Ihre Wurzeln haben die schmalen, handlichen Bände am Zeitungsstand: im 1994 von Robert Williams gegründete „Juxtapoz Art & Culture Magazine“, dem auflagenstärksten, einflussreichsten Kunstmagazin des amerikanischen Marktes. Wer “In the Land of Retinal Delights” eindringt, betritt ein Reich visueller Vielfalt, aber kein Neuland. Lowbrow wirkt nicht mehr als der Faustschlag ins Gesicht des konformen Kunstmarktes, welchen die mit Boxhandschuhen ausgestatteten Kinder “Boxer Girl” und “Boxer Boy” (S. 77) von Bocca austeilen könnten. Das Juxtapoz Magazine trug dazu bei, Künstler wie Mark Ryden (S. 133), Gary Baseman (S. 166) oder Camille Rose Garcia (S. 54) zu bedeutenden Namen in der Kunstwelt zu machen. Die Präsentation in Buchform ist der letzte Schritt vom Underground an die Oberfläche, auf den nur noch die schwindelerregende Höhe des Highbrow folgt. Einige wie Van Arno (S. 150), der neben anderen Prominenten Madonna und deren Ex-Gatten Guy Ritchie porträtierte oder Ed Hardy (S. 157), dessen Zeichnungen als eigene Marke alles vom T-Shirt bis zur Kaffeetasse zieren, sind dort schon angekommen. Ob die Entwicklung das Ende des Lowbrow ist oder der Underground in der Etablierung als klassische Moderne seiner Erfüllung findet, ist abzuwarten. “Kunst, die als Instrument künstlerischer Revolution dienen muss, ist beschränkt durch den Zwang im Geiste ständiger Hoffnung auf einen Umsturz agieren zu müssen. Sogar die Große Revolte versklavt.”, nahm es Williams 1989 vorweg.
Reflektionen in einem goldenen Auge
"My paintings are not designed to entertain You, they are meant to trap You, to hold You before them while Yu try to rationalize what elements of the picture are making You stand there" (Robert Williams)
So konservativ einen Kanon aufzustellen ist man “In the Land of Retinal Delightes” nicht. Der Bildband fast die bedeutendsten Strömungen des Lowbrow zusammen. Bekannte und unbekannte Künstler erhalten den gleichen Spielraum, der meistens ein Bild beträgt. Es gibt Kitschiges, wie Margaret Keanes großäugiges “It might have been” (S. 59), Überflüssiges wie Thomas Woodruffs Kaufhausmalerei (S. 158) und albernes Charles Kraffts Teekanne, die höchstens biedere Tanten schockt (“Hitler Teapot”, S. 138). Besonders oft von manchen Kunstkritikern als Geschmacksverirrung denunzierte Kunstwerke atmen den Geist des Lowbrow, der sich bewusst von netter Accessoirehaftigkeit abkehrt. “Kunst ist nicht der Sklave der Dekoration. Heil dem Voyeur, dem einzigen ehrlichen Connaisseur!”, schreibt Williams in seinem einleitenden Essay. Auf einer Comiczeichnung verrät der Maler und Autor seine künstlerischen Einflüsse: Zirkusplakate, Girlie Magazine, Comics, Stummfilme und Tätowierungskunst. Es sind die entscheidenden Einflüsse “In the Land of Retinal Delights”.
Irving Normans maskengesichtiger Dante betrachtet voller Schrecken “The Palace” (Seite 49), einen speerbewehrten Betonklotz, an dessen Altar ein fetter Priester steht. Ist Gott abwesend oder ist dieser Priester Gott? ”The Palace” liegt nicht im Inferno, sondern, wie die Gestalt Beatrice ´ verrät, im Paradies. Mit unbarmherziger Beobachtungsgabe enthüllen die Künstler Angst und unterschwellige Gewalt in scheinbar harmlosen oder alltäglichen Szenen. Zornig blickte das halb entkleidetet Mädchen auf Anya Janssens Ölgemälde “Double Double” (S. 41) durch die es umschwebenden Seifenblasen. Ein chemisch-weißes Kuchenstück wird bei dem, was einem Treffen von Freunden ähnelt, einer dunkelhäutigen Frau angeboten. “Kleinigkeit” ließe sich der doppeldeutige Titel von F. Scott Hess “Piece of Cake” übersetzen. Helen Garber “The In-Laws” erzeugt mit giftig-grellen Farben ein Gefühl der Verderbnis zwischen dem älteren Paar, welches laut Bildtitel keines sein sollte. An Paul McCarthys “Fake Shit” ist nichts bemerkenswertes, außer dass die künstlichen Hundehaufen sehr echt aussehen. Anders bei Masami Terakoas “Sarah and Octopus” (S. 136), eine Neuinterpretation von Hokusais Holzschnitt “Frau und Tintenfisch”, oder Marion Pecks “Mr. Bunny” (S. 118). Ein rotäugiges Riesenalbinokaninchen beäugt sich über schlafendes Mädchen. Wenn es Alice ist, muss das Wunderland einem ihrer Alpträume entspringen.
Michael Hussar verritt “Hans Menling” (S. 128), eines seiner verstörenden Porträts mit geschwollenen Mündern und entzündeten Augen. Verbindendes Grundkonzept in “Dark Arts” ist keine spezielle Motiv- oder Themenwahl, sondern die albtraumhafte, düstere Stimmung, welche die Werke von Künstlern wie Wendy Cogan-Toyoda, Richard Colman, Seonna Hong, Marci Washington oder Alex Pardee vermitteln. Die intensivsten der Bilder orientieren sich nicht an der Subkultur des Gothik, sondern paaren naive Malerei mit verstörender Bildsprache. Drastische Motive erblühen dank der “Dark Arts” aus Pastellfarben. Ziel der “Dark Arts” ist, den Betrachter zu verunsichern. Wie keine andere zeitgenössische Kunstströmung stellt Lowbrow, insbesondere in den in “Juxtapoz Dark Arts” gesammelten Werken, die gängigen Vorstellungen von Schönheit in Frage. Mit verzerrten Figuren und ins Abstoßende übersteigerter Niedlichkeit zeigen die Kunstwerke auf die Wunden einer von Medien, Konsumgütern und Wunschprojektionen übersättigten Gesellschaft. In der Bildbandreihe von Gingko Press behauptet sich “Juxtapoz Magazine” auf dem Buchmarkt als die unverzichtbare Bühne für polarisierende Kunst, welche es im Zeitschriftensektor ist. Wer sich “In the Land of Retinal Delights” wohlfühlt, sollte das Spiel mit den “Dark Arts” wagen. Und dann weiterreisen zum nächsten Bildband. Die Buchreihe “Juxtapoz“ bietet noch viel mehr Schätze.
Titel: In the Land of Retinal Delightes – The Juxtapoz Faktor/ Herausgeber: Meg Linton, Bolton Colburn, Susan Anderson/ Verlag: Gingko Press/ Jahr: 2008
Titel: Juxtapoz Dark Arts/ Herausgeber: Juxtapoz Magazine /Verlag: Gingko Press/ Jahr: 2009