Leipzig, Deutschland (Weltexpress). Die Vergangenheit lässt sich nicht so schnell ignorieren. Ob hell oder dunkel, alles steht wie eine stumme Präsenz im Raum, eine Wolke von Tradition und Erinnerungen. Wenn man unter dem alltäglichen Touristenrummel hindurchtaucht, es gibt wohl kaum eine Stadt in der gefühlt mehr Hotels gebaut worden sind in den letzten Jahren, entdeckt man die Strukturen eines regen Musiklebens, das für viele Menschen immer noch als Lebenshilfe gesehen wird.
Johann Sebastian Bach und seine Wirkungsstätte – die Thomaskirche – stehen auch heute noch im Mittelpunkt der Stadt und locken unzählige Touristen an, doch auch Musiker besuchen diesen Ort mit Ehrfurcht. So auch letztes Wochenende: der Komponist Morten Lauridsen aus Kalifornien mit dem Chamber Choir of Europe (Leiter Nicol Matt) waren in der Thomaskirche zu erleben, letzte Station einer erfolgreichen Deutschlandtournee. Die Schola Cantorum Leipzig veranstaltete vor dem Konzert sogar ein Workshop für junge Chorsänger und angehende Chorleiter. Morten Lauridsen, der aktuell wohl wichtigste Komponist für zeitgenössische Chormusik, leitete selbst den Workshop. Seine Werke für die menschliche Stimme besitzen alle eine zeitlos schwingende Harmonik, die zutiefst den ausübenden Künstler sowie das Publikum gleichermaßen berührt und inspiriert.
Das Konzert am Abend in der Thomaskirche wurde dann zu einem unter die Haut gehenden Erlebnis. Sphärenmusiken aus einer anderen Welt ließen den Zuhörer seelisch aufatmen und das überwiegend junge Publikum sog die Musik förmlich in sich hinein. Selbst Tränen flossen, eine innerliche Ergriffenheit stand im Raum, die dann am Schluss in Jubel und Standing Ovations ihren Ausdruck fand. Nicol Matt und sein Chamber Choir of Europe bauen auf die große Tradition des schwebenden Chorgesangs geprägt von Eric Erikson und dürfen sich darin als Meister bezeichnen. Begleitet wurde wieder einfühlsam auf dem Klavier von Morten Lauridsen selbst. Auftakt für dieses Konzert war das berühmte ‚Lux aeterna‘, hier auf der Empore gesungen, mit Stefan Nusser an der Orgel. Präsentiert wurde ebenfalls eine neue CD-Einspielung, mit den Werken Lauridsens und dem Chamber Choir of Europe, Erscheinungsdatum 26.10., Label Deutsche Grammophon, ein Highlight der Chormusik.
Der Komponist und das Mädchen aus dem goldenen Westen
Die Oper Leipzig hatte Giacomo Puccinis etwas vergessene Oper ‚La fanciulla del West‘ auf dem Spielplan: Eine Neuinszenierung, in einer teilweise langweiligen Inszenierung von Cusch Jung, die aber nicht störte. Bühnenbild, Kostüme, waren vordergründig geschickt angerichtet für das Auge, doch fehlte durchweg eine prägnante Personenführung. Nachdem das Konzert des Komponisten aus Kalifornien bejubelt wurde, kann man die Publikumsreaktion, in einem ‚halbvollen‘ Haus, bei der dritten Aufführung des ‚Mädchens‘ nicht mehr als befriedigend bezeichnen. Wenngleich das Gewandhausorchester unter dem feurigen Dirigat von Intendant Ulf Schirmer eine sinfonische Seite der Partitur enthüllte, die man so wohl nur selten hören kann. Die Oper, von Puccini tonal etwas ‚straussig‘ verpackt, möchte den Zuhörer nicht mit Arien oder großen Chorensembles gefallen, sondern mit einer neuen Art der Musik, die 1910 vielleicht angesagt war.
Gesanglich ist das Werk mit einem teilweise spröden Gesangsstil auch für die Protagonisten nicht immer einfach, dennoch gibt es lyrische Stellen, die durchaus gefallen und die vom Dirigenten mit großer Achtsamkeit gestaltet wurden. Die Rolle der Minnie, eine auch sozial engagierte Kneipenwirtin, muss enorm facettenreich gestaltet werden, zeigt sie sich doch als Rebellin, als Schwester für die Goldgräber, als kompromisslos Liebende für den Bandenchef Dick Johnson und als Hüterin des Goldes, mit Pistole im Strumpfband. Sopranistin Karine Babajanyan hatte diese schwierige Aufgabe an diesem Abend, sie konnte darstellerisch gefallen doch stimmlich schien diese Rolle doch/noch eine Grenzpartie zu sein. Gaston Rivero wirkte ebenfalls wie ein etwas müder Held Johnson, der sich nur nach dem warmen Herd und Bett einer Frau zu sehnen scheint. Der stolze Sheriff Jack Rance – alias Simon Neal – spielte gelassen die Verliererrolle um Minnies Hand und sang dazu beachtlich. Die kleineren Partien waren zufriedenstellend besetzt, der Chor klang etwas ruppig, vielleicht war das auch so gewollt.
Für das aktuelle deutsche Opernpublikum wird das Werk wahrscheinlich nicht zum Magneten werden, doch für den Opern- sowie Puccini-Fan kann sich eine Reise nach Leipzig durchaus lohnen.