Berlin, Deutschland; Pyeongchang, Südkorea (Weltexpress). ARD-Moderatorin Jessy Wellmer wollte noch eine Erklärung haben für den Multikulti-Hintergrund des Olympiasieger-Paares. Wie das denn so sei mit dem Gold für Deutschland und irgendwie für die Ukraine und Frankreich, wollte sie von Aljona Sawtschenko und Bruno Massot wissen?
Die Beiden mit GERMANY vorn auf dem roten Overall suchten nach einer diplomatischen Antwort. ARD-Expertin Katarina Witt sprang ihnen hilfreich zur Seite. Sie hatte sich, damals noch in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) lebend, 1984 und 1988 in spektakulärer Manier zwei Mal als Olympiasiegerin für die DDR in den Annalen verewigt. Was ihr westlich der Elbe den Superlativ des „schönsten Gesicht des Sozialismus“ eintrug.
Heute ist aus ihr, Wohnsitz Berlin, eine deutsche Doppel-Olympiasiegerin, Schauspielerin, Unternehmerin und temporär eine ARD-Expertin geworden.
Die 52-Jährige kennt sich also aus mit Veränderungen unterschiedlichster Art. Und so soufflierte sie dem Duo, sie hätten die Goldmedaille ja vor allem für sich selbst gewonnen. Und seien mit ihrer Herkunft und Umfeld eher als internationales Paar zu betrachten.
Die deutschsprachigen Sender und Agenturen indes hoben den nationalen Aspekt der deutschen Sternstunde im Eiskunstlauf hervor: 66 Jahre nach Ria und Paul Falk erstmals wieder Paarlauf-Gold für Deutschland! Zudem sei das die erste Goldmedaille für den Deutschen Verband nach Witts Solo-Darbietung in Calgary 1988!
Der Olympiasieg von Sawtschenko/Massot nach einer großartigen Kür mit Weltrekord-Benotung, die mit dem Sprung von Rang vier nach dem verpatzten Kurzprogramm auf eins honoriert wurde, hat nicht nur sporthistorische Dimensionen. Er widerspiegelt zugleich den politischen Wandel nach Ende des Kalten Krieges und dem Fallen der Mauern in Europa. 1952 wäre selbst ein olympischer Auftritt eines solchen Paares nicht möglich gewesen. Sawtschenko/Massot verdanken ihren persönlichen Triumph den positiven Effekten einer Globalisierung, die zu recht in vielen Teilen auch kritisch gesehen muss.
Mit dem dritten Partner beim fünften Olympiastart endlich ganz oben
Aljona Sawtschenko wurde 1984 in einem kleinen Dörfchen im ukrainischen Teil der damaligen Sowjetunion geboren. Glasnost und Perestroika kam, das Sowjetreich und der Traum von Sozialismus und Kommunismus zerfielen. Aljona durfte in Kiew eine Eiskunstlauf-Schule besuchen, wurde für die Ukraine Junioren-Weltmeisterin und mit Stanislaw Morosow 2002 im olympischen Paarlauf-Wettbewerb in Salt Lake City 15.
Der Chemnitzer Trainer Ingo Steuer, mit Mandy Wötzel als Aktiver Weltmeister, war auf sie aufmerksam geworden und überzeugte sie von besseren Karrierechancen im wiedervereinten Deutschland. Und so siedelte sie 2003 nach Sachsen um. Holte mit Robin Szolkowy unter seiner Anleitung fünf WM- und vier EM-Titel. 2006 (6.), 2010 und 2014 aber gab es in dieser Konstellation „nur“ jeweils olympische Bronzemedaillen. Zu wenig für den ausgeprägten Ehrgeiz des 46-kg-Leichtgewichts. Und so suchte die 1,53 m kleine Aljona auf eigene Faust einen jüngeren Partner mit großen Ambitionen und kam auf den Franzosen Bruno Massot. Bislang ohne größere Meriten, zehn Jahre jünger als Szolkowy, fünf Jahre als sie selbst. Ein Kerl von 1,84 m und breiten Schultern wie ein Center im Eishockey. Und vor allem – erfolgshungrig!
Als Szolkowy/Steuer von diesen Wechselplänen erfuhren, kam es zum Bruch. Sawtschenko/Massot durften mit Segen des Verbandes ins Leistungszentrum nach Oberstdorf. Trainierten fortan unter Regie des Ostberliner Trainers Alexander König, als Aktiver mit Peggy Schwarz 1988 EM-Dritter.
