimin tun können. Allerdings ist er ja nun nicht aufgrund eines Amtes oder einer gewählten Funktion nominiert worden, sondern aufgrund seiner schriftstellerischen und wissenschaftlichen Werke. Eine komplexe Situation, die wohlbegründet Frauennominierungen verhütet hat. Von Peter Steinacker allerdings hätten wir erwartet, daß ihm zumindest der Tatbestand aufgefallen wäre, den er dann zumindest bedauernd hätte äußern können. Darauf sind wir nicht nur wegen der Situation seiner Kirche gekommen, sondern auch dadurch, daß er formvollendet ins seiner Ansprache die weiblichen Teile der Menschheit mitformuliert hatte – als einziger übrigens und für uns wieder einmal der Anlaß, das für unser eigenes Schreiben und Sprechen uns auch vorzunehmen.
Fortsetzung folgt.