Die Tatwaffe trägt Till (Florian Bartholomäi) immer noch bei sich. Ein Feuerzeug. Sein Freund Karsten (Gerdy Zint) und er haben damit einen Menschen angezündet. Kleingeld und Bier wollten sie von dem Obdachlosen. Ein so geringfügiges Motiv, dass es keines mehr ist. Fast malerisch sind die ersten Aufnahmen der Kleinstadt. Wald und Fluss, die Sonne geht hinter der Altstadt auf. Dann sieht man Plattenbauten und billige Geschäfte. Zwischen Spießigkeit und Tristesse ist “Weltstadt” das letzte, was Beeskow ist. Junge Menschen finden keine Ausbildung, die älteren werden arbeitslos. Imbissbudenbesitzer Heinrich (Hendrick Arnst) muss schließen. Till wird nach der Lehre nicht übernommen, seine Freundin Steffi (Karoline Schuch) findet keine Ausbildung. Jeder andere Ort scheint ein besserer. “Scheißegal, wo das ist. Auf jeden Fall besser als hier.”, sagt Steffis Freundin zu einer Lehre außerhalb. Irgendwann schlägt die Frustration und Ziellosigkeit der Jugendlichen Funken. Erst führen sie zu Strohfeuern, als Till seinen ehemaligen Ausbilder angreift. Dann brennt ein Mensch. Ausgerechnet Steffi löscht das Feuer, ohne zu ahnen, dass ihr Freund es gelegt hat. Die Aggressionen schwelen weiter in anderen, zukünftigen Täter. Bis wieder einer angezündet wird, vor den Zug gestoßen, zum Pflegefall geschlagen weil er geguckt hat oder „gestreßt“ oder nur “so einer” war. Ein Obdachloser, ein Farbiger, irgendwer.
Die Ereignisse in “Weltstadt” machen fassungslos. Unfassbar sind sie nicht. Zu oft ist ähnliches geschehen. Mit “Boy A” und “Sieben Tage Sonntag” beschäftigten sich bereits zwei vielschichtige Dramen mit dem Thema jugendlicher Gewalttäter. Inszenatorisch und darstellerisch bleibt “Weltstadt” hinter den filmischen Vorgängern zurück. Trotz intensiver Momente entstehen keine komplexen Charakterstudien. “Es gibt ein Prinzip des Bösen. Das lässt sich nicht wegtherapieren.”, tönt es im Film aus dem Radio. Schon geil, wenn einer weint und du lachst, sagt Karsten. Richtig fröhlich ist er nie, traurig auch nicht. Einfühlungsvermögen und Mitleid besitzt er nicht. Karsten enthüllt in diesen Äußerungen deutlich soziopathische Züge. Ob die Radiostimme konträr oder bestätigend zu einer psychologischen Verbrechensursache stehen soll, lässt der Film offen. Sogar Till verletzt Karsten aus reinem Sadismus. Warum der Jüngere dennoch zu ihm hält, erklärt “Weltstadt” nicht. Zu Anfang sieht man den später misshandelten Obdachlosen am Flussufer Klavier spielen. Nicht der einzige Misston in der unsicheren Gewaltstudie. Und wer hat am Ende das Klavier ins Wasser geworfen? Die ungeschönten Kameraaufnahmen schwanken zwischen Authentizität und Amateurhaftigkeit. Ein filmisches Mahnzeichen ist “Weltstadt” nicht, aber ein wichtiger Fingerzeig auf das Thema.
Noch die kaltblütiger als die Täter war die Reaktion der Kleinstadtbewohner auf die Tat. “Nur ein Obdachloser. Gut, dass der weg ist, kostet nur Steuergelder.” Regisseur Christian Klandt nennt die in ihrer Gleichgültigkeit erschreckenden Reaktionen der Anwohner als eine der Hauptmotivationen, seinen Debütfilm zu drehen. Ausgerechnet dieses bedeutsame Motiv der sich durch das gesamte soziale Umfeld erstreckenden Gefühllosigkeit spart “Weltstadt” aus. Stattdessen kontrastiert Klandt die gegenseitige Anteilnahme der Bewohner der “Weltstadt Beeskow“, wie sein ohne festes Drehbuch entstandener Debütfilm ursprünglich heißen sollte, mit der Brutalität der Täter. Die Figurenkonstellation ähnelt der von “Boy A” und “Sieben Tage Sonntag”. Auch darin gab es einen aggressiveren Täter und einen ruhigen Täter, eine sensiblere Freundin und überforderte Erwachsene. Das Gefühl der zwanghaften Wiederholung des Grauens verstärkt diese Vertrautheit. Gleichzeitig stumpft sie ab. Nur wieder ein Opfer. “Weltstadt” war Beeskow nur kurz. Inzwischen gab es längst andere.
Titel: Weltstadt
Deutschland 2008
Genre: Drama
Start: 5. November
Regie und Drehbuch: Christian Klandt
Darsteller: Florian Bartholomäi, Gerdy Zint, Karoline Schuch, Hendrik Arnst, Justus Carriere
109 min.
Verleih: X Filme
www.x-verleih.de