Massot blieb zudem die weitere Unterstützung seines Schweizer Trainers Jean-Francois Ballester. 2015 erhielt er gegen eine Ausbildungsentschädigung von 30 000 Euro die angestrebte Freigabe durch den französischen Verband.
Auch sonst gewährte die Deutsche Eislauf-Union (DEU) dem Hoffnungsträger-Duo für Olympia 2018 alle erdenkliche Unterstützung. Sawtschenko war weiterhin auf einer Förderstelle der Bundeswehr. Der britische Trainer Christopher Dean, seit 1984 mit Jayne Torvill und der Bolero-Interpretation im Eistanz im Status einer Eiskunstlauf-Legende, wurde verpflichtet, bei der Choreografie mitzuhelfen. Eine Investition, die sich auszahlte. Denn Dean gelang es, die Kür nach französischen Musikklängen aus der Dokumentation „Die Erde von oben“ in eine faszinierende Einheit von sportlichen Höchstschwierigkeiten und künstlerischen Ausdrucksformen zu bringen!
Wie es mit dem Multi-kulti-Konstrukt nach dieser Saison – es kommen noch Weltmeisterschaften in Mailand – weitergeht, bleibt offen. Sawtschenko ist 34, hat bei ihrer fünften Olympia-Teilnahme den sportlichen Lebenstraum verwirklicht. Seit 2016 ist sie mit dem acht Jahre jüngeren Liam Cross verheiratet, der seinen US-Army-Dienst im Allgäu beendet hat und sich nun in der Künstler-Branche versucht. Schon mehrmals hat die gebürtige Ukrainerin sich dahin geäußert, eine Familie mit „Kindern“ zu gründen.
Massot, der erst im November die für den Olympiastart nötige deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, hat sein Verlobte aus der Normandie mit nach Oberstdorf gebracht und dürfte eher noch an eine Fortsetzung seiner Karriere auf dem Eis denken. Ein sportlicher Partnerwechsel ist im Paarlauf durchaus üblich und heutzutage ja auch kein Problem.
Ein deutscher Biathlet für Belgien
Sawtschenko/Massot sind nicht die einzigen Olympioniken in Pyeongchang, die eine andere Staatsbürgerschaft angenommen haben, um den sportlichen Lebenstraum der Olympiateilnahme wahr werden zu lassen. So haben etliche russische Biathletinnen und Biathleten angesichts der Konkurrenz im eigenen Lande die Staatsbürgerschaft des Olympia-Gastgebers Südkorea akzeptiert.
Der Wechsel der Doppel-Olympiasiegerin von Vancouver 2010 und Sotschi 2014 , Anatasia Kuzmina, die nun erneut bislang zwei Medaillen erkämpfte, vom russischen zum slowakischen Verband ist privaten Gründen geschuldet. Die Schwester des Staffel-Goldmedaillengewinners von Sotschi, Anton Shipulin, hat den slowakischen Biathleten Daniel Kuzmin geheiratet.
Der Altenberger Michael Rösch, seinerzeit 2006 mit der deutschen Biathlon-Staffel Goldmedaillengewinner in Turin, hatte sich nach privaten Rückschlägen und Verletzungen mit dem deutschen Verband überworfen und sich Belgiens Verband angeschlossen. Den Pass erhielt er erst mit einiger Verspätung und so durfte er diesmal unter den gleichen Flaggen-Farben, aber in anderer Reihenfolge olympisch laufen und schießen. Mit Mitte 30 jedoch reicht es, zumal als Einzelkämpfer, nicht mehr für Spitzenränge.
Bei Jan-Ted Bloemen aber lief es genau umgekehrt. Bei der Leistungsdichte im stärksten Verband der Eisschnellläufer sah der Niederländer kaum Aussichten, sich für die Oranje-Equipe zu qualifizieren. Doch er hatte ja einen kanadischen Vater und demzufolge auch den entsprechenden Pass. Die Ahornblätter wiederum empfingen ihn mit offenen Armen, unterstützten ihn großzügig. Bloemen bedankte sich mit olympischem Rekord und der Goldmedaille über 10 000 m. Was die holländischen Fans mit gemischten Gefühlen erlebten, denn ihr Superstar Sven Kramer brach auf der Königsdistanz der Langstreckler förmlich ein und wurde lediglich Sechster. Dreimal bereits hat der achtfache Weltmeister die 5000 m bei Olympia für sich entschieden und zahlreiche Weltrekorde über 5 und 10 km aufgestellt. Doch die Krönung auf der längsten Distanz blieb ihm auch beim vierten Anlauf seit 2006 versagt.