Nicht nur der Name hat sich ausgebreitet, auch die Ausstellungsflächen und Häuser. Denn schon lange ist gegenüber im alten Zeughaus C 5 eine eigenes Museum entstanden, in dem auch immer wieder Ausstellungen gezeigt werden, um die wir uns jetzt hier alleine kümmern und zwar eine ganz oben in der 4. Etage, für uns schon unter dem Dach sozusagen, nur ein einziger sehr großer Raum, dafür aber mit einem eigenen Namen: Robert Häusser Saal. Denn der 1924 in Stuttgart Geborene wurde in Mannheim ein Bürger, der mitmischte und sein Können als Photograph und sein Engagement als Kunstenthusiast in viele Institutionen und das Stadtleben einbrachte. So ist ihm auch die Schwarz-Weiß-Fotografie als künstlerisches Mittel gerade recht und bei einem Thema wie der Berliner Mauer paßt das auch ausgezeichnet, denn diese Berliner Mauer ist keine bunte eines Wirtschaftswunderlandes, sondern das aus dem Krieg hervorgegangene Unheil – auch wenn sie erst 1961 errichtet wurde. Die Fotografien, das sieht man auf den ersten Rundblick, erinnern einen an einen Film wie „Der dritte Mann“, dunkel, unheimlich, spannend, politisch, auch wenn dieser Film in Wien spielt und auf den Häusserbildern leider kein Orson Wells zu sehen ist.
Es empfängt einen: „Sie verlassen den Amerikanischen Sektor!“ Das steht am kleinsten in Deutsch auf dem großen Schild, das mit Englisch anfängt, auf Russisch noch dicker gedruckt ist und auf Französisch die größten Buchstaben zeigt. Uns geht etwas völlig Widersinniges durch den Kopf beim Betrachten. Da erzählen einem doch immer die Anglizismenverfechter, wie kurz sich alles auf Englisch ausdrücken lasse. Aber hier besteht der Text auf Russisch, Französisch und Deutsch aus fünf Wörtern und auf Englisch aus sechs! Das interessiert die alte Dame nicht, die unter dem Schild und vor dem Stacheldraht, den Hut, den feschen aufgesetzt, und mit klobigen Schuhen und zwei Henkeltaschen an der rechten Hand uns entgegenkommt. Ein Bild von einer solchen Absurdität, die man vielleicht erst heute begreift, wo diese Situation vorbei ist und wo ein solches Bild Einsamkeit, Trauer, Kälte vermittelte. Gut paßt dazu das Ulbrichtzitat von 1961: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.“, was dann am 13. August desselben Jahres geschah.
48 Jahre her und darum müssen wir uns nicht wundern, als zwei Jugendliche neben uns sich gegenseitig fragen: „Und wer ist Walter Ulbricht?“ Und sein späteres Pendant, der DDR Staats- und Parteichef Erich Honecker wird diesen beiden vielleicht auch eher über Udo Lindenberg und eine gewissen Lederjacke identifizierbar sein und nicht über seinen Spruch in seiner Amtsmission vom 19. Januar 1989, über den nun wirklich die Geschichte hinweggegangen ist, und der erneut eine Aura von Absurdität hier im Raum erzeugt: „Die Mauer wird in fünfzig und auch in hundert Jahren noch bestehen bleiben.“ Mitten im Krieg, so fühlt man sich zwischen den sehr großen an den Wänden verteilten Fotografien. Dabei hat Robert Häusser diese Wirklichkeiten erst 1983 mit der Kamera eingefangen. Und wie man nach und nach versteht, war die Berliner Mauer für Robert Häusser nicht nur eine Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, sondern eine Aufarbeitung des persönlichen Schicksals. Auch das kann man nachlesen, was er als Motiv seiner Bilderserie von 1983 gesagt hatte: „Nach Nazizeit, Hitlerjugend, Militär, Gefangenschaft, Sowjetzone, war ich nach meiner Flucht, 1952 aus der DDR, mit 28 Jahren zum ersten Mal ein freier Mensch. Jahre später, beim Anblick der Mauer, bestürzte mich der Gedanke, ich hätte hinter dieser Mauer weiter leben müssen.“
So führt die persönliche Bedrohung der Einzäunung auch bei den Mauerbildern wie von alleine zu Sujets, wo Menschen kaum vorkommen, dafür um so mehr Zaungitter, Absperrungen, Stacheldraht, Barrikaden, vernagelte Eingänge, verlassene Höfe, verriegelte Türen, zugemauerte Fenster und Türen. Gespenstisch mit einem Wort und von einer solch lähmenden Aussichtslosigkeit, das einen das nächste Zitat geradezu rührt, das von den Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass stammt aus deren offenen Brief vom 16. August 1961 an den Vorstand des Deutschen Schriftstellerverbandes Berlin-Ost: „Stacheldraht, Maschinenpistolen und Panzer sind nicht die Mittel, den Bürgern Ihres Staates die Zustände in der DDR erträglich zu machen. Nur ein Staat, der der Zustimmung seiner Bürger nicht mehr sicher ist, versucht sich auf diese Weise zu retten.“
Staatliche Zwangsrettung fehlgeschlagen, sagt dazu die Geschichte. Und auch, wenn diese Fotografien noch bis zum April nächsten Jahres zu sehen sind, und am 9. November 2009 es zwanzig Jahre her ist, daß die Mauer von der Bevölkerung, für die sie gebaut wurde, eingerissen wurde, so überdauern solche Bilder im kollektiven Gedächtnis. Deshalb lohnt sich auch heute, sich damit zu beschäftigen, zumal durch die Zitate die von uns Absurdität genannte Widersinnigkeit noch deutlicher wird. Traurig sind die Bilder auch, aber sie zeigen eben auch, daß auf Dauer nicht Mauern, sondern Menschen siegen. Wenn sie wollen. Und diese Botschaft kann man tatsächlich in Form des Katalogs unterm Arm nach Hause tragen. Und sollte es auch.
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Ausstellung: bis 25. April 2010
Katalog: „Die Berliner Mauer“. Fotografien und Zitate, Hrsg. Alfried Wieczorek und Claude W. Sui, Edition Braus 2009
Internet: www.rem-mannheim.de