Berlin, Deutschland (Weltexpress). Die brennende Sonne versenkte das Fahrerfeld bei den Deutschen Meisterschaften der Radprofis am Sonntag auf dem Sachsenring. Schon nach der ersten Kraxelei über den Badberg trieften die Trikots. Am Ende rollten nur 15 von 190 gestarteten Radlern keuchend und schweißnass nach 180,1 Kilometern über den Zielstrich. „Ich habe elf Flaschen Wasser getrunken“, stöhnte der gebürtige Zschopauer Markus Burghardt nach dem Zielspurt. An seinem 36. Geburtstag hätte er sich bestimmt auch andere Getränke als Wasser vorstellen können. Als großer King am Ring entpuppte sich der Berliner Maximilian Schachmann. Nach einem großen Frühjahr mit Etappensiegen bei der Kalifornien- und Baskenland-Rundfahrt triumphierte er bei der Meisterjagd vor seinen Mannschaftskameraden vom Team Bora-hansgrohe Markus Burghardt und Andreas Schillinger. Auf dem Siegerpodest schwitzte und strahlte der 25 Jahre alte Berliner wie ein beschenkter Junge: „Ich freue mich sehr, dass ich am kommenden Wochenende zu meiner ersten Tour de France im Meistertrikot starten darf.“
Die 114 m hohen Müggelberge vor der Köpenicker Haustür oder der Semmelberg, 150 m hoch, in Bad Freienwalde türmen sich vor Maximilian Schachmann als die „Höhenzüge“ seiner heimatlichen Trainingstrecken auf. Auch als Flachland-Tiroler kann man sich als Kletterkünstler im Peloton der Radprofis in Szene setzten, wie Schachmann beweist. Der Berliner sprintete vor Jahresfrist zur Einstimmung auf den Giro bereits im März zu seinen ersten Profisieg in Torrefarrera auf der 6. Etappe der Katalonien-Tour. Acht Wochen später holte er zum großen Schlag aus. Ausgerechnet bei der Bergankunft an der Skistation im Alpen-Ort Prato Nevoso ließ er die Konkurrenz 500 m vor dem Ziel stehen und gewann in einem Soloritt die 18. Etappe des 101. Giro d´Italia vor dem starken Spanier Ruben Plaza. „Es ist großartig bei diesem wirklich harten Giro auf dem Podest ganz oben zu stehen“, strahlte damals der Radprofi.
„O sole mio“ scheint den deutschen Radlern ohnehin zu liegen. Immerhin durften deutschen Radprofis schon 36 Siege beim Giro feiern. Mit den beiden Brandenburger Danilo Hondo und Roger Kluge konnte sich nach Jens Voigt (TSC), Jan Ullrich (SC Berlin) mit Maximilian 2018 erstmals ein gebürtiger Berliner in die Siegerliste eintragen. Lange hechelt Max über die Straßen zwischen seiner Wohnung in Berlin-Köpenick und Bad Freienwalde oder Bad Saarow. „Wenn Theo Reinhardt, Silvio Herklotz, Roger Kluge oder Maximilian Beyer zu Hause waren, trainieren wir auch gemeinsam“, so Schachmann. Inzwischen zog er mit seiner Freundin in die Schweiz und trainierte dort fleißig in den Bergen. „Eine gute Form und wenig Gewicht kann in den Bergen viel helfen“, meint der der 1,83 m große und nur 70 kg schwere Straßenbolzer mit Blick auf die bevorstehende 106. Tour de France. Natürlich kann ein Flachländer im Kraftraum viel für seine Kletterqualitäten schwitzen. „Unser Sportlicher Leiter sorgt jedoch für Abwechslung. Im Winter halten wir uns meist im Süden Spaniens in den Bergen zum Training auf“, lüftet der Berliner ein Trainingsgeheimnis.
Mit elf Jahren fing der kleine Maximilian Feuer für den Radsport. Unweit der elterlichen Wohnung startete Michael Lemke vom Marzahner RC jedes Jahr einen Renntag auf der Hansa-Straße zwischen den Bezirken Weißensee und Hohenschönhausen. „Nach dem Rennen, ich glaube es war 2005, fragte mich Max, ob er bei uns trainieren kann. Natürlich konnte er“, sagte Lemke. Das Talent des Jungen wurde schnell erkannt. „Um die nächste Leistungsstufe zu erreichen, klopfte ich beim SC Berlin an“, erinnert sich der Rennfahrer. Bei Hans Scheibner, einst selbst DDR-Meister, schien der Junge gut aufgehoben. Von deutschen Juniorenmeisterschaften kam Max meist mit Medaillen zurück. „Im Zeitfahren stach Maximilian alle aus“, berichtet Scheibner (78). Nach einem schweren Sturz musste sich der 17-Jährige mit viel Fleiß und Schmerzen seine alte Form wieder erarbeiten. Beim Wechsel von den Junioren zu den Männern stand Schachmann vor der Frage: Was tun? Der SC Berlin versteht sich als Nachwuchsschmiede, danach müssen die Sportler zu anderen Vereinen wechseln. Maximilian absolvierte sein Abi an einem ganz normalen Berliner Gymnasium mit 1,1.
Dann zog er mit folgendem Vorsatz nach Erfurt zum Thüringer Energie-Team: „Wenn ich bis 23 keinen Profivertrag in der Tasche habe, melde ich mich zum Studium an.“ Erfurt? „Das war der richtige Schritt. Ich konnte mich gut entwickeln.“ Mit Jörg Werner fand er einen erfahrenen Trainer und Manager. “Bei ihm bin ich auch heute noch“, sagt er.
Nach vier Thüringer Jahren zog es den Profi zurück an die Spree. Neben dem Heimweh lockte vor allem der Rockzipfel von Josephine den Radler in seine Heimatstadt: „Meine Freundin studiert an der THW in Karlshorst und ist damit ortsgebunden.“
Wenn es die Zeit erlaubte, drehte der Zeitfahr-Spezialist auch einmal eine Trainingsrunde zum SC Berlin: „Eine Plauderei mit meinem alten Trainer Hans Scheibner lohnt sich immer. Außerdem ist es schon erstaunlich, wie sich der SC Berlin entwickelt hat.“ Im Moment trainieren dort 92 Kinder und Jugendliche zwischen neun und 19 Jahren.
Inzwischen finden allerdings die Schachmann-Besuche wegen der langen Profisaison meist im späten Herbst oder Winter statt, wenn Maximilian seine Eltern, die früheren Trainer und alten Kumpel besucht